Auf der 17. Mainzer Minipressen-Messe wird Künstlerbuch Unbehaust von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni vorgestellt
Unbehaust ist schrecklich, aber der Text gibt auch die Möglichkeit eines In-der-Sprache-Wohnens. Das ICH kämpft mit dem Auflösungsprozess des Körpers, das Bewusstsein widersetzt sich diesem Verenden und zersetzt das gesellschaftliche Zusammenleben; wie fühlen sich Einzelteile an, was ist fremd, was ist eigen, was ist der Unterschied zwischen zur-Ruhe-Kommen und Sterben, zwischen Schweigen und Verstummen, das Fragen webt einen Kokon, das Werte-Syndrom ist in Auflösung begriffen… Distanz ist der Schluessel. (…) In den Traeumen versucht mein Koerper wieder / mit dem Geist ins Reine zu kommen & / sich zu entschlacken…
In welches Medium die Parlandos am besten transponiert werden könne, Ton oder Bild? Ich vermag es nicht zu entscheiden.
So höre ich gern und mit Begeisterung Unbehaust, gesprochen von Bibiana Heimes, toncollagiert von Tom Täger. Als Fan aller möglicher Techno- und Industrial-Stücke fahre ich schonmal voll auf den rhythmischen Sound des raschelnden Papiers ab. Es ist nicht nur der Schreibvorgang, der die Geräusche verursacht – ich stelle mir ein Tier mit Krallen oder spitzem Schnabel vor, welches sich durch ein von mir (?) um mich herum errichtetes Papierhaus frisst. Ist der Eindringling mir feindlich oder freundlich gesonnen, frage ich mich. Bin ich es selbst? Zuweilen klingt es aber auch wie ein zischendes Atmen. Sind Atmen und Sprechen aber nicht dasselbe? Doch die glasklare und dennoch warme Stimme der Sprecherin behauptet etwas anderes.
Gemeinsam mit dem Künstler Haimo Hieronymus ist mit Unbehaust in der uräus-Handpresse (Halle) ein Buch entstanden, welches den mechanischen Akt des Schreibens sichtbar macht, schon durch die unterschiedlich tief, in unterschiedlichen Grautönen eingestanzten Buchstaben. Die zweifarbigen Holzschnitte sind ein Aufruf in Rot und Schwarz, in Tier und Pflanze, in Geäst und Organ. Ein Buch, was sich gut anfühlt, schwer in der Hand liegt und … riecht – etwas Wertvolles im Zeitalter der schnellen und endlosen Reproduzierbarkeit, etwas, was sich querstellt, wie ein sonderbar gewohnt klingendes und dennoch fremdes Wort.
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Unbehaust, Künstlerbuch von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni. uräus-Handpresse, Halle 2003
Die Hörspielumsetzung von Unbehaust durch den Komponisten Tom Täger ist erhältlich auf dem Hörbuch: Gedichte von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2015
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild ein Kunstwerk. KUNO faßt die Stimmen zu dieser verlegerischen Großtat zusammen. Last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.
Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421