die früchte der symbole

zur ausstellung >Weiblichkeit – Sinnlichkeit – Fruchtbarkeit< von sabine kunz in der >FestungMark<

Sabine Kunz beim Drucken des Kunstprojektes „Weiblichkeit-Sinnlichkeit-Fruchtbarkeit“

>Weiblichkeit – Sinnlichkeit – Fruchtbarkeit<, bestehend aus 20 großformatigen farbholzschnitten, die als fahnen gedruckt, sowie 48 druckplatten, die zu 12 über 2 meter hohen stelen zusammengesetzt sind, ist ein komplexes bildkunstwerk. bereits die bindestriche im titel deuten auf zusammenhänge, die ganzheiten formieren. die häufig elementaren und archetypischen symbole und motive der einzelnen arbeiten korrespondieren miteinander, indem sie gegensätze, etwa zwischen liebe und tod, frieden und bedrohung, ewigkeit und endlichkeit, weiblich und männlich, engel und teufel, aber auch fließende übergänge, verwandlungen und symbiosen darstellen. wenn man die grafiken und stelen umgruppiert, verschmelzen die symbole stets neu miteinander und bilden so zusätzlich korrespondenzen. außerdem entstanden durch die präsentation in der >FestungMark< verbindungen und kontraste mit der umgebenden architektur.

die ausstellung der grafiken und stellen war allein schon aufgrund der formen und formate sowie der reichen und zeitlosen symbolsprache etwas außergewöhnliches. die meisten besucher nahmen an den symbolen sicher zuerst das elementare wahr. daneben gibt es jedoch auch viele ambivalenzen. man nähert sich dem komplexen am besten vom einzelnen her. zur archetypischen symbolik, die häufig aus mythen und religionen stammt, gehören formen wie kreis, spirale oder welle. die spirale beispielsweise, die zyklische bewegungen abbildet, kann leben, entwicklung und auferstehung bedeuten. die doppelspirale verbindet leben und tod. bei dante sind die wege ins jenseits spiralförmig.

der einzelne mensch trägt figurationen verschiedener phasen der menschheitsgeschichte in sich und durchlebt sie, die der künstler aufrufen kann. dabei verkörpern symbole oft etwas unbewußtes, das wir anders als durch bilder kaum erfassen können, weil es sich begrifflichem denken eher entzieht. zugleich werden die überlieferten symbole in der kunst natürlich individuell aufgefaßt, gestaltet und variiert. »In dem Maße, in dem die Individualisierung der Menschheit fortschreitet, müssen wir zum Verständnis der archetypischen Reaktion die Einmaligkeit der individuellen Situation berücksichtigen.« schrieb der psychoanalytiker erich neumann in >Die Große Mutter / Eine Phänomenologie der weiblichen Gestaltungen des Unbewußten<. zudem ist die subjektive darstellung des archetypisch weiblichen eine therapeutische möglichkeit, wie überhaupt die entstehung von kunst mit einem prozeß der selbstbefragung, selbsterkenntnis und selbsttherapie einhergeht.

die stelen rufen einen kultischen hintergrund auf. stele bedeutete griechisch ursprünglich aufrecht gestellte steinplatte, gedenkstein, meist grabdenkmal. in der >Ilias< heißt es: »Grabhügel und Stele; denn das ist die Ehre der Toten.« »In Griechenland war ein Hügel, eine Stela, eine Inschrift, eine Bildsäule die höchste Ehre, die dem Begrabenen widerfahren konnte.« schrieb johann gottfried herder. die aufrecht stehenden stelen von sabine kunz könnte man, wenn man sie umdreht, geradezu wirklich als sarg oder totenkahn benutzen. größe und fassungsvermögen dafür hätten sie. andererseits wurde die stele psychoanalytisch wegen ihrer form als symbol der männlichen zeugungskraft gedeutet.

die zwölfzahl der stelen hat zahlensymbolische bedeutungen. bei homer ist die 12 die bevorzugte zahl der götter. das >Gilgamesch-Epos< besteht aus 12 tafeln, der marduktempel in babylon hatte 12 tore. für die juden des altertums war die 12 die zahl der auserwählung und vollkommenheit. der biblische baum des lebens trägt seine früchte 12 mal im jahr, also in jedem monat. bis heute entspricht die 12 der anzahl der monate des jahres, zu denen 12 tierkreiszeichen gehören. biblisch wird die 12 auf propheten und apostel bezogen. die gnosis kannte 12 weltalter. die 4 seiten jeder stele wiederum lassen, wie die 4 elemente oder 4 himmelsrichtungen, an ganzheitlichkeit und umfassung denken.

als betrachter der grafiken und stelen begegnet man einer kraftvollen und dynamischen sinnlichkeit, und ahnt auch, welche körperliche anstrengung die arbeit an den druckplatten verlangt. man könnte geradezu von einem stelenwald sprechen. die künstlerin formt das holz um, indem sie sich in es hineinarbeitet. holz ist muttersymbol und lebensmaterial. lateinisch māteria=materie, (grund)stoff, (bau)material, (bau)holz, vorrat, nahrung, daneben anlage, talent, das auch stamm und schößlinge von fruchtbäumen und weinreben meint, bedeutet wörtlich mutterstoff, abgeleitet von māter=mutter, amme, muttertier, mutterstamm bei bäumen, schöpferin, quelle. vielfach wurde das feuerquirlen aus dem holz mit dem menschlichen zeugungsakt verglichen. im >Rigveda< heißt das drehholz zeuger.

der baum, in dem sich weibliche und männliche symbolik vermischen, ist vor allem wegen seiner blüten und früchte ein fruchtbarkeitsundursprungssymbol, das, wie die mutter, anfang und quelle des lebens darstellt. viele völker kannten geburten von göttern oder der menschen aus bäumen. in schöpfungsmythen der inder und perser sowie altorientalischer, sibirischer, südostasiatischer, afrikanischer und ozeanischer kulturen wird der baum direkt zur lebensquelle. häufig verehrte man weibliche gottheiten als bäume. baumkulte gehörten zur ägyptischen göttin hathor, die man griechisch mit aphrodite gleichsetzte und deren name, haus des horus, zugleich als mutterschoß und haus des himmels verstanden werden kann. im mittelalter wurde maria als lebensbaum aufgefaßt und der baum poetisch mit frau angesprochen. der brauch, bei der geburt eines kindes einen baum zu pflanzen, war weit verbreitet. man sagte, daß in sachsen »die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen«. der arabische geographen al-masudi, gestorben 956, berichtete von mädchen, die »auf Bäumen wachsen und sterben, sobald sie wie reife Früchte herunterfallen.« im orient war die vorstellung vom kinderbaum verbreitet. bei hesiod entstehen die menschen des ehernen zeitalters aus eschen. in mitteleuropa waren insbesondere mit dem maibaum fruchtbarkeitskulte verbunden.

der weltenbaum, der, indem er himmel, erde und unterwelt verbindet und das himmelsgewölbe trägt, als kosmische architektur die ganzheit der welt umfaßt, erscheint gleichermaßen in indogermanischen, orientalischen und buddhistischen kulturen. in kabbalistischen schriften werden die sefiroth, die wirkenden potenzen der gottheit, als pflanzungen bezeichnet und als baum beschrieben oder dargestellt, was ebenfalls den weltenbaum assoziiert. im buch >Sohar< wurde sogar der phallus zum weltenbaum. in der griechischen antike konnte das fällen eines baums entmannung bedeuten.

zugleich sind baum und holz symbole der auferstehung. wie man die abstammung des menschen aus bäumen, die im wort stammbaum weiterwirkt, annahm, so wurden tote in hohlen bäumen bestattet, in ostafrika im bauch mütterlich großer bäume. nicht zufällig hieß auch bei uns der sarg, ein gefäß, das allein schon aufgrund seiner form etwas mütterlich bergendes hat, totenbaum. das sargholz nimmt den toten eingeschlossen wieder in die mütterliche erde auf und birgt ihn so für die wiedergeburt. »Das Holz, das als Krippe und Wiege die gebärende Mutterbedeutung des Baumes, der Hyle, repräsentiert, ist auch die Todesmutter, der Sarko-phag, die Fleischfresserin, der Sarg, der in Baum-Pfeiler-Gestalt den Osiris wie die Nut des Sarges den Toten in ihrem Holze einschließt.« schrieb erich neumann, »Ebenso ist es nicht erstaunlich, daß die christliche Legende aus dem Totenbaum des Kreuzes das Lebensholz, den Lebensbaum, machte, so daß öfters Christus als an einem grünenden und fruchttragenden Lebensbaum gekreuzigt dargestellt wurde.« c.g. jung in >Symbole der Wandlung / Analyse des Vorspiels zu einer Schizophrenie<. durch auferstehung führt die opferung am marterkreuz zur lebenserneuerung. auf einer türkischen darstellung von 1730 mit jenseitsweltsymbolik hängen menschen als früchte von einem baum herab. immergrüne bäume und pflanzen symbolisieren oft auferstehung und ewigkeit. beim nordischen weltuntergang verbirgt sich ein menschenpaar, aus dem dann die erneuerte menschheit hervorgeht, im holz der weltesche yggdrasil.

indem die symbole der weiblichkeit, sinnlichkeit und fruchtbarkeit, mit denen sich sabine kunz seit jahren konzentriert beschäftigt, auf körperliches erleben verweisen, wird der körper selbst zur figur der grafiken und stelen, ja zur verkörperung der welt. der körper der mutter, die erste wohnung des menschen, ist ein zentralsymbol der behütung. die >FruchtbarkeitsgöttinStele<, die besonders unmittelbar geburt und wachstum assoziieren läßt, verbindet die runden formen der brüste und des beckens, die bergen und schützen, im kontrast mit einem oben wie abgeflacht wirkenden kopf, der sich, durch die reduktion der form, der ganzheit des körpers zu entziehen oder gar abkehr vom leben zu signalisieren scheint. ein daneben gesetztes zeichen, das zwei antipodische punkte durch eine wölbung verbindet, bedeutet in der keltischen überlieferung auferstehung.

bei c.g. jung heißt es: »Da, wo die Wege „sich kreuzen“, sich gegenseitig durchdringen und dadurch das Bild der Vereinigung des Gegensätzlichen ausdrücken, da ist auch die „Mutter“, die Gegenstand und Inbegriff der Vereinigung ist. Wo die Wege sich „scheiden“, wo Abschied, Scheidung, Trennung, Spaltung ist, da findet sich Scheide und Spalt, das Zeichen für Mutter und zugleich der Inbegriff dessen, was man an der Mutter erlebt, nämlich Trennung und Abschied.«

das abstrakte zeichen verweist oft entweder auf einen konflikt zwischen körperlichem und unkörperlichem, eine wandlung, die sich vom körperlichen fort zum unkörperlichen hin vollzieht, oder eine entwirklichung. todesbedeutungen wurden häufig abstrakt dargestellt. die ägypter kannten einen strafenden gott im totenreich, der nur zwei striche anstelle des kopfes hatte. indem die kanten der druckplatte den körper teilen, den sie zugleich verbinden, bekommt die >FruchtbarkeitsgöttinStele< zusätzlich etwas schmerzhaftes.

auf anderen grafiken und stelen findet man embryo und schote, blumen und blüten, apfel und birne, fruchtkern und ähre, den fisch im wasser und die laichwanderung der frösche als fruchtbarkeitssymbole, sowie einen märchenhaften, an frau holles jenseitsweltwiese erinnernden apfelbaum. die mythische holle entließ neugeborene aus ihrem unterirdischen reich, beschützte die kinder und empfing die seelen der toten. insgesamt dominieren rote, gelbe und grüne farben, die auch die natur für ihre früchte bevorzugt. das einfallende licht in den ausstellungsräumen hebt die hellen farben noch hervor, die dadurch umso mehr das schöne, lichte und lebensfreudige der weiblichkeit, sinnlichkeit und fruchtbarkeit betonen.

das vegetarische symbolisiert wachstum, fülle, heilung und verwandlung. und die frucht enthält, wie die mutter, das leben, das sie spendet. in den mythen mancher völker sind die ersten menschen aus pflanzen entstanden. gaia, die griechische erdgöttin, nach hesiod die erste göttin, die dem urchaos entsprang, wurde oft mit früchten und füllhorn dargestellt, die überhaupt häufig zu antiken und orientalischen muttergöttinnen gehörten. bei den matres, drei mütterlichen gottheiten, die im römischen gallien, in britannien und im rheinland verehrt wurden und auf darstellungen körbe mit früchten oder ein füllhorn auf ihrem schoß trugen, trug die mittlere manchmal ein wickelkind. das wort geburt gehört zum wortfeld von bher=tragen, bringen, lebensfrucht tragend, fruchttragend, fruchtbringend am baum. mittelhochdeutsch bern bedeutete frucht tragen, hervorbringen, gebären. in der mittelalterlichen dichtung wird natura, die verkörperung der natur, mit vielen brüsten dargestellt. lateinisch nātūra heißt eigentlich geborensein. nātusi sind die kinder oder jungen, nātusus ist der sohn, nātusa die tochter.

die farbigkeit der >SchotenStele<, zu der schote, rose, tulpe und getreide gehören, hat etwas orientalisches. viele antike symbole der fruchtbarkeit, die, meist durch christliche transformation vermittelt, in den späteren europäischen kulturen nachwirken, stammen aus dem alten orient, wo einst ackerbau, pflanzenzucht und kultur entstanden. der ackerbau ging der kultur voraus. im lateinischen cultūra, das neben ackerbau, anbau, landwirtschaft und bearbeitung auch geistige ausbildung und sittliche veredlung meint, klingt das noch an. getreide war ein attribut vieler fruchtbarkeitsunderntegötter. ähren gehörten etwa zur griechischen erdackerbauundfruchtbarkeitsgöttin demeter. in verbindung mit muttergottheiten konnte die ähre symbol des sohnes sein. in indonesien brachte man jungen reisähren ganz ähnlich nahrung wie sonst kleinen kindern.

blumen sind liebesgeburtsseelenundauferstehungssymbole. ihre liebessymbolik entspricht ihrem aufblühen. myrte war der aphrodite geweiht. zu flóra, der römischen und ursprünglich sabinischen göttin des frühlings, der blumen, der blüten und des blühenden getreides, gehörten orgien, laszive rituale, ausgelassene feste, die, für pflanzen wie für menschen, fruchtbarkeitsfördernde wirkungen haben sollten. slawen, balten, finnen und südostasiatische völker bezeichnen gern junge frauen oder bräute bei der hochzeit mit blumennamen. die blumensprache, die dann zur blumigen sprache verkam, war zunächst die bildhafte und mehrdeutig anspielungsreiche sprache unter liebenden. bei vielen völkern ist die rose, die in europa ebenso die liebe verkörpert wie in china oder japan, besonders die rote rose, bis heute die blume der liebe und der fruchtbarkeit und daher auch liebesgeschenk. in der renaissance versinnbildlich die nelke die verlobung, chinesisch die hochzeit. die lilie verband man im altertum mit ehe, fruchtbarkeit und geburt, christlich, wie die rose als blume der unschuld, mit der jungfrau maria. einige götter wurden aus blumen geboren, so brahma aus einer lotosblüte. malayisch entwuchsen die ersten menschen blumen. bei plutarch wird die sonne am morgen aus einer blütenknospe geboren. auch alchemisten kannten die geburt aus der blüte.

viele liebesundfruchtbarkeitssymbole sind zugleich todessymbole. die blumen der totenwelt wurden als rest vom verlorenen paradiesischen blumenmeer gedacht. in der >Odyssee< ist die asphodelische unterweltwiese blumenbewachsen. pindar schrieb von blumengeschmückten elysischen wiesen. in dantes paradies thront die gottesmutter im kelch einer weißen himmelsrose. blumen, die auf gräbern wachsen, sollten verkörperungen der totenseelen sein. aus dem blut des adonis, eines sterbenden und auferstehenden gottes, der vegetationszyklen symbolisiert, wuchsen der sage nach die adonisröschen. griechen, etruskern, römern und christen verhieß die rose auf sarkophagen und gräbern die erhoffte auferstehung. die frühen christen benutzten blumenkränze und blumenkörbe als auferstehungssymbole. in römischen katakomben findet sich die rose häufig als zeichen des paradieses, für das sie auch islamisch steht. weiße rosen waren christlich todeszeichen, weiße lilien grabschmuck. der friedhof hieß volkssprachlich rosengarten. schon die ägypter gaben ihren toten blumen und schmückten mumien etwa mit chrysanthemen. auch die lotosblume symbolisierte ägyptisch fruchtbarkeit und erneuerung, bis in den totenkult hinein. in china konnten die seelen der toten im paradies blütengestalt annehmen. der efeu, die heutige friedhofspflanze, galt, weil immergrün, in der antike als pflanze der fruchtbarkeitsgötter dionysos und bacchus.

der mohn hingegen ist ein synonym für schlaf gewesen. hypnos, der griechische schlafgott, sohn der nacht und bruder des todes, hielt auf darstellungen mohnstengel in händen. ebenso war der mohn attribut seines sohnes, des traumgotts morpheus. nyx, griechisch die verkörperung der nacht, wurde mit mohnblumen bekränzt gedacht. zugleich gehörte der mohn zur unterweltgöttin persephone. die grabkunst kennt den mohn als sinnbild des todesschlafs. ludwig uhland, der ihn »die Blume, die am besten / des Traumgotts Schläfe kränzt.« nannte, schrieb: »O Mohn der Dichtung, / wehe / ums Haupt mir immerdar!«, und christoph martin wieland: »berührt ihn unvermerkt / der mohnbekränzte Gott des Schlummers / mit seinem Stab, dem Stiller alles Kummers.« andere bezeichnungen sind deutsch schlafmohn und isländisch draumsóley, wörtlich traumsonne.

die >EmbryoStele< zeigt, menschliches und vegetarisches wachstum verbindend, einen embryo, der im innern eines apfels, der zugleich ein mütterlicher bauch ist, aus dem kern wächst. im >Hohelied< ist der apfel symbol der liebe. zur karthagischen fruchtbarkeitsgöttin tinnit gehörte der granatapfel, der auch in südostasien fruchtbarkeit symbolisierte. griechisch war der apfel brautsymbol und brautgeschenk. in kirgisien wälzten sich kinderlose frauen mit kinderwunsch unter einem apfelbaum. der apfel der nordischen göttin idun verjüngt die götter. auch der baum der erkenntnis wurde mit äpfeln dargestellt.

auf der >WasserStele< korrespondieren die formen der wellen des wasser, das als weibliches element und lebensstoff gilt, mit der form der weiblichen brust. wasser, der urschoß des lebens, ist in der symbolik der kulturen häufig das element der schöpfung und der erneuerung, bei thales von milet der ursprung aller dinge. die armenische göttin anahit spendete wasser und fruchtbarkeit. an brunnen und quellen fanden viele fruchtbarkeitskulte statt. brunnen waren mütterliche symbole, konnten aber auch eingang zur unterwelt sein. fische symbolisieren wegen ihrer starken vermehrung fruchtbarkeit.

viele der symbolischen korrespondenzen, und gerade die archetypischen, die noch die einheit der gegensätze bewahren und über ihre typisierung hinaus etwas dynamisches, verwandlungskräfte anregendes haben, sind ambivalent und paradox und damit teils auch provokativ. manche der grafiken und stelen lassen über zusammenhänge zwischen einer forcierten vertechnokratisierung der gesellschaft und zunehmender kinderlosigkeit nachdenken. auf der >TodesStele< sehen wir einen roboterartigen kopf. die >EngelTeufelStele< verbindet engel und teufel, adam und eva, dreizack und schlange. der dreizack ist zugleich zeugungsorgan und gewaltinstrument. eine große, fest wirkende hand greift nach der schlange auf dem teufelskörper. die schlange mit frau deutet fast immer auf eine beziehung des weiblichen zum zeugend männlichen hin. die ägypter unterschieden zwischen der uräus-schlange, die alles böse abwehrte, und der apophis-schlange, die das böse selbst verkörperte. christlich wurde die schlange dann zum teufelssymbol.

das weibliche als tod wird insbesondere von der gleichermaßen verschlingenden und bergenden erde verkörpert. »Die Erde ist wie Gaia, die griechische Erdmutter, Herrin des Gefäßes, und gleichzeitig das große Unterweltgefäß selbst, in das die toten Seelen eingehn, und aus dem sie auch wieder herausschwirren.« schrieb erich neumann. nest, wiege und krippe entsprechen auf der anderen seite sarg, totenkahn und kreuz. muttergottheiten beherrschen oft die obere und untere welt und treten wechselweise als gut und böse auf. in den märchen und sagen von der frau holle erscheint dieses motiv noch.

die toten verlangen bergung. das grab war einst gedacht als haus für die ewigkeit. schon die antike kannte häuser über den gräbern der ahnen. adlige keltischer länder begruben ihre verstorbenen unter ihren burgen. auch im untergrund deutscher burgen hausen der sage nach die toten bewohner als geister. in teilen des alten china gab es den brauch, die toten der familie im fundament des hauses zu bestatten. in der nächst höheren etage wurde das saatgut gespeichert. und im raum darüber, immer in der gleichen ecke, stand das ehebett. vorfahren, aussaat und zeugung waren so vertikal miteinander verbunden und konstituierten auf der zeitlichen ebene kontinuität. im niederländischen bedeutet bed zugleich bett und beet. damit verwandt sind deutsch bett und beet sowie kymrisch bedd=grab.

auch erkenntnis kann belebend und tötend sein. auf darstellungen aus dem mittelalter trägt der baum der erkenntnis anstelle der früchte totenköpfe. ägyptisch wurden granatäpfel mit ins grab gegeben. den kopten gilt der granatapfel als auferstehungssymbol. persephone war die rückkehr aus der unterwelt verwehrt, weil sie dort einen granatapfel gegessen hatte, der liebesgenuß symbolisiert. lateinisch bedeutet malum, neben apfel, quitte und zitrone, auch übel, fehler, gebrechen, unglück, unheil, übeltat, laster und »Zum Henker!«

viele dämonische wesen entstammen der todessymbolik, indem aus totenseelen dämonen wurden. die >DrachenDämonenStele< thematisiert den tod mit aggressiven formen. die dämonische figur darauf ist ihrer gestalt nach entweder der abraxas, der aus menschenkörper, kriegerrüstung, hahnenkopf und schlangenbeinen besteht und als drachenbesieger gilt, oder der basilisk=der kleine könig, ein ursprünglich aus dem alten orient stammendes fabeltier, christlich sinnbild für tod, teufel und sünde, das meist mit körper, kopf und krone eines hahns sowie drachenflügeln und schlangenschwanz dargestellt wurde. der überlieferung nach entsteht der basilisk aus dem von einem hahn gelegten ei, das durch die wärme eines dunghaufens oder von einer schlange oder kröte ausgebrütet worden ist. der männliche hahn und das weibliche ei verbinden sich so negativ. man hat sogar gemeint, das hahnenei würde bei der geburt des basilisken unter schwefeldampf zerplatzen. allein der blick des basilisken sollte, glaubte man, menschen töten, weshalb kinder vor ihm gewarnt wurden. zugleich aber konnte man ihn der legende nach selbst töten, indem man ihm einen spiegel vorhielt. denn dann entsetzte er sich derart ob seines eigenen anblicks, daß er vor wut zerbarst.

das wort sensenmann für tod verweist auf einen agrarischen hintergrund. in der grabkunst der ägypter wirkt das getreide lebenserhaltend. mitunter hat man in ägypten sogar getreide in gräbern ausgesät. der tod der >TodesStele< hält die sense wie einen guten freund umarmt. daneben steht oder läuft eine menschliche figur auf ihrem kopf, wie es sich die ägypter für die sünder im totenreich vorgestellt haben. »Ich will nicht kopfüber gehen.« sagt einer der toten in den >Totenbuch<-sprüchen. das ägyptische unterweltsbuch >Amduat< beschreibt eine strafgrube, die »Das Wüstental der auf den Kopf Gestellten« heißt. andererseits konnten kopfstehende figuren ägyptisch, in der umkehrung der umkehrung, auch die aufhebung des todes und damit auferstehung bedeuten.

alle mythischen kulturen haben fruchtbarkeit und tod als gegensatzpaar gedacht und aufeinander bezogen. negativ gesagt, der kreislauf der natur geht über leichen. eben deshalb brauchen wir die kraft der kultur, die bewahrt, indem sie transformiert. in vorstellungen von der wiedergeburt, die neues leben aus dem tod hervorgehen läßt, verschmelzen tod und geburt. auferstehungen sind verwandlungen. das grab ist so gesehen der mutterkörper des anderen seins. im mythos von kore, die durch ihre rückkehr aus der unterwelt das jährliche aufleben der natur nach dem winter und insbesondere das wachstum der früchte symbolisiert, verbinden sich tod, wiedergeburt und fruchtbarkeit direkt miteinander. die toten warten unter der erde auf ihre erlösung wie keime im winter. tod, auferstehung, imagination und utopie gehen vielfach ineinander über. viele phantasiereiche, das paradies inbegriffen, waren ursprünglich todesreiche. künstlern muß eine wiedergeburt, die den tod überwindet, in ihrer kunst permanent lebend gelingen.

 

2005, überarbeitet 2013

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Aktuelle Ausstellung: Ausstellung: „fons et origo“, Malerei und Holzschnitte

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