Eine schwer erklärbare Unruhe erfüllte das ganze Album. Bei „Careering“ kämpfte eine Basslinie heftig gegen einen fast unerträglichen Haufen elektronischer Schreie an. „Radio 4“ klang wie Muzak von jenseits des Grabes, und „Bad Baby“ erzählte eine seltsame, spannende Geschichte inmitten heftiger Limbo-Drums, Bass und dem Dröhnen von Casio-Synthesizern. Am beunruhigendsten war das schreckliche Drama von „Poptones“ mit seiner endlosen, zyklischen Gitarrentonfolge, deren Wirkung ein alptraumhaftes Déjà-vu war.
Ben Smith
Nachdem John Lydon aus der Boygroup Sex Pistols ausgestiegen war, gründete er die Band PiL. Adabei sein alter Freund Jah Wobble als Bassist, der Gitarrist Kieth Levene von The Clash und der Schlagwerker Jim Walker. Sie bekamen selbstverständlich sofort einen Plattenvertrag und veröffentlichten wenige Monate nach Gründung im Oktober 1978 die Debütsingle Public Image. Musikalisch begann die Combo mit experimenteller Rockmusik und New Wave. Bereits vor der nächsten Single Death Disco begann mit dem Abschied von Walker der ständige Besetzungswechsel in der Band. Mit Richard Dudanski als Schlagzeuger entstand das zweite Album Metal Box, das tatsächlich, wie der Name besagt, in einer Blechdose veröffentlicht wurde. Das ursprüngliche Maxi-Single-Format des Albums verweist auf gängige Veröffentlichungen in der Dub-Szene. Das Album sah aus wie eine Filmrollendose und enthielt 12 Songs auf 12 Zoll- Schallplatten. Die Aufnahmen vereint Einflüsse aus Krautrock mit Elementen von Punk, Dub, Industrial, Ambient, Funk und Noise. Musikalisch ist das Album ist geprägt von Jah Wobbles tiefen, repetitiven Basslinien und Keith Levenes metallisch klingender Gitarre.
Für Sänger John Lydon bedeutete das experimentelle bis kokophonische Album die endgültige Abkehr von seinem medienwirksamen Image als Frontmann der Sex Pistols.
Den Image-Wechsel, den Lydon vom Stumpf-Rock der Pistols zum experimentellen, jedoch wesentlich raffinierteren Public Image Ltd. machte, trug zu Illusion bei, die Idee zu revolutionieren, dass Punk kantig bleiben und gleichzeitig musikalische Grenzen verschieben könnte. Darum ging es eigentlich beim Post-Punk: den Ethos des DIY in unbekanntes musikalisches Terrain zu tragen. Punk wurde von Außenseitern geboren, die Rock in seinem Kern liebten, mit all seinen harten Gitarrenakkorden, ungeschliffenen Vocals und geradlinigen Texten.
Abgesehen vom Albumcover aus British Steel ist alles an Metal Box Avantgarde. Der 10-minütige Eröffnungstrack Albatross hat den Sound einer alptraumhaften Disco. Auf einer meta-Ebene symbolisieren Albatrosse zuweilen Pech oder emotionale Belastungen, womit Lydon auf seinen kürzlichen Ausstieg bei den Sex Pistols anspielen könnte. Tracks wie Memories und Careering haben treibende Basslines, die leicht die Hauptattraktion sein könnten, wenn man sich nicht beim Versuch verliert, Lydons kryptischer Lyrik einen Sinn zu geben. Socialist (zeitweise das Intro-Stück von John Peels-Music) und Graveyard sind beides Instrumentalstücke. Das ist das Einzigartige an diesem Album. Egal, wie trostlos oder entfremdet man sich von Lydons trödelndem Gesang fühlt, Jah Woobles Basslinie verschwindet nie. Der Groove hört nie auf. Die Aufnahmen zu Metal Box sind erbarmungslose Musik – Levene haut auf seine Gitarre ein wie ein Schlachthofarbeiter, Wobble lässt eine geloopte, zitternde Basslinie herausrollen – wird von absolut mitleiderregendem Gesang begleitet: Lydon schüttelt seine Vergangenheit ab und häutete sich für diese Album zum Künstler.
This person’s had enough of useless memories
Memories ist ein verbitterter Exorzismus: Mit der Zeile „dragging on and on and on and on and on and on and on and ON“ könnte Lydon beinahe seinen eigenen nörgelnden Gesang und seine fixierten Texte kommentieren, und dann spuckt er über einem atemberaubenden Breakdown im Disco-Stil „This person’s had enough of useless memories“ aus. Mit Swan Lake wird Lydon von einer unerträglichen Erinnerung heimgesucht, die er nicht vergessen möchte, dem Anblick seiner Mutter, die langsam und qualvoll an Krebs stirbt. Die würgende Qual in Lydons Texte findet sich auch in Silence in her eyes. Der Song Poptones trieft vor beißender Ironie. Die Gegenüberstellung von künstlich erzeugtem Glück und absolutem Horror ist ein typischer Post-Punk-Schachzug, der Pop als geschönte Lüge entlarvt, die die rohe Schrecklichkeit der Realität maskiert: für einige Post-Punk-Gruppen ist es ein existenzieller Zustand und für andere eine politische Angelegenheit. Auf Poptones bringt dieser Impuls, die Wahrheit zu sagen, einen von Lydons lebendigsten Texten hervor:
Ich verstecke mich nicht gerne in diesem Laub und Torf / Es ist nass und ich verliere meine Körperwärme
Wobbles geschmeidig gewundener Bass schlängelt sich durch Levenes Funkenkaskaden. No Birds Do Sing übertrifft die vorangegangenen fünf Songs. Levene hüllt den mörderischen Wobble-Dudanksi-Groove in eine giftige Wolke aus Gitarrentextur. Lydon untersucht eine englische Vorstadtszene, deren Gelassenheit nicht weiter von der des unruhigen Nordirlands entfernt sein könnte, und bemerkt in sarkastischer Anerkennung den „langweiligen, geplanten, müßigen Luxus“ und die „gut gemeinten Regeln“. Von „The Suit“ bis hin zur panischen Bedrohung von Chant, einer wilden Momentaufnahme der Stammesgewalt auf den Straßen von 1979. Metal Box ist ganz zweifellos ein Meilenstein, aber ein seltsam isolierter. Wurde er zuvor vom Manager der Sex Pistols verdorben, so verwandelte sich Lydon nach diesem Album selbst in einen Wiedergänger von Malcolm McLaren. Friede seiner Masche.
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Metal Box, PiL, 1979
Metal Box ist das zweite Studioalbum der britischen Combo PiL und wurde am 23. November 1979 in der namensgebenden Filmdose in Großbritannien auf den Markt gebracht. Ein alter Kumpel hatte eine Ausgabe davon, sie fing nach einiger Zeit an zu rosten. Die internationale Veröffentlichung erfolgte als Doppelalbum im Gatefold-Cover unter dem Titel Second Edition. Alle Aufnahmen passen jedoch bequem auf eine CD.
Weiterführend → Wir verorten auf KUNO die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch eher der Garagenrock? – Lässt sich davon der verschwitzte Proto-Punk der New Yorker Proll-Combo ableiten? Oder hatte der testosterongesteuerte Punk gar eine Ur-Mutter? – Der Titeltrack des Albums ist der mit Abstand spektakulärste und zeitloseste Titel des Albums. Bis heute ist Blank Generation der Song, der wohl größer ist, als die Band, die ihn produziert hat. Dies ist das beste Album, das die Buzzcocks nie gemacht haben. Kaum ein Song beschreibt den beginnenden britischen Punk besser als „Oh Bondage Up Yours!“. Es ist ein Zeichen von Chuzpe, wenn sich eine von Männern dominierte Szene, eine Combo von Frauen The Slits nennt. Waren die Pistols die erste Boy-Group? Johnny Rotten predigte Anarchie, The Pop Group praktizierte sie. PiL has his future in a British Steel. Klingt die Trostlosigkeit des Rust Belt nach Punk oder Industrial Folk? Tuxedomoon spielten einen hypnotischer Synth-Punk. Gegen Fresh Fruit for Rotting Vegetables hört sich alles andere wie Pop an. Retten kann uns die Schönheit der Tenorstimme des Punk. Zu Monarchie und Alltag gibt es einen Bericht zur Lage der Detonation. – Weitere ungelöste Fragen: Stellen die The Ruts mit einem Album das Lebenswerk von The Clash in den Schatten? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave? Oder stellt Polyrythmik den Höhepunkt dar? Eine Würdigung der südafrikanischen Tekkno-Punks Die Antwoord. Eine Seitenbemerkung über den Industrial-Punk der Nine Inch Nails aus Cleveland, Ohio. Thrash Metal ist das Resulthat der Verschmelzung der Energie und Geschwindigkeit des Hardcore Punk mit den Techniken der New Wave of British Heavy Metal. Die Alben von Wire stellen in beeindruckender Weise dar, was aus Punk hätte werden können.
Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch, sowie eine Rock and Roll Hall of Fame. Daher der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe