lakonisch oder malerisch

 

bernd storz aus reutlingen, in ravensburg geboren, schreibt theaterstücke, hörspiele, kriminalromane, drehbücher, kabaretttexte und journalistische texte, letztere oft über bildende künstler, und gibt als gastdozent für szenisches erzählen seminare an den universitäten konstanz und freiburg. studiert hatte er pädagogik, psychologie und soziologie. das spricht für einen menschen, der etwas bewegen und bewirken will. seine gesammelten gedichte formulieren erkenntnisse zunehmender lebenserfahrung.

dem gedichtband »Sommergespräche« ist ein zitat des mexikanischen dichters, und auch lesenswerten essayisten, octavio paz vorangestellt: »Gegen das Schweigen und das Getöse / erfinde ich das WORT«. es kommt bernd storz auf das bedachte wort an. »Aus den Zwischenräumen / antwortet / das Ungesagte.« viele seiner gedichte leben von ihren tragenden ideen. es sind meist nüchterne, lakonische, aufs wesentliche konzentrierte momentaufnahmen, die kein wort zuviel verwenden. motivisch enthalten sie häufig regionales, wozu auch die wälder und gesteine seiner lebenslandschaften gehören, und alltagsbeobachtungen.

zugleich denkt er über das momentane hinaus, indem er in die, auch eigene, geschichte zurückblickt und das gewordensein des heutigen reflektiert. so sieht er flüchtlinge und einwanderer historisch, wie im gedicht »Buttenhausen«: »Die bemoosten Grabsteine. An der Auffahrt / stand die Synagoge. // Judenkinder, Christenkinder / Himmel und Hölle / und an Ostern / Eierrollen. // An der Lauter das Haus: / flatternde Wäsche / dunkelhäutige Kinder.« jeder mensch hat flüchtlinge, vertriebene, ausundeinwanderer unter seinen vorfahren. gerade der voralpenraum war und ist ein einwanderungsgebiet, seit jahrhunderten und jahrtausenden.

die gedichte sprechen teils von gefährdungen und befürchtungen, auch ökologischen: »Stele«: »Ja / weise nur / weise / über dich / hinaus / wenn wir schon nicht / über den / Schatten / denken wollen / unserer / Gier / der hinschlägt / eine / lange / Nacht / über / die / Erde.« indem jede zeile, bis auf eine ausnahme, höchstens zwei worte enthält, wird das gedicht länger. lange genug wissen die menschen inzwischen, daß sie ihre lebensgrundlagen zerstören, und reagieren ungenügend darauf. mit egoisten ohne rücksicht wird man keine ökologische und solidarische gesellschaft gestalten können, schon gar nicht weltweit.

der band beginnt mit dem gedicht »Ein Gebirge // Nach meiner Lektüre Alexander von Humboldts«, worin der autor, im zurückschauen voraussehend, vom land nördlich der alpen spricht, das »in meinen letzten Jahren / zu verdorren begann.«, was vor allem, und nicht nur dort, bauern und kleingärtner merken. zudem kommen im gebirge nicht allein durch lawinen, sondern überdies abgänge außerhalb des winters, auch rutsche genannt, immer häufiger teile der berge herab und gefährden menschen, orte, gebäude, straßen und bahnlinien. regeln, wo und wann es gefährlich wird, die über jahrhunderte hinweg galten, müssen an riskanten stellen von geologen neu überprüft werden. alexander von humboldt sah bereits im 19. jahrhundert voraus, daß die abholzung des regenwaldes im tropischen lateinamerika, wo er forschte, zu klimaveränderungen führen könne.

parabelhaft ist »Hoffentlich«: »meine Mutter sagt hoffentlich / hoffentlich musst du das nicht erleben / sagt meine Mutter / hoffentlich // meine Mutter sagt meine Mutter hat das schon früher zu mir gesagt / sagt meine Mutter / hoffentlich // meine Mutter, sagt meine Mutter / hat das schon früher zu mir gesagt / sagt meine Mutter // hoffentlich, sagt meine Mutter / hoffentlich / geht es deiner Mutter nicht so / wie meiner Mutter, sagt meine Mutter / hoffentlich.« meine väterliche großmutter erinnerte sich bei jedem sirenenheulen und gewitter an ihre kriegserfahrungen und erzählte dann oft davon.

andererseits sind ängste allgemeinmenschlich und wiederholen sich immer erneut seit unermeßlichen zeiten. »Morgens«: »Im Halbdunkel des Zeltdachs / wenn die Geräusche noch / einzeln aufeinanderfolgen / bittet das Kind mich / sie zu deuten.« das ist eine szene aus der urzeit des menschen, als draußen noch mehr gefahren der natur lauerten, etwa wilde tiere. ein kind verfügt über einen urinstinkt dafür und will wissen, was es zu erwarten hat. ebenso benennt »Wohnungsauflösung« existentielle erfahrungen: »In der Erinnerung / verfärben sich / die Geschichten. // Kinderzeichnungen / Kreditanträge / Beileidskarten. // Zuunterst / in der Schublade / die ungeöffneten Briefe.«, die gelesen vielleicht an unerfüllte hoffnungen und durchlebte ängste erinnern würden.

bernd storz würdigt in seinen gedichten schriftsteller, friedrich hölderlin, pablo neruda, janusz korczak, den freund der kinder bis in den tod, und bildende künstler, paul cézanne, claude monet, marc chagall, giorgio morandi, francis bacon und felix klee, den sohn paul klees. manche gedichte beziehen sich auf konkrete bilder. das gibt einigen texten etwas malerisches, das der autor offenkundig mag. malerisch war der impressionismus einer der höhepunkte der bildenden künste. rainer maria rilke, stefan george, hugo von hofmannsthal, arthur schnitzler oder marcel proust wurden literarische impressionisten genannt.

»Cézanne«: »Madame Brémond richtet Orangen und Birnen an / in einer Schale aus Nussbaum. / Der Maler sieht / Kugeln Kegel Zylinder« die form wird wichtiger als der gegenstand, ein wesentliches prinzip der moderne, und auch schon der frühodervormoderne, zu der cézanne gehörte. egon friedell merkte an: »Der Augenblick, wo nicht mehr der Inhalt, sondern die Form, nicht mehr die Sache, sondern die Methode zum Hauptproblem erhoben wird, bezeichnet immer und überall den Anfang der Décadence.« und »andrerseits muß man gerechterweise auch anerkennen, daß gerade die Niedergangszeiten in Kunst, Wissenschaft, Lebensordnung eine Feinheit, Kompliziertheit und psychologische Witterung zu entwickeln pflegen, die nur ihnen eigen ist.« im gedicht »Chagall«: heißt es: »Blaues Wort Erinnerung. / Auch wer zurückkehren könnte / sucht immerzu / am anderen Ort.« das wort erinnerung läßt mich hier an heimweh und nostalgie denken, das blaue wort an sehnsucht und der andere ort an utopie. ist utopia, die gegenwelt der phantasie, blau? außerdem entstanden über die jahre hinweg texte nach bildern, collagen, fotografien sowie plastiken und skulpturen regionaler künstler.

andere gedichte beschreiben profane wirklichkeiten. »Die Stille«: »Morgens Antenne Zehn: / der verordnete Optimismus. // Kulissengeräusche / denen man sich / kaum entziehen kann. // Auf dem Parkplatz / irgendwo zwischendurch / die zufällige Begegnung mit einem Baum. / Espenlaub. / Der Schrei eines Hähers.« das erleben virtueller und fiktiver welten verdrängt und überlagert zunehmend das wahrnehmen und damit erfahren und erkennen der realen welt und isoliert die individuen voneinander. man kann aber am morgen auch andere sender hören. der verordnete optimismus ist häufig laut und hat wohl hinterm geräuschpegel, der heute vielen ein gefühl der vertrautheit gibt, etwas zu verbergen, womöglich leere. dann könnte stille sie erschrecken.

aufgrund seiner nachahmungsfähigkeit galt der häher als spaßmacher und spötter unter den vögeln und wurde seit dem 13. jahrhundert markolf oder bruder markolf genannt, abgeleitet vom namen des spaßmachers von könig salomo, der markolf hieß. zurück geht dieser name auf den jüdischen dämonennamen marcolis, entstanden aus lateinisch mercurius. in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen, englischen, französischen und italienischen sagen ist markolf widersacher von salomo, der eine autoritäre ordnung vertrat und dessen weisheitssprüche der narr parodistisch und zynisch zu übertreffen versucht. gottfried benn erfand einen »Welteschen-Eichelhäher«. die weltesche steht im zentrum der welt. theodor lessing nannte die häher hofnarren des waldes. narren widersprechen dem optimismus der angepaßten, der oft nur opportunismus ist, und verspotten ihn. eben deshalb sind sie figuren am und vom rande.

 

 

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Sommergespräche, Gedichte von Bernd Storz. Kröner, Edition Klöpfer, 2021

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.