1945, als ich von der Army kam, hörte ich einen achtzigjährigen Cockney in einem Londoner Pub von jemandem sagen, er sei „as queer as a clockwork orange“. Der Ausdruck faszinierte mich als eine Äußerung volkstümlicher Surrealistik.
Anthony Burgess
Stanley Kubrik wollte dem Film eine traumähnliche, fantastische Qualität verpassen und verwendete für viele Szenen Ultraweitwinkeobjektive. Außerdem benutzte er Zeitraffer und Zeitlupe. A Clockwork Orange ist ein typischer Kubrik-Film, er ist im ersten Moment irritierend und schockierend.
Der Film spielt im England der nahen Zukunft. Alex, ein eigentlich intelligenter Teenager, erzählt seine Geschichte selbst: Aus Spaß an der Gewalt verbringen er und seine drei Freunde ihre Zeit damit, wahllos wehrlose Opfer brutal zusammenzuschlagen, auszurauben und, sofern diese Frauen sind, zu vergewaltigen. Schlägereien und Messerstechereien mit anderen Banden, mit denen sie um die Vorherrschaft in ihrer Gegend konkurrieren, sind an der Tagesordnung. Es werden in Milch aufgelöste synthetische Drogen wie Drenchrom, Synthemesc und Vellocet konsumiert. Die Polizei steht dem herrschenden Verbrechen weitestgehend machtlos gegenüber und verkommt teilweise selbst zum Schlägertrupp. Alex’ Eltern sind unfähig, auch nur zu versuchen, auf ihn Einfluss zu nehmen. Er respektiert sie nicht im Geringsten.
Alex’ Freunde sind mit seiner Führungsrolle in der Gruppe nicht mehr zufrieden. Es gibt Unstimmigkeiten, und bei einem ihrer Raubzüge lassen sie ihn im Stich und überlassen ihn der nahenden Polizei. Das Opfer ihres Verbrechens stirbt unglücklicherweise an den Misshandlungen, sodass Alex wegen Mordes angeklagt und zu 14 Jahren Haft verurteilt wird.
Wegen seines unterwürfigen Verhaltens wird Alex für ein neuartiges Experiment der Gehirnwäsche vorgeschlagen, welches ihn zu einem guten Bürger umerziehen soll. Dabei wird er so konditioniert, dass er unfähig zur Gewalt wird, weil ihm der Gedanke an Gewalt sofort Übelkeit verursacht. Seine moralische Einstellung zur Gewalt ändert sich dadurch allerdings nicht. Im Vorfeld warnte ihn der Gefängnispfarrer vor den Konsequenzen:
Wenn ein Mensch nicht wählen kann, hört er auf, Mensch zu sein.
Nach der 14-tägigen Behandlung wird Alex als „geheilt“ in die Freiheit entlassen. Zunehmend wird deutlich, dass auch in die Gesellschaft integrierte Bürger ihm „ein paar verpassen“ wollen, da sie jetzt die Möglichkeit haben. Er trifft auf einige seiner Opfer und wird zusammengeschlagen.
Eins seiner Opfer (dessen Frau Alex vergewaltigt hat) engagiert sich – ironischerweise – gegen die Brutalität und Unmenschlichkeit des staatlichen Systems. Es versucht, Alex in den Selbstmord zu treiben, um von seinem Tod politisch zu profitieren, aber auch, weil ihm durch einen Zufall bewusst wird, wer dieses „Opfer der modernen Gesellschaft“ tatsächlich ist. Alex überlebt jedoch und erwacht im Krankenhaus. Fortan ist er wieder zur Gewalt fähig.
Die politischen Machthaber arrangieren sich mit ihm, um bei der anstehenden Wahl nicht unter seiner Geschichte leiden zu müssen. Der Systemgegner wird weggesperrt. Alex erhält einen gutbezahlten Job und findet neue Freunde, mit denen er wiederum Unheil stiftet. Doch die Gewalt macht ihm keinen Spaß mehr. Er merkt, dass er älter wird, und als er einen seiner früheren „Droogs“ (Nadsat für „Kumpels“) trifft, der gerade eine Familie gegründet hat, träumt er selbst von einer Familie und merkt schließlich, dass sich das Uhrwerk weiter dreht und er ihm nicht entrinnen kann.
Die Gewalt wird ästhetisiert, wobei die Handlung zur Zeit der Filmproduktion bereits realitätsnäher war als im damals vorliegenden Buch. Die Selbstverständlichkeit, die Alex bei seinen gewalttätigen Handlungen zunächst an den Tag legt, zeigt Kubrick, indem er die von brutaler Gewalt dominierten Szenen durch heitere klassische Musik untermalt. Das Leid seiner Opfer scheint Alex nicht im Geringsten zu berühren.
Kubricks Ablehnung des Establishments kommt auch in diesem Film zum Ausdruck, wenn er der Regierung Machthunger und der Wissenschaft Allmacht unterstellt. Der Film bezieht sich auf das zunehmende Unsicherheitsgefühl der westlichen Gesellschaft. In England verbreiteten Jugendbanden wie Rocker, Mods und Skinheads Angst und Schrecken. Zur selben Zeit begannen die Anhänger der Antipsychistrie, sich gegen die Techniken der psychologischen Konditionierung zu wenden und den Missbrauch der Psychopharmakatherapie anzuprangern, der der Protagonist Alex zum Opfer fällt.
Die Gesellschaftskritik wird darin am deutlichsten, dass Alex der permanente Verlierer ist; von seinen Droogs verraten, als Mörder eingesperrt, als Versuchsobjekt von der Wissenschaft missbraucht, von einem zynischen Schriftsteller als politisches Vehikel eingespannt – und zu guter Letzt entschuldigt sich der Innenminister bei Alex, denn er diente nur dazu, das Image der angeschlagenen Regierung wieder aufzupolieren. Jede Institution tut das aus ihrer Sicht moralisch Richtige, verfolgt dabei aber stets nur die eigenen Interessen auf Kosten des Individuums.
Über die Bedeutung der Botschaft des Films herrscht Uneinigkeit. Eine Interpretation des Films sowie der Buchvorlage geht beispielsweise dahin, dass jedem Menschen die Freiheit zugestanden werden sollte, sich schlecht und falsch zu verhalten; denn ein Individuum, das gezwungen wird, sich gut zu verhalten, ist indoktriniert und zu keiner eigenständigen Persönlichkeitsentfaltung fähig.
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A Clockwork Orange von Stanley Kubrik, 1972
Weiterführend → KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp.