Der Lebensformpoet

Peter Ettl ist ein schwermütiger Metaphysiker, ohne Scheu, seine Sensibilität zu zeigen. Er entwirft mit wenigen Strichen literarische Bilder von der Einsamkeit, der Auflösung des Individuums, vom Brachliegen aller erworbenen Fähigkeiten, von der Sehnsucht nach einem anderen Leben, aber auch vom Lebenswillen. Er sucht das Unfertige dem Fertigen, das Fragment im Werk, die Heterogenität in der Homogenität, seine Gedichte sind nicht Resultate, sondern Versuche.

Dieser Lyriker will, was alle Dichter wollen, die Conditio humana formal bewältigen und so momenthaft zu transzendieren und vergessen machen. Das Tröstende seines ästhetischen Spiels Versen offenbart sich nachdrücklich. Die verspielte Nonchalance und Unverkrampftheit hält er hoch. Seine Verse sind zuweilen prosanah, emotionsscheu, lapidar, an anderer Stelle eine Sammlung von Oberflächenbeobachtungen, kühle parataktische Narrationen in räumlicher wie zeitlicher Unbestimmtheit, Passivkonstruktionen ergänzen neugefügte Komposita. Die Syntax wird variiert, ebenso das Metrum. So entsteht ein Sound, der das lyrische Sentiment trockenlegt.

In der Weiterführung früherer Bände werden seine Gedichte zunehmend durchsichtig und transzendent gemacht für existentielle Vergeblichkeitserfahrungen. Das Paradox zwischen der lebenslangen und lebensnotwendigen Bemühung und der unendlichen Vergeblichkeit dieser Bemühung trifft genau sein dichterisches Verfahren und die Grundstimmung seines Werkes. Daraus ergeben sich allenfalls präzise Einzelbeobachtungen, aber keine kühnen Weltentwürfe, keine grossen Gefühle, festen Überzeugungen und weitgesteckten Hoffnungen und Pläne, auch keine Botschaften. Reduzierung, Desillusionierung ist das Programm.  Die pointierte, unerbittliche Genauigkeit der Beobachtung verbindet sich mit einer unaufdringlichen, aber meisterhaft praktizierten Kunstfertigkeit.

Peter Ettl hält seine Synapsen neugierig ins Offene. Seine Poesie ist die Kunst, auf jede Antwort noch eine Frage zu haben, alles Selbstverständliche unselbstverständlich werden zu lassen. Dieser Lyriker bewerkstelligt es, daß seine Gedichte Bewusstsein und Sendungsbewusstsein haben, daß sie sich fühlen, als hätten sie ein Selbst. Im Grunde handelt Ettls Lyrik stets auch von den anderen, um von sich selbst zu sprechen. Und dies vom Sehnsuchtsland rückgespiegelt zu bekommen hat seinen ganz eigenen Charme.

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Distellicht, Gedichte von Peter Ettl, Pop-Verlag 2013

Weiterführend

Ein Porträt des Herausgebers und Lyrikers Peter Ettl findet sich hier. – Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.