Das Büffelherz hat aufgehört zu schlagen

If anyone in the world of rock music really deserves to be labeled as a genius, I think that he could be it.

John Peel

Erstmals hört ich Captain Beefheart in der Rolle des Willie the Pimp, ein Lied aus Frank Zappas Album Hot Rats aus dem Jahr 1969. Der bluesige Song wird geradezu hypnotisch eingeleitet durch Don Sugarcane Harris* an der Violine, er enthält die markante rauchige Stimme von Captain Beefheart und eines von Frank Zappas fast schon klassisch zu nennenden Gitarrensolos. Es ist der einzige Titel, der auf dem Album nicht instrumental ist. Da Zappa immer an technischen Neuheiten interessiert war, produzierte er das erste Album, das auf 16-Spur-Geräten aufgenommen wurde. Maschinen mit 16 Einzelspuren ermöglichen viel mehr Flexibilität beim Multitracking und Overdubbing als die professionellen 4- und 8-Spur-Tonbandgeräte, die 1969 Standard waren.

Beefheart war ein Schulfreund von Zappa, der ihm auch beim Doppelalbum Trout Mask Replica aus dem Jahr 1969 half, auch spielten dort einige Musiker der Mothers mit oder wechselten in der kommenden Jahren zur Magic-Band. Das von Zappa produzierte Album Trout Mask Replica ist eine der ersten Veröffentlichungen des Labels Straight Records. Die Legenden um die Produktion sind zahllos. So soll Beefheart ein Klavier ins Haus gestellt haben – obwohl er nicht wusste, wie man es spielt – und brachte Ideen hervor, die der Drummer John “Drumbo” French transkribierte und zu Melodien zusammenfügte. Die daraus resultierenden Stücke ähnelten eher Puzzles als Liedern und gaben verschiedenen Instrumenten widersprüchliche Taktarten und unterschiedliche Teillängen, die an bestimmten Punkten irgendwie zusammentreffen mussten. French verglich es mit dem Bau einer massiven Mauer aus Ziegeln unterschiedlicher Größe. Diese unorthodoxe Komplexität zwang die Magic Band dazu, 12 Stunden oder mehr am Tag zu proben, normalerweise ohne Beefheart. Oft schliefen sie genau dort, wo sie gerade geübt hatten, und machten nach dem Aufwachen sofort weiter.

Wenn Beefheart Pop machte, hörte es sich an wie Avantgarde, wenn er Avantgarde machte, wie ein Hörspiel, wenn er Hörspiel machte, war es ein Song.

Carl Ludwig Reichert

Captain Beefheart war von einem absoluten Kunstwillen durchdrungen. Die meisten Kompositionen auf dem Album sind von Polyrythmen und atonaler Harmonik gekennzeichnet und verschmelzen Einflüsse aus Free Jazz und Delta Blues. Der charakteristische, roh wirkende Klang entstand in langen Sessions, während deren die Magic Band im selben Haus zusammenlebte, in dem das Album auch aufgenommen wurde. Beefheart bestand darauf, seine Gesangsparts ohne Monitorkopfhörer aufzunehmen, hörte also die Musik nicht, während er sang. Beefheart war einer der ersten Musiker, die den Rock an seine musikalische Grenze brachten, teils komponierte er die Einzelarrangements in über achtstündigen Sessions. Nach sechs Monaten begab sich die Magic Band mit Beefhearts Freund Zappa in ein Studio, der sie „produzierte“, indem er ihnen aus dem Weg ging. Mit dem Adrenalin ihrer intensiven Holzarbeit nahm die Gruppe in weniger als sechs Stunden 20 Songs auf. Beefheart fügte den Gesang separat hinzu und synchronisierte sich auf unheimliche Weise mit der Musik, obwohl er selten mit der Band geprobt hatte und bei den Aufnahmen auf Kopfhörer verzichtete. In weniger als einer Woche, nachdem zwei Tracks aus einer früheren Session und einige weitere, die im Haus der Gruppe erstellt wurden, hinzugefügt wurden. Zappa mischte die einzelnen Tracks mit sehr viel Organisation, sie er sich bei der Handhabung des neuen Studios angeeignet hatte.

Dieses Doppelalbum enthält achtundzwanzig Musikstücke aus diesem Labor, die über die Dauer eines Jahres eingespielt wurden. Der Reiz von Trout Mask Replica liegt auch in der verblüffenden Zusammenstellung stilistischer und thematischer Stränge. In den dekonstruierten Grooves der Band stecken Bruchstücke von Rock und Blues; Free Jazz. In Beefhearts primitivem, von Ornette Coleman inspiriertem Saxophonspiel; literarischer Surrealismus in seinen obskuren, aber seltsam nachklingenden Texten. Er gerierte sich als Außenseiter in seinen knurrenden A-Capella-Liedern, und einer fast postmodern anmutenden Collage in den verschiedenen Klangquellen des Albums, zu denen Feldaufnahmen, gesprochene Sketche, Studiogeplänkel und sogar am Telefon aufgenommener Gesang gehören. Auch wenn die Lieder Konventionen zu verweigern scheinen, gibt es überall Hinweise auf die Musikgeschichte, von Melodiefetzen, die traditionellen Melodien entlehnt sind, bis hin zu lyrischen Zitaten wie Beefhearts Gesang „Come out to show them“ in „Moonlight in Vermont“, aus Steve Reichs Tonbandexperiment von zwei Jahren zuvor. Obwohl es sich bei Beefhearts Texten größtenteils um surreale Rätsel handelte, konnte er auch unverblümt aktuell sein und mutig über den Holocaust und den Vietnamkrieg singen.

Trout Mask Replica ist das Werk eines Kollektivs, besteht aus: Bill Harkleroad alias Zoot Horn Rollo  Slide-Gitarre, Flöte, Jeff Cotton alias Antennae Jimmy Semens – Slide-Gitarre mit Stahl-Bottleneck, Gesang, Victor Hayden alias The Mascara Snake – Bassklarinette, Gesang, Mark Boston  alias Rockette Morton – Bass, Stimme, John Franch alias Drumbo -Schlagzeug, Perkussion, Doug Moon – Gitarre, Dick Kunc – Stimme. Gary „Magic“ Marker – Bass, Roy Estrade – Bass, Arthur Tripp III. – Schlagzeug, Perkussion, Don Preston – Piano, Ian Underwood – Altsaxophon, Tenorsaxophon, Bunk Gardner – Altsaxophon, Tenorsaxophon, Buzz Gardner, Trompete sowie Captain Beefheart und Frank Zappa – Musiker, die sich für diese Album zu etwas Magischem verbunden haben. Am überraschendsten ist vielleicht, wie eingängig diese schroffen Songs oft sind. Einige haben sogar Strophen und Refrains, allerdings gefiltert durch die klanglichen Widersprüche der Band und Beefhearts verzerrtes Timing. Die rauschenden Höhepunkte von „Ella Guru“, der sich aufbauende Swing von „Pachuco Cadaver“ und der schwankende Blues von „She’s Too Much for My Mirror“ sind allesamt Ohrwürmer, da ihre vielfältigen Klangelemente wie spastisch ausgerichtete Filamente zu einer Melodie gerinnen ein Magnet. Diese Album gilt als ein Meilenstein der Rockgeschichte und als das beste Album von Captain Beefheart & his Magic Band. Auf diesen musikalisch radikalen Alben ist der Einfluss von Free Jazz und moderner Klassik stärker als auf den Vorgängern. Es ist eine ekstatische Musik, die links und rechts und kreuz und quer durcheinander geht, sich überschlägt und am Ende fast explodiert.

 

 

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Trout Mask Replica von Captain Beefheart & his Magic Band, erschienen im Juni 1969 auf Straight Records

*Don Sugarcane Harris hatte das von Zappa sehr geschätzte Rhythm-and-Blues-Stück Leavin‘ It All Up to You eingespielt und war zu diesem Zeitpunkt wegen eines Drogendelikts inhaftiert. Zappa stellte eine Kaution und engagierte Harris für die Violinenparts. Harris spielt auf Hot Rats ausschließlich elektrische Geige.

Bekannt wurde auch die von Grafiker Carl Schenkel gestaltete Albumhülle von Trout Mask Replica: Das Foto auf der Vorderseite zeigt eine Person vor leuchtend rotem Hintergrund, die sich den präparierten Kopf eines Karpfens als Maske vor das Gesicht hält, wie zum Gruß die rechte Hand erhebt und auf dem Kopf einen kegelförmigen Hut mit einem Federball obenauf trägt.

Weiterführend  Rhythm & Blues lebt davon, dass die Ambivalenz bewahrt wird. Dieses Album wurde veröffentlicht, als Country noch Country war, es gab kein Alternative, was das Rätsel aufgab, was genau man hörte. Die Cowboy Junkies nahmen Blues, Country, Folk, Rock und Jazz und verlangsamten es stark und schufen dabei etwas Neues. Wir betrachten die Geburtshelfer der Americana. Des Weiteren eine Betrachtung des tiefgründigen Folk-Songs: Both Sides Now. Wahrscheinlich hat selten ein Musiker die Atmosphäre einer Stadt so akkurat heraufbeschworen wie Dr. John. Die Delta-Blues-Progression des Captain Beefheart muss dahinter nicht zurückstehen, eine gute Einstimmung für sein Meisterwerk Trout Mask Replica. Wir lauschen der ungekrönten Königin des weißen Bluesrock. Und dem letzten Werk der Doors. Unterdessen begibt sich Eric Burdon auf die Spuren vom Memphis Slim. In der Reihe mit großen Blues-Alben hören wir den irischen Melancholiker. Lauschen dem Turning Point, von John Mayall. Vergleichen wir ihn mit den Swordfishtrombones, von Tom Waits und den Circus Songs von den Tiger Lillies. Und stellen die Frage: Ist David Gilmour ein verkappter Blueser?

Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch. Daher auch schnellstens der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe

 

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