Matthias Buth, Jahrgang 1951, seit fast fünfzig Jahren im bundesdeutschen Literaturbetrieb mit wachsender Anerkennung präsent, ist ein Dichterjurist, der den gelungenen Spagat zwischen geflügelten Sätzen und strengen juristisch abgewogenen Sentenzen vollzogen hat. Die vorliegende Publikation, eine Kombination aus freien Versrhythmen, in denen die abendländische Klangwelt in der siebenbürgischen städtischen Mischkultur ebenso eingebettet ist wie der bizarr anmutende Alltag der bäuerlichen Welt in Siebenbürgen. Im Anschluss an die einleitenden poetologischen Aphorismen entwirft er auf einem musikalischen Themenfeld seine Reflexionen zu den Auswirkungen der Kompositionen von George Enescu auf die rumänische Mentalität. Dann begibt er sich unter der Fragestellung Rumänien – wo bist du? auf die Suche nach Anziehungspunkten, die seit mehr als zwei Jahrzehnten seine Wertvorstellungen von rumänischer Kultur geprägt haben. Diese im zweiten Abschnitt der vorliegenden Publikation abgedruckten kurzen Feuilletons stehen in enger Verbindung mit dem Untertitel Die poetische Annäherung an Rumänien … und andere Welten. Die Ergänzung zielt auf die zahlreichen schicksalhaften historischen Geschehnisse, von denen vor allem im 20. Jahrhundert neben den Rumänen auch andere Ethnien, wie die Roma, die deutschsprachige Siedlungsgemeinschaft in Siebenbürgen und im Banat, die jüdische Schicksalsgemeinschaft, Ukrainer betroffen waren. Besonders anregend ist der Essay Spiegelbild. Buth verwendet dort den einleitenden Begriff Projektion, um die Funktion von Literatur als in Abhängigkeit von politischen und gesellschaftlichen Prozessen wirksamer Faktor zu charakterisieren, der jedoch seine Wahrnehmung und Einflußnahme sich erst in Abhängigkeit von ihrer Rezeption entfalten könne. Zentrale Feststellung ist die Aussage, dass „Rumänien … als homogene Literaturlandschaft kein homogener Block (ist), weder für die deutsche Sprache noch die Minderheitensprachen Ungarisch, Slowakisch (!), Serbisch oder die der Roma.“ (S. 154). In seinen weiteren Ausführungen hebt er das „Hochplateau deutscher Literatur: die Bukowina“ hervor, um vor allem die Zeugnisse des „geliebten Deutsch“ – unter Verweis auf die Dichtungen von Rose Ausländer, Paul Celan, Karl Emil Franzos, Alfred Margul-Sperber u.a. – zu würdigen. In diesem Kontext verweist er ausdrücklich auch auf die „Sprache der deutschen Mörder“, deren Träger die Verantwortung für die beinahe vollständige Vernichtung auch der Bukowiner Jüdinnen und Juden trugen.
In Buths Reflexionen mischen sich stringente Aussagen über tragische historische Abläufe (Auswirkungen der Ceaușescu-Diktatur) mit persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen, die er auf seinen Reisen vor allem in den 1990er Jahren wie auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts gesammelt hat. Er bedauert die Ausreise der Mehrzahl der deutschsprachigen Siebenbürger und Banater in den späten 1980er und 1990er Jahren, lobt die Schulpolitik des rumänischen Staates, die z.B. im Lenau-Gymnasium in Temeswer dafür sorge, dass fließend deutsch sprechende Absolventen ausgebildet würden. Seine Anerkennung gipfelt in der Feststellung: „Rumänien ist das Land einer melancholischen Grandezza, ein Land der Vielkulturen, sowie der sprachlichen Kompetenz und der emotionalen wie geistigen Präsenz.“ (S. 159)
Der abschließende Essay „Das Jerusalem Siebenbürgens“ verdeutlicht im Rückblick auf seine vielschichtigen kulturpolitischen und poetischen Reflexionen auch seine innovative Europa-Bewertung. Der Begriff Eurozentrismus sei „verfehlt, ahistorisch und ausgrenzend“ (S. 162) Es sei an der Zeit, diesen Kontinent, auf dem in den vergangenen Jahrhunderten soviel Unheil geschehen sei, von den Rändern her neu zu denken. Es müsse ein Kontinent werden, „der das Eigene und Fremde in jeder Nation und in jeder Person nicht nur erträgt, sondern als Lebenselixier pflegt und bewahrt.“ (S. 162) Eingelöst würde diese Wertung unter anderen in dem schriftstellerischen und seelsorgerischen Werk von Eginald Schlattner, dessen in der Zwischenzeit europaweit bekannten Romane ein bewegendes Zeugnis dafür seien, „wie exemplarisch europäisch das Leben im 20. Jahrhundert in Rumänien war.“ Doch die Trauer der Siebenbürger über ihre Abwanderung würde auch von Rumänen geteilt, in deren Namen Petre Stoica in dem Gedicht „Nach der Trennung“ von einem unendlichen Raum voller Spiegel spricht, „die sich verschlingen immer und / immer bleibt Trauer Schwert sein Rost.“ (S. 164) Im Anschluss an diese Verweise schildert Buth seine tief bewegenden Eindrücke von Kirchen, huldigt Städten, „die sich nicht verfinstern lassen“, verweist auf bedeutende deutsch-rumänische Kunsthistoriker, die sich um den Denkmalschutz bemühen, nennt Bürgermeister, die sich nach 1989 um die Restaurierung von Kirchen, Burgen und Denkmäler erfolgreich bemühen. „Wie schön, hier zu sein“, in einem Rumänien, das das „weiche Hier und Jetzt“ ist – so beschließt er seinen Essay.
Matthias Buth erweist sich mit seinem Bekenntnis zu einem nunmehr demokratisch gelenkten Rumänien als einer der wenigen Vertreter einer deutschen Kulturelite, die sich vorbehaltlos mit hoch reflektierten Überlegungen, Herzblut und Sehnsucht ein Land angeeignet haben, in dem selbst die winterliche Landschaft sich schützend um die Denkmäler stellt. Seine poetischen Annäherungen an Rumänien sind Schatzgruben, in denen viel zu entdecken ist. Die im Anhang der Publikation abgedruckten Wertungen bedeutender europäischer Dichter und Germanisten beweisen es ebenso wie Markus Bauer, der in seinem bewegenden Nachwort auf das „überzeugend-kunstvolle Plädoyer für ein Rumänien in Europa“ aufmerksam macht. Bleibt nur noch darauf aufmerksam zu machen, dass in der männlich zentrierten Erneuerungsbewegung leider (noch) die weiblichen Stimmen fehlen.
In Buths Reflexionen mischen sich stringente Aussagen über tragische historische Abläufe (Auswirkungen der Ceaușescu-Diktatur) mit persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen, die er auf seinen Reisen vor allem in den 1990er Jahren wie auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts gesammelt hat. Er bedauert die Ausreise der Mehrzahl der deutschsprachigen Siebenbürger und Banater in den späten 1980er und 1990er Jahren, lobt die Schulpolitik des rumänischen Staates, die z.B. im Lenau-Gymnasium in Temeswer dafür sorge, dass fließend deutsch sprechende Absolventen ausgebildet würden. Seine Anerkennung gipfelt in der Feststellung: „Rumänien ist das Land einer melancholischen Grandezza, ein Land der Vielkulturen, sowie der sprachlichen Kompetenz und der emotionalen wie geistigen Präsenz.“ (S. 159)
Der abschließende Essay „Das Jerusalem Siebenbürgens“ verdeutlicht im Rückblick auf seine vielschichtigen kulturpolitischen und poetischen Reflexionen auch seine innovative Europa-Bewertung. Der Begriff Eurozentrismus sei „verfehlt, ahistorisch und ausgrenzend“ (S. 162) Es sei an der Zeit, diesen Kontinent, auf dem in den vergangenen Jahrhunderten soviel Unheil geschehen sei, von den Rändern her neu zu denken. Es müsse ein Kontinent werden, „der das Eigene und Fremde in jeder Nation und in jeder Person nicht nur erträgt, sondern als Lebenselixier pflegt und bewahrt.“ (S. 162) Eingelöst würde diese Wertung unter anderen in dem schriftstellerischen und seelsorgerischen Werk von Eginald Schlattner, dessen in der Zwischenzeit europaweit bekannten Romane ein bewegendes Zeugnis dafür seien, „wie exemplarisch europäisch das Leben im 20. Jahrhundert in Rumänien war.“ Doch die Trauer der Siebenbürger über ihre Abwanderung würde auch von Rumänen geteilt, in deren Namen Petre Stoica in dem Gedicht „Nach der Trennung“ von einem unendlichen Raum voller Spiegel spricht, „die sich verschlingen immer und / immer bleibt Trauer Schwert sein Rost.“ (S. 164) Im Anschluss an diese Verweise schildert Buth seine tief bewegenden Eindrücke von Kirchen, huldigt Städten, „die sich nicht verfinstern lassen“, verweist auf bedeutende deutsch-rumänische Kunsthistoriker, die sich um den Denkmalschutz bemühen, nennt Bürgermeister, die sich nach 1989 um die Restaurierung von Kirchen, Burgen und Denkmäler erfolgreich bemühen. „Wie schön, hier zu sein“, in einem Rumänien, das das „weiche Hier und Jetzt“ ist – so beschließt er seinen Essay.
Matthias Buth erweist sich mit seinem Bekenntnis zu einem nunmehr demokratisch gelenkten Rumänien als einer der wenigen Vertreter einer deutschen Kulturelite, die sich vorbehaltlos mit hoch reflektierten Überlegungen, Herzblut und Sehnsucht ein Land angeeignet haben, in dem selbst die winterliche Landschaft sich schützend um die Denkmäler stellt. Seine poetischen Annäherungen an Rumänien sind Schatzgruben, in denen viel zu entdecken ist. Die im Anhang der Publikation abgedruckten Wertungen bedeutender europäischer Dichter und Germanisten beweisen es ebenso wie Markus Bauer, der in seinem bewegenden Nachwort auf das „überzeugend-kunstvolle Plädoyer für ein Rumänien in Europa“ aufmerksam macht. Bleibt nur noch darauf aufmerksam zu machen, dass in der männlich zentrierten Erneuerungsbewegung leider (noch) die weiblichen Stimmen fehlen.
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Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer, von Matthias Buth, POP Verlag, 2020
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Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.