„Alles klappt in ihrem Leben. Doch nichts glückt.“

Kapitalismus bleibt übrig, wenn Rituale oder elaborierte Symbolwelten kollabiert sind und nur noch der Zuschauer–Konsument durch die Ruinen und Relikte wandert.

Mark Fisher

Weigonis Novellenbuch endet mit: … übrigens gibts ein Leben nach der Kunst, vielleicht ist es das bessere. Who cares?

Als ich das ‚Kunstwerk‘ ausgelesen hatte, verspürte ich umgehend die Sehnsucht nach einem (wenigstens) anderen Leben. Die Novellen hatten mich in eine künstliche Welt medialer Kunst hineingezogen. Immerhin kostet das 319 Seiten umfassende Buch mich Wochen, da ich es nur langsam lesen und verstehen konnte.

Bei durchaus vorhandenen Ätschen-Teilen zieht es immer wieder in intensiv geschilderte Szenen und in nachdenkenswerte Dialoge hinein, die in der jeweilig dazu gehörigen Fachsprache geführt werden. Allein wer diese Szenen nachfühlen und die Dialoge verstehen will, braucht Zeit und nicht selten Fachwörterbücher. Natürlich lassen sich, ganz der real virtuellen Welt dieser Lektüre gehorchend, die meisten den jeweiligen Fachjagons entlehnten Wörter auch stilgerecht ergooglen.

Lautmalend verdichtet

Unüberlesbar ist der Autor ein begabter Lyriker. Er versteht es, die Erlebnisse seiner Protagonisten auch lautmalend so zu verdichten, dass er seinen Lesern damit zumutet und ermöglicht, sie immer wieder durch eigene dazu fantasierte Wortbilder und Vermutungen aufzulockern.

In einer dem Kapitalismus dienenden Welt gerät, wenn der Leser sich auf die Folgerungen des Autor einlässt, offenbar alles zum Geschäft und nimmt sowohl als Hobby und als auch als Beruf Liebhaber sowie Profis in seinen Besitz.

Die Mediensprache – einschließlich ihrer mehr oder weniger originellen Werbesprüche und Politphrasen – wird zu beherrschenden Alltagssprache, welche die Muttersprache im eigentlichen Sinne überlagert, verdrängt oder gar zu widerlegen versucht.

Krimi und Liebesgeschichten

Weigonis Novellen haben dabei durchaus aufregende Krimi-Anteile. Selbst Liebesgeschichten kommen nicht zu kurz. Dennoch bleiben die daraus entstehenden Spannungshöhepunkte und emotionalen Szenen irgendwo zwischen Realität und Virtualität stecken. Sie hinterlassen den Eindruck, als würden die Protagonisten nicht leben sondern sich gegen eine gewisse Langeweile um ein vermeintlich zeitgemäßes selbst bestimmtes Leben bemühen. Eigentlich aber werden sie gelebt

Spannendes Detektivspiel

Für den Leser bleibt das Buch bei aller Verstehensmühe dennoch ein spannendes und verzwicktes Detektiv-Spiel auf der Suche nach einem erfüllteren Leben mit mehr Tiefe – und das umso mehr,  je weiter die handelnden Personen sich davon entfernen.

Der von ihnen angestrebte Cyberspasz gleicht bei allem Bemühen um individuelle Originalität eher seichter Comedy und nicht jenem tiefgründigen Humor, der durchaus noch lebenslustvermittelnd sein könnte.

Massenmedien lässt der Autor feststellen, forcieren das niedere Niveau, züchten es gar teilweise.

 „Alles klappt. Doch nichts glückt.“

Das utopische Konzept der Eigenverantwortung einer Declaration of Independence als MAGNA CHARTA FÜR DAS ZEITALTER DES WISSENS in Weignonis Buch behauptet. Cyberspace sei das Land des Wissens, und dessen Erforschung die wahrste und höchste Berufung der Zvilisation.

Selbst wenn das für die Zivilisation stimmen mag, drängt sich dem Leser unweigerlich die Frage auf, wie es um unsere Kultur steht.

Bei ihr geht es nur angeblich um Aufklärung und eigentlich um deren Wiederverschleierung durch so genannte Wirtschaftwissenschaften und Medien.

Somit kommt Weigoni über das Zusammenleben seiner Figuren zu dem Fazit:

Zusammenhang gibt es nur durch Zitate, Wiederholungen, Wörterschleifen und Textspiralen. Alles klappt in ihrem Leben. Doch nichts glückt.

Ein Buch für kritische Leser, das bei allen vermittelten Sach-Inhalten dennoch ein ausgesprochen belletristisches geblieben ist und daher nacherlebbar unsere kapitalistische Bild und Wort verwertende Mediengesellschaft zu durchschauen hilft.

 

 

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Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Covermontage: Jesko Hagen

Weiterfühend →

KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Betty Davis sieht in Cyberspasz eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt in der real virtuality eine hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.