Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen
Werner Schwab
Mit dem nachfolgenden Band flug (spuren) setzt die Lyrikerin Sophie Reyer fragile und doch kraftvolle, sinnlich konkrete Miniaturen vor und vertraut auch hier auf die Überzeugungskraft leiser Töne. Auch in diesem Band findet sich eine formale Vierteilung. Sie beginnt mit miniaturen (froschperspektive), setzt sich fort in kleinzeiler (parallelprojektionen), unter denen sich die größte Anzahl von Lyrismen findet und schwingt sich schließlich auf zu stream (vogelperspektive), dem abschließend in einem epilog: froschperspektivesind sieben ganz kurze Gedichte nachgeordnet sind, die man als eine Art geläuterte Rückkehr zum Ausgangspunkt verstehen kann. Diese Lyrik führt oft Geistergespräche, sie erhört die Stimmen der Vergangenheit, lauscht dem Kommenden seine Geheimnisse ab und gibt dem Hier und Jetzt eine Gestalt.
Reyer ist ein Wortspielerin, eine Fährtenlegerin, eine Wörter– und Kleinigkeiten–Sammlerin. Es gelingen ihr Momentaufnahmen einer beschädigten Welt und zarte Skizzen der Hinfälligkeit. Ihre Gedichte sind nie schwer und schwarz, sondern bei allen Melancholien immer licht und transparent. Es ist ein postminimaler Sound mit Gespür für Tiefe und Eleganz, eine Leichtigkeit, mit der Reyer Dinge zu verknüpfen versteht, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, das Jonglieren mit verschiedenen Partikeln, die, einmal in die Luft geworfen, ein paar unerwartete Drehungen vollführen, bevor sie an unvorhergesehener Stelle wieder aufgefangen werden. Man muß als Leser ständig mit dem Unerwarteten rechnen. Als ausgebildete Musikerin weiß die Lyrikerin genau wo ein Kontrapunkt zu setzen ist oder wo sie hinter dem Beat bleiben kann. Aus wenigen Wörtern entsteht in diesem Band ein atmosphärisch dichter Mikrokosmos, der gänzlich frei von den üblichen lyrischen Klischees vielerlei poetische Verblüffungen birgt. Eine Verunsicherung im heilsamsten Sinn.
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flug (spuren) von Sophie Reyer, edition keiper, 2012
Weiterführend → Die Redaktion blieb seit 1989 zum Mainstream stets in Äquidistanz.
→ 1995 betrachteten wir die Lyrik vor dem Hintergrund der Mediengeschichte als Laboratorium der Poesie
→ 2005 vertieften wir die Medienbetrachtung mit dem Schwerpunkt Transmediale Poesie
→ 2015 fragen wir uns in der Minima poetica wie man mit Elementarteilchen die Gattung Lyrik neu zusammensetzt.
→ 2023 finden Sie über dieses Online-Magazin eine Betrachtung als eine Anthologie im Ganzen.