Fake Jazz

Jazz is not dead, it jut smeals funny

Frank Zappa

Jazz gespielt mit der Energie von Punk, das war zu Beginn der 1980-er Jahre „der letzte heiße Scheiß“. Die Lounge Lizards waren ein sechsköpfiges New Yorker Ensemble, das 1978 von den Brüdern John und Evan Lurie gegründet wurde, sie ließen sich von avantgardistischen Freejazzern wie Sun Ra, Albert Ayler, Ornette Coleman und John Coltrane beeinflussen. Ergänzt werden diese Einflüsse durch experimentelle Punkrock-Einflüsse von No-Wave-Künstlern, die im Underground der damaligen Zeit eine herausragende Rolle spielten. Gitarrist Arto Lindsay war zuvor Mitglied der Noise-Punk-Band DNA.

Kunstformen sollten sich verändern und wachsen und eignen sich oft besser dazu, sich außerhalb ihrer ursprünglichen, leicht typisierbaren Blasen auszudehnen. Für manche mögen die Ergebnisse zu schnell, zu frei oder zu hart sein, aber diese Eigenschaften machen sie nicht weniger gültig. Die Lounge Lizards zeigen auf ihrem selbstbetitelten Album eine große Sehnsucht nach dieser Art der Klangerkundung. Aufbauend auf dem Bebop-Jazz wurden in eklektizistischer Manier Bestandteile des klassisches Jazz und des Punk amalgamiert, woraus John Luries Begrifflichkeit des „fake jazz“ resultierte. Wir hören auf dem ersten Album eine streng organisierte Anarchie, die mittels vorgefertigter Patterns elegant mit der Jazzgeschichte und den Codes der Filmmusik kokettiert. Es beginnt mit videospielhaften Synth-Arpeggien und geht weiter mit völlig eckigem, amelodischem Free-Jazz-Spiel der Band. Eine besonders Wahl, die das Album bemerkenswert macht, sind die Thelonius Monk-Cover-Versionen von „Well You Needn’t“ und „Epistrophy“. Diese Adaptionen zeigen, man sich Bebop zeitgemäß anverwandelt, die Musiker zollen einem Jazzkünstler Tribut, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Normen des Genres selbst zu enträtseln. Während Monks Subversionen etwas subtiler waren und ungewöhnliche Phrasierungen und Notenwahlen sowie Dinge wie das Spielen von Moll-Standards in Dur verwendeten, dekonstruierten die Lounge Lizards sein Werk vollständig und erzielten eine schillernde Wirkung. Sie nehmen die ohnehin schon seltsame Melodie von „Well You Needn’t“, verstimmen sie, um sie noch seltsamer zu machen, und überdecken sie mit viel härterem Schlagzeug, dissonantem Klavier und übertriebenen Saxofon-Einsätzen. Sie nehmen „Epistrophy“ und schneiden die Länge in zwei Hälften, wobei sie ausgewählte Teile davon auswählen, um sie fast bis zur Unkenntlichkeit zu biegen.

In der Tradition der Wagemutigen nehmen sich die Lounge Lizards die subtile, sanfte und schöne musikalische Dekonstruktion, die den Jazz ausmacht, und verwandeln sie in etwas sehr Dunkles, Jenseitiges und Zackiges. Die Drums sind voller geradlinigerer, rockiger Grooves und Licks. Die Gitarre macht fast immer etwas Dissonantes und Unbeholfenes. Die Tasten und das Saxophon ähneln einem griechischen Gott oder dem Teufel und können viele verwirrende und unzusammenhängende Formen annehmen. Der Bass ist ein unbeweglicher Boden, der stets einen festen Groove behält. Die Melodien wirken oft dissonant und nicht eingängig im typischen Sinne. In Songs wie „Fatty Walks“ experimentiert die Band sogar mit Tempowechseln, die für Jazz völlig untypisch sind.

Eine solche Achterbahnfahrt ist die Geschichte vieler Titel auf diesem Album. Die Songs sind leicht verdaulich und dauern im Durchschnitt etwa drei Minuten auf der gesamten Tracklist, aber die Band zeigt in jedem von ihnen eine verblüffende Dynamik. „Harlem Nocturne“ ist ein ausgesprochen entspannter, entspannter Nacht-Swing, komplett mit halbdissonanten Keyboard-Schwellungen, einer groovigen Rhythmussektion und stilvollen Saxofon-Leads. Im Gegensatz dazu wirkt „Do The Wrong Thing“ mit seinen funkigen, rockigen Drums ironisch. Es ist voll von Off-Gitarrenlärm im No-Wave-Stil, schrillen elektrischen Tasten mit Sun-Ra-Geschmack und schizophrener Leadarbeit seitens der Luries. Es gibt dissonantes Klavierhämmern, enge Stop-Start-Passagen und einen Free-Jazz-Freakout, der „Au Contraire Arto“ hervorhebt.

Aber sie können auch anders. Die Lounge Lizards ihre eigene Version einer Ballade, die einfach den Titel „Ballad“ trägt. Sie ist sehr langsam, schafft es aber, in Lärm und Dissonanzen zu versinken, wobei nur das Schlagzeug und der Bass sie zusammenhalten. „Wangling“ sticht als rasend schnelles Biest mit Bebop-Einschlag hervor und schrie „RAR!“ RAR! RAR!“ Der Gesang findet Eingang in „Conquest of Rar“. Die Musiker sind für diese Album zusammengekommen, um Jazz zu machen, den man kaum als verrückt bezeichnen kann. Sie sind hart, seltsam und dissonant, aber immer nachdenklich.

Die Lounge Lizards hatten die höhnischen, misstrauischen Untertöne des Punk-Geistes im Vokabular und in den Arrangements eines geradlinigen Post-Bop-Acts nachzuahmen. Dieses Album ist voller ikonischer Bedrohungen, die Band ironisierte die Haltung des Jazz und verknüpfte die Expression des Punk mit den ultracoolen Posen der Film-Noir-Ära. Das erste Album The Lounge Lizards wurde von Teo Macero produziert, der zuvor bereits für Bitches Brew von Miles Davis aktiv war.

Im November 1981 spielten sie erstmals in Deutschland beim Jazzfest Berlin. Nach der offiziellen Anerkennung war es fast schnell vorbei, wie die Laufzeit eines räudigen Punk-Rock-Stücks.

 

 

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The Lounge Lizards, Editions EG, 1981

Weiterführend Der Musikkritiker Ben Watson bezeichnet Zappas Mothers of Invention als „politisch wirksamste musikalische Kraft seit Bertolt Brecht und Kurt Weill“ wegen deren radikalem, aktuellen Bezug auf die negativen Aspekte der Massengesellschaft. So besehen war Frank Zappa neben Carla Bleys Escalator Over The Hill einer der bedeutendsten und prägendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Die Komponistin führt uns vor Ohren, dass Improvisation ein gesellschaftspolitisches Idealmodell ist. Andere Nebenwege starten mit der Graham Bond Organisation, dem Blues… und diese Abwege münden in suitenartigen Kompositionen. Musikalisch konnte man seinerzeit auch Traffic nicht genau einordnen. „Extrapolation gilt heute als eines der klassischen Alben des britischen Jazz, auf dem „Jazz und Rock paradigmatisch fusioniert“ werden.“, schrieb Ulrich Kurth. Das Album dürfte neben Hot Rats von FZ für den Beginn des Jazz-Rock stehen.Es ist eine einzigartige Fusion so vieler unterschiedlicher Stile, was die eine Hälfte der Freude ausmacht; die andere Hälfte ist das Mysterium, wie es die Combo mit den wechselnden Besetzungen von Anfang bis Ende so wunderbar hinbekommt. Wenn man bedenkt, wie frei von allen Konventionen Soft Machine aus Canterbury klang, seit sie den Titel des Cut-up-Romans von William S. Burroughs angenommen hatte, hätte der Pate ihre Hinwendung zu den sich wandelnden Jazzformen zu Beginn der 1970er Jahre wahrscheinlich begrüßt. Fast alles, woran Steve Winwood beteiligt war, hatte etwas für sich, aber in all den Jahren hatte er seine besten Momente mit Traffic, mit zeitlichem Abstand lässt sich hören, wie gut diese Musik gealtert ist. Zu hören ist auch auf „Bitches Brew“ ein kollektives Musizieren, das Miles Davis als einen Komponisten erweist, der individuelle Freiheit mit respektvollem Zuhören vereint. Aus dem schillernden Klangbild der Lounge Lizards brechen reizvolle Statements hervor. Anton Fier belebt ein groovendes Energiefeld mit abstrakter Vieldeutigkeit. Spannend sind John Luries freidenkerische Dekonstruktionen der Jazz-Strukturen; Fake Jazz erscheint plötzlich als das Eigentliche!