die einzelnen kapitel des erzählbands Zombies, die prosaische und essayistische passagen sowie handlungen und reflexionen ineinander übergehen lassen, wirken wie literaturclips mit filmischen strukturen, schnitten und effekten, in denen antihelden clipfiguren gleich durchs bild zerfallender wirklichkeiten laufen, deren permanente bewegung über ihre systemische erstarrung hinwegtäuscht. man denkt beim lesen dieser in einer verknappten und mitunter fast minimalistischen sprache geschriebenen texte an short-story-erzähler und short-cuts-filmregisseure, die lapidar und beiläufig alltagsgeschichten von großer traurigkeit erzählen.
wie in robert altmans film Short Cuts, der fünf erzählungen von raymond carver durch ensemblespiel und verknüpfungen der figurengruppen zu einer filmhandlung verband und inzwischen traditionsbildend geworden ist, siehe neuere filme wie Babel von alejandro gonzáles iñárritu oder Crash von paul haggis, verbinden sich auch weigonis texte, die parallelwelten beschreiben, miteinander, indem mehrere figuren wiederholt auftreten und so handlungsstränge verknüpfen. weigoni ist ein alltagsarchäologe, der verborgene schichten unter der oberfläche der erscheinungen entdeckt und so konventionen, normen und denkregelungen hinterfragt. manche der phänomenologisch wirkenden passagen lassen an die Mythen des Alltags von roland barthes oder walter benjamins Einbahnstraße denken.
den Zombies vorangestellt ist das zitat „Zombies sind keine Menschen.“ Das Bundesverfassungsgericht der BRD zur Frage, ob ein Film gegen die Menschenwürde verstösst, der die grausame Tötung von lebenden Toten zeigt.« wer noch illusionen hat, kann sie bei der lektüre dieses buchs verlieren. denn man möchte eigentlich in keiner der beschriebenen welten leben, deren wege auch durch medizinische experimente, leichenhäuser und gräber führen. der autor, idealistisch inspiriert, arbeitet hier, indem er verheißungen seiner lebenswelt in frage stellt, eigene desillusionierungen ab. die freiheit endet beliebig und die aufklärung desillusioniert.
dabei ist das bundesverfassungsgericht praktisch das orakelheiligtum der bundesrepublik deutschland. man könnte geradezu vom orakel von karlsruhe sprechen. die parallelen sind wirklich erstaunlich. man wendet sich heute bei existentiellen fragen, die klare antworten schwer machen, ans verfassungsgericht wie an die orakelpriester aus delphi, die indes nicht immer unbestechlich waren. und die abwägenden urteile des gerichts müssen ebenso wie einst die orakelsprüche interpretiert werden und fordern derart das nachdenken der ratsuchenden über die folgen ihres handelns heraus.
roland barthes meinte, daß das verhältnis des mythenanalytikers zur welt sarkastischer art sei. die Zombies werden den leserinnen und lesern als popmoderne großraumprosa angekündigt, sozusagen eine literarische zugfahrt durch einen menschlichen zoo. und man wird beim lesen wirklich hin und her gerissen und durchgeschüttelt wie bei einer bahnfahrt über weichen. wer fragt, wo hier das positive bleibe, dem sei geantwortet: das positive ist die ironie, die ein reflexives und skeptisches denken verlangt und anzuregen vermag. schon der frühe satz »Eine Klimaanlage sorgt für ihr Wohlbefinden.« klingt ironisch. die texte, durch die messerscharfe kalte feuerwinde wehen, führen ein bestiarium menschlicher gestalten vor, deren beziehungen beziehungsarmut zeigen und die oftmals unter enormem beschleunigungsdruck agieren. »Nichts ist fest, alles gerät beim kleinsten Anstoss in Bewegung, doch mitnichten in Fluss.« heißts in Reality-Radio. viele der figuren, der autor nennt sie »Larvenexistenzen« und »Gegenwartsgefrorene«, bei denen man einer kühlen vitalität jenseits von vertiefung und empathie begegnet, sind als präsenznomaden kleine dämonen. sie leben im glauben an eine ewige gegenwart oder gar ewige jugend, die ihnen umso lebbarer scheint, je ahistorischer sie denken und handeln. solche modernen nomaden, marionetten ihres egoismus, folgen als individuen wie herdentiere den weideplätzen ihrer bedürfnisse und gelüste.
weigonis zuvor erschienene Vignetten beschreiben authentische menschliche partnerschaften, oder zumindest die sehnsucht danach, die Zombies, in denen man eher schatten von beziehungen antrifft, überwiegend präfabrizierte. selbst authentisch scheinendes wird zweckausgerichtet und verliert dadurch seine natürlichkeit. wo marketing dominiert, werden inhalte schnell zweifelhaft. liebesszenen wirken meist wie gestylte und kalkulierte liebesinszenierungen. möglicherweise scheitern partnerschaften heute häufig, da sie, im bühnenbild oder vor der filmkulisse der städte, als drehbuch, regietheater, konzeptkunst oder laborversuch angelegt sind und die akteure, zumindest unbewußt, kunstformen und lebenswirklichkeit vertauschen oder gar verwechseln.
der autor, der erscheinungsformen und verhaltensweisen einer kapitalistisch globalisierten lebenswelt sowie die dazugehörigen manipulativen und zwänge erzeugenden technokratischen automatismen schildert, fragt »Muss man die Konsumideologie nicht in den Rang einer Weltreligion erheben?« wohlfühlkulturen verweisen letzten endes darauf, wie unerträglich die menschen ihre lebensrealität finden. die postmoderne, die zu großen teilen aus einer sich permanent modisch erneuernden kleinbürgerlichen verwertungskultur besteht, ist eine komödie der kulturgeschichte, die tragisch enden wird, wenn sie keine pirouetten mehr drehen kann.
weigoni, der medienundkommunikationstechnologien fasziniert und kritisch begegnet, wie mcluhan und virilio in einer person, allerdings wohl zunehmend mehr kritisch als fasziniert, beschreibt in technikbedingten lebensweltundverhaltensveränderungen künftige wirklichkeiten jenseits des traditionellen oder bisherigen modernen bürgerlichen lebens. indem er über die vertechnisierung der sinne und die versinnlichung der technik nachdenkt, betreibt er aufklärung gegen technikgläubigkeit. vielleicht setzen die modernen gesellschaften auch deshalb so sehr auf technologische entwicklungen, weil sich ihre ideellen experimente erschöpft haben. technische neuerungen suggerieren den menschen entscheidungsfreiheiten, die bei ihrer nutzung teils zugleich verlorengehn. jede populäre neue technik ruft zunächst massenhafte kulturelle und geistige analphabetisierungen hervor, die erst wieder überwunden werden müssen, ehe nicht nur wenige die ideellen potentiale der technischen entwicklung wahrnehmen können. die angebliche unumgängliche notwendigkeit des persönlichen gebrauchs von techniken, ohne die man bis vor kurzem ohne weiteres gut leben konnte, rationalisiert häufig bloß unbewußte psychische antriebe. ein wichtiger impuls für die private techniknutzung, mit der man sich etwa seiner lebensartkompatibilität versichert, dürfte der drang der menschen sein, dazuzugehören. letztlich erleben wir so nur die alten kulturprimaten mit neuer technik.
eines der grundmotive der literatur weigonis, egal ob in lyrik, prosa oder essayistik, ist das spannungsverhältnis zwischen geistig ideellem und körperlich sinnlichem, die damit verbundenen vermischungen und überschneidungen inbegriffen. die sinnlichkeit seiner texte entsteht oft geistig, jedenfalls meist reflexiv und nicht bloß, wie gebrauchsliterarisch mode, naturalistisch beschreibend. man könnte von einer intellektuellen sinnlichkeit sprechen. bereits auf seite 7 thematisiert der autor in der frage »Oder haben Sie schon einmal mit einem Buch kopuliert?« sarkastisch den kontrast zwischen geistigem und sinnlichem.
die verhaltenslehren der kälte werden heute weniger durch maßregeln autoritärer instanzen, vaterland, staat, schule, kirche, implantiert, als vielmehr durch die zunehmend technologiegelenkte wahrnehmung momentaner privater interessen. die texte machen deutlich, daß die permanente bewaffnung der individuen im konkurrenzkampf gegeneinander letztlich individualität zerstört, indem der bloße egoismus siegt. die technokratische gesellschaft hat die patriarchalen, macht ausübenden kräfte entpersönlicht und in die strukturen und mechanismen der funktionalität ausgelagert. erniedrigt wird heute vorzugsweise durch finanzmechanismen.
man könnte die Zombies-texte satirischen realismus nennen. auf dem buchdeckel präsentiert sich der autor selbst als figur, die einen kaffeehausartigen endzeitmenschen zeigt, der charmant seine verkleidung vorführt. die satirische überzeichnung macht realitäten durch verfremdung kritisch verstehbar. einige szenen haben etwas comichaftes, das auf zeichentrickartige realitäten verweist. zeichentrickfilme heißen animationsfilme. und das publikum wird ja lebensreal tatsächlich oft zum animationsobjekt. in der mediensatire Reality Radio, die den lokalen sensationsjournalismus persifliert, berichtet das >Lokalradio Neanderthal< über einen diebstahl von 42 parkuhren, die in düsseldorf innerhalb von zwei wochen abgesägt werden, wie über ein weltereignis, bis der parkuhrendieb am ende dem lokalreporter ein interview auf frischer tat gibt.
man bemerkt beim lesen dieser geschichten, deren kühle präzision bisweilen schon etwas surrealistisches hat, ein gespür für kulturelle transformationen, die als konvention, innovation, travestie und persiflage auftreten können, wobei die übergänge häufig fließend sind. der leser findet vielfältige kulturgeschichtliche anspielungen, bis hin zu alltagsbezogenen verwendungen solcher worte wie trickster, derwisch und berserker, die den charakter von figuren umschreiben. in >Das Happening< läßt weigoni unter anderem novalis, arthur rimbaud, friedrich nietzsche, oscar wilde, thomas mann, robert musil, gottfried benn, hans henny jahnn, bertolt brecht, egon erwin kisch, tristan tzara, hugo ball, pablo picasso, arnold schönberg, jean paul sartre, orson welles, virginia woolf, hermann hesse, ingeborg bachmann, miles davis, jim morrison oder janis joplin auftreten, alles figuren eines vergangenen jahrhunderts. das gemahnt an christa wolfs >Kein Ort. Nirgends<, wo heinrich von kleist und karoline von günderode einander begegnen, oder an die reisebegegnung von e.t.a. hoffmann, kafka und gogol in prag bei anna seghers.
der leser findet auch in Zombies wieder zahlreiche aphoristische gedanken: »Nachdem das Träumen von besseren Welten aufgegeben wurde und utopische Gesellschaftsentwürfe in die Archive verbannt wurden, hat sich das utopische Denken auf den Körper verlagert.«, »In der egozentrischen Gesellschaft gibt es nur mehr einen Wert: die Selbstverwirklichung, die ihr Ich als Durchgangsstation zum Astralkörper erhebt.«, »Die kosmetische Chirurgie ist die Haute Couture des 21. Jahrhunderts.«, »Alle Individualität wird lichtschnell Allgemeingut, jeder Widerstand zum Mainstream. Kopieren ist das neue Echte.«, »Künstler werden aufgebaut, indem man die Erwartungen des Publikums steuert.«, »Je lauter der Weltlauf verlangt, Position zu beziehen, desto fragwürdiger wird die popkulturelle Haltung.«, »Für Melancholiker ist die Zeit eine Wunde, die niemals verheilt.« oder »wer zu weit denkt, denkt den Tod.«
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A. J. Weigoni, Zombies, Erzählungen, Edition Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2010.
Weiterfühend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.