Zwischen der „exklusiven Liebe“ aus dem Jahr 2009 (Luchterhand) und den „fünfhundert besten Freunden“ aus dem Jahr 2013 zeichnen sich keinerlei verbindende Erzählweisen im Werk von Joanna Adorján ab. Die hingebensvolle Beschreibung ihrer Großeltern, die sich im Jahre 1991 in Budapest gemeinsam das Leben nahmen, ist in den jüngst veröffentlichten Geschichten über eine staatliche Zahl von Freunden einer lakonisch-distanzierten und oft auch boshaft-zugespitzten Darstellung im großstädtischen Büro- und Liebesdschungel gewichen. Der Begriff ‚Darstellung’ erweist sich insofern als zutreffend, als die aus der Perspektive der Erzählerin beobachteten „fünfhundert Freunde“ stets bemüht sind, irgendeine Rolle zu spielen, um sich im postkapitalistischen Erwerbsbetrieb gegenüber der überall lauernden Konkurrenz zu behaupten. Die Grundmuster wiederholen sich: Da ist es die „gute“ Freundin, die einer Mitbewerberin die falschen Ratschläge erteilt, damit sie selbst beim attraktiven Bürovorsteher ankommt und die Konkurrentin ausschaltet; da ist es die Eitelkeit, die den sicheren Anwärter auf einen Journalisten-Preis blind vor Eigenlob werden lässt, und da ist es die ständige Sucht nach dem perfekte Outfit, um die Konkurrenten bei irgendwelchen Gunstzuweisungen auszustechen. Die Kontraste zwischen der geheuchelten Freundlichkeit auf den Gesichtern und den abwehrenden Gefühlen in den Innenwelten der Gestalten verstärken sich und schwächen sich wieder ab, sobald die Körper kurzweilig zueinander finden. Doch es bleiben die unüberbrückbaren Widersprüche, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Ambitionen geht. Die Liste der Zeitgenossinnen, die ihre maliziösen wie auch liebenswürdigen Eigenschaften entwickeln, ist lang. Sie beginnt mit der kleinen Eva, die „Mäntel mit echten Pelzkragen trug, die sie auszustellen pflegte, als stünde sie an einem zugigen Bahnsteig in Moskau und der Zar wäre eben tot.“ Mit ihr trifft sich die Erzählerin sehr oft im mondänen und sündhaft-teuren Restaurant Borchardt an der Französischen Straße, um Klatschgeschichten auszutauschen, ab und zu einem angeblich berühmten und ebenso eitlen Filmregisseur kokette Blicke zuzuwerfen oder sich an dem geschäftstüchtigen Lächeln der Kellner zu erfreuen.
Eine deftige erotisch-sexuelle Variante in den oft kurzlebigen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern verkörpert Jelena, die „im Bett … auf die Genfer Menschenrechtskonvention“ pfeift, und mit ihrem Lover Christoph etliche heiße Nummern abzieht. Solange bis Steffi, die Lebensabschnittsbegleiterin von Christoph, ihre Nebenbuhlerin in flagranti erwischt, und … mit Jelena ein inniges Verhältnis eingeht, bei dem Christoph Augenzeuge sein darf.
Für den Filmstar Anna, die im Edel-Hotel Adlon ein ganztägiges Interview mit einem Fach-Journalisten wahrnehmen muss, gestaltet sich der Alltag weitaus nüchterner. Sie spielt im Reigen der geltungssüchtigen Großstadtbewohner notgedrungen eine ganz andere Rolle. Als ständig gestresste Mutter einer Tochter im schwierigen Alter von zwei Jahren und als Ehegattin eines ambitionierten Geschäftsmanns ist sie auch an diesem Tag überfordert. Die Babysitterin sagt kurzfristig ab, ihre gute Freundin ist verhindert und auch ihre eine Mutter, die mal wieder einen dringenden Friseur-Termin hat, kann nicht. Was dann vor und während des Interviews abspielt, gleicht einer Filmszene, in der die Hauptdarstellerin, unter Menstruationsschmerzen leidend, ab und zu das Interview unterbrechen muss, weil Lucy im Nebenzimmer nach ihr schreit.
Die Erzählerin, die dann und wann die Lust überkommt, berühmt zu werden, hätte durchaus auch die Chance, für wenige Momente ins Rampenlicht der Berühmtheit zu treten. Schließlich kennt sie die Klatschreporterin Delia Naters, die mit einem Filmregisseur befreundet ist. Auf Zureden von Delia macht der während eines Filmfestivals ein paar Probeaufnahmen. Das Filmteam ist begeistert. Ihre Begabung sei einfach großartig. Auch ihr Dialogpartner, der Jahrhundertschauspieler A., lobt sie wegen ihres großen Talents. Ihr Einstieg in die Filmszene sei absehbar. Doch die Ernüchterung kommt am nächsten Tag. Noch nicht einmal in der Zeitung stand etwas darüber. Schuld daran, so die Erzählerin, sei sicherlich die üble Klatschreporterin Naters gewesen.
In den dreizehn Erzählungen entwickeln sich die Plots aus der Perspektive einer Erzählerin, die langjährige Erfahrungen als Journalistin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesammelt hat. Ihr beruflicher Umgang mit den kleinen und großen Berühmtheiten der unterschiedlichen Kulturszenen zeichnet sich in stilistischen Verfahren ab, die zwischen verknappten Dialogszenen, ironisch gefärbten Augenblicksreflexionen, abgebrochenen innigen Monologen und oft auch holzschnittartig montierten Beobachtungen variieren. In der Summe entsteht daraus ein ambitioniertes Feuilleton, das die conditio humana schlaglichtartig beleuchtet, die Lächerlichkeit und die Eitelkeit der Akteure erfasst und sie sogleich wieder in die Bedeutungslosigkeit versenkt. Depression-Feuilleton heißt eine ihrer Erzählungen. In ihr taucht eine legendäre Gestalt auf, die als gescheiterter Filmregisseur immer wieder im Blickwinkel der Erzählerin auftaucht und verschwindet, so wie die meisten anderen „fünfhundert“ Protagonisten. Der postkapitalistische Verwertungsprozess braucht eben ständig neues, journalistisch aufbereitetes Futter.
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Meine fünfhundert besten Freunde. Stories von Joanna Adorján. 256 S. Leinen. Gebunden mit Lesebändchen. München (Luchterhand).