Interpretationen 12 – Erinnerung an die Marie A.

 

Erinnerung an die Marie A. ist ein Gedicht, das Bertolt Brecht in der Urfassung am 21. Februar 1920 auf einer Zugfahrt nach Berlin in sein Notizbuch schrieb. Unter anderem publizierte der Autor es 1927 in der Sammlung Bertolt Brechts Hauspostille. Es thematisiert die Erinnerung an eine vergangene Liebe, die Brecht in das berühmte Bild von der vergehenden weißen Wolke gefasst hat.

 

Und über uns im schönen Sommerhimmel

War eine Wolke, die ich lange sah

Sie war sehr weiß und ungeheuer oben

Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

 

Das Bild der Wolke für die verblassende Erinnerung an das Gesicht der Geliebten ist ein literarisches Motiv, das der frühe Brecht regelmäßig eingesetzt hat. Das Namenskürzel „Marie A.“ im Titel bezieht sich auf Brechts Augsburger Jugendliebe Marie Rose Amann. Das Gedicht ist auf eine populäre Melodie der Jahrhundertwende geschrieben, die unter dem Titel Verlor’nes Glück bekannt war. Brecht hat es bereits vor der ersten Veröffentlichung seines Texts mehrfach zur Gitarre gesungen. Die Melodie kannte er sehr wahrscheinlich aus seiner Zusammenarbeit mit Karl Valentin, der die sentimentale Liedvorlage bereits parodistisch verarbeitet hatte.

Brecht-Biograph John Fuegi zählt das „täuschend schlichte Gedicht, leicht auswendig zu lernen …, zum Grundbestand der deutschen Literatur.“

Die erste Strophe schildert ein Liebeserlebnis in der Natur, die Begegnung mit einer „stillen bleichen Liebe“, der „Marie A.“ aus dem Titel. Eine Wolke am Sommerhimmel, „sehr weiß und ungeheuer oben“, die schließlich verschwindet, macht das Erlebte unvergesslich.

In der zweiten Strophe setzt sich der Sprecher aus zeitlicher Distanz mit seinen Erinnerungen an das Liebeserlebnis auseinander. „Viele Monde“ seien inzwischen ereignislos vergangen. An das Gesicht der Geliebten könne er sich nicht mehr erinnern, nur an seine Liebesgefühle: „Ich weiß nur mehr: ich küßte es dereinst.“

In der dritten Strophe koppelt der Sprecher sein Erinnerungsvermögen an das unvergessliche Bild der weißen Wolke.

 

Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen

Wenn nicht die Wolke dagewesen wär

Die weiß ich noch und werd ich immer wissen

Sie war sehr weiß und kam von oben her.

 

Die einstmals Geliebte hat „jetzt vielleicht das siebte Kind“, was bleibt, ist allein die Erinnerung an den großen Moment der Liebe.

 

Doch jene Wolke blühte nur Minuten

Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.

 

 

 

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