Rücksturz in die Gutenberggalaxis

Dichtung ist sprechende Malerei

Simonides von Keos

Anmerkung der Redaktion: Mit diesem Kollegengespräch gilt es ein Versäumnis nachzuholen. Damals fehlte die Sparte mit der bibliophilen Kostbarkeit ‘Künstlerbuch’. Ein Kollegengespräch über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Weigoni: Manche Künstler werden frühzeitig für ihr Leben geprägt, bei mir vollzog sich das so: Meine erste Publikation entstand auf Vermittlung eines Kollegen an einen Drucker der alten Schule. Bei diesem Schriftsetzer durfte ich im Satzkasten nach Bleilettern suchen und sie zeilenweise anordnen. Nachdem das Gedicht gesetzt war, habe ich den ersten Druck von der Presse abgezogen. Meine erste Veröffentlichung, ein Gedicht, Bleisatz auf Bütten in limitierte Auflage. Was war Deine Initiation?

Hieronymus: Man soll es nicht glauben, aber tatsächlich wurde meine Leidenschaft in der Schule geweckt. Ich hatte auf der Oberstufe des Gymnasiums einen jungen engagierten Kunstlehrer, der leider schon nach einem Jahr entlassen wurde. Er hat viel Zeit in uns investiert, vor allem wusste er mit verschiedenen Drucktechniken umzugehen und uns die Augen dafür zu öffnen. Bei ihm habe ich erste Einblicke in die Radierung erhalten, auch Holzschnitt hat er mit solcher Begeisterung vermittelt, dass ich unbedingt schon als Schüler ein Buch selber machen wollte. Ich habe mich dann auch tatsächlich mit einigen Freunden getroffen, die selber in diesem Bereich tätig waren. Die ersten Ergebnisse mit eigenen Druckexperimenten haben uns damals völlig begeistert. Allerdings blieb es letztlich beim Experimentieren, die Gruppe hat sich zerschlagen, immerhin haben drei von uns Kunst studiert, die drei anderen Architektur. Als ich mit dem Kunststudium begann, bin ich erstmal einige Jahre an der Radierung hängen geblieben, in der Druckwerkstatt gab es auch zwei Tiegelpressen für Bleisatz. die wichtigsten Bleisatzschriften waren vorhanden. Der Professor hat mich mit seinem Wissen unterstützt und schon nach zwei Jahren Vorarbeit und Technikstudium hatte ich dann auch das erste Buch fertig. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie schwierig es für mich war, das Geld für eine 20er Auflage zusammenzukriegen. Letztlich entstand ein Buch mit eigenen Gedichten und kleinen Radierungen. Herbstbuch. Nur mit schwarzer Farbe gedruckt. Seit dieser Zeit sind Künstlerbücher eine immer wieder kehrende Sucht.

Weigoni: Die Situation auf dem Buchmarkt erinnert mich an den Verfall der klassischen Hörkultur (Stichwort Begleitprogramm) und dem fortschreitenden Verdrängungsprozess auf dem durch Hochtechnologie geprägten Medienmarkt. Wer ein Stück auf mp3 für Umme bekommt verzichtet gern auf Höhen und Bässe. Ähnlich ist es bei den so genannten eBooks, die in Wahrheit lediglich Dateien sind. Ist das Künstlerbuch in einer ähnlichen Situation wie das Comeback der LP, die ein Publikum findet, die das „Wahre, Gute und Schöne“ schätzt?

Hieronymus: Unsere derzeitige Medienindustrie hat bei aller Umstellung einen Faktor unterschätzt, den die alten Medien Buch und Schallplatte haben: Das Haptische. Es finden sich immer wieder Menschen, die sich begeistern lassen von der Synästhesie beim Blättern eines Künstlerbuches. Teilweise habe ich wie im Buch „Faszikel“ mit Gerüchen experimentiert, die durch Holzextrakte erzeugt werden, außerdem kommen Tatsachen wie die Vergänglichkeit, Verletzbarkeit der Materialien hinzu, welche man nicht unterschätzen darf. Im neuesten Buch habe ich die Bindung so gestaltet, dass man schon beim Aufschlagen Angst bekommt, dass irgendetwas zerstört wird. Außerdem sind die Drucke derart gestaltet, dass mit jedem Blättern einige Pigmente verloren gegehen, das Künstlerbuch wird also im wahrsten Sinne des Wortes zerlesen. Das Buch „Form Linie Fläche“ wurde bewusst auf verschiedene Packpapiere gedruckt, die unterschiedlich schnellem Verfall unterworfen sind. Die Beziehung zwischen Rezipienten und Medium kann auf Dauer nicht lediglich auf das Auge reduziert werden, er wird wieder anfassen wollen, den Hauch der Luft spüren, wenn eine Seite geblättert wird, den Klang, den jede neue Seite ganz eigen hat. Er wird es auch zu schätzen wissen, dass jede Nutzung Spuren hinterlässt, hoffe ich. Die Glattheit der digitalen Medien, die uns ja schon bei den CDs durch einen überirdischen Glanz vermittelt wurde und inzwischen ins Immaterielle flüchtet, hat nicht mit dem körperlichen Menschen zu tun. Wer einmal zu schätzen gelernt hat, was es heißt, vor dem eigenen Regal, gefüllt mit Büchern, zu stehen, der wird irgendwann vielleicht auch die Liebe zu Künstlerbüchern entdecken.

Weigoni: Vertiefend zum Handwerklichen, schöpfst Du auch das Papier selbst?

Hieronymus: Eine gewisse Zeit glaubte ich tatsächlich, man müsse alles am Buch selber machen, das ging dann sogar bis zum Papierschöpfen. Schnell habe ich allerdings erkannt, dass dies dem eigentlichen Prozess weder förderlich ist, noch direkt mit den behandelten Themen zu tun hatte. Für eine Kleinstauflage von 4 Exemplaren hatte ich dann sogar die Blätter aus der Rinde der Sandbirke hergestellt, das kann man mal machen, konnte aber nicht zum Dauerzustand werden. Teilweise habe ich auch die Verpackungen von Bananenkartons aus Supermärkten verwendet. Das Schöne daran sind die vorgegebenen Gebrauchsspuren. Da ich aber weder die Bleilettern selber gieße, noch die Maschinen zum Drucken selber baue, auch die Farben nur teilweise selbst aus Pigmenten und Bindemitteln herstelle, war es irgendwann nicht mehr Thema der Arbeit. Manchmal werden die fertigen Papiere allerdings strukturell verändert, so bei Praegnarien, dort finden sich Praegespuren im Bütten, die nur zu sehen sind, wenn man mit den Fingern darüber streicht oder das Licht steil darauf fallen lässt. Dann entstehen Schatten, die das Bild ausmachen, die gleichzeitig auch Raum erzeugen. Das schon erwähnte Buch Faszikel wurde neben den Holzextrakten auch mit mehreren Schichten hauchdünnem Schellack überzogen. Dadurch bekommt das Papier einen sehr widersprüchlichen Charakter, es sieht aus wie Papier, fühlt sich aber wie Holz an, dabei ist es biegsam wie Kunststoff. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, sich über die Beschaffenheit der Werkstoffe ein genaues Sinnesbild zu verschaffen, denn Werk und Material geben eine sehr innige Beziehung ein. Gute Motive mit der falschen Technik haben oftmals eine schwache Aussage. Weiterhin glaube ich, dass es Menschen gibt, die die Einzelheiten wie Papier, Farbe, die Klebstoffe oder auch mal die Bindung wesentlich besser erzeugen können. In einer Gesellschaft der Arbeitsteilung sollte man besser auf diese Ressourcen sinnvoll zurückgreifen, als sich mit dingen zu verzetteln, die mit der eigentlichen Arbeit dann doch nichts mehr zu tun haben. Wahrscheinlich würde auch kein Schriftsteller auf den Gedanken kommen, sich einen eigenen Rechner zu bauen oder die Tinte selbst zu kochen.

Weigoni: Ein wenig Exzentrik sollte sein;-) Von dem Computerkünstler Georg von der Gathen habe ich mir für meine lyrische Arbeit einen Buchstaben generieren lassen, der es so nicht gibt. – Von der Schrift zum Bild, wie gehen bei Dir Buchstaben in Bilder über?

Hieronymus: Alles zu Sehende ist Bild. Texte sind nicht nur Inhalte, sie stellen auch graphische Strukturen dar. Wenn ich eine Seite in einem Buch betrachte, welche mich optisch ästhetisch nicht anspricht, dann verliert sich schnell die Lust am Lesen. Gut gemachte Texte sind eben immer mehr als ihr Inhalt, sie reizen wegen der Ebenmäßigkeit, der Umbrüche, der Einschübe, manchmal auch wegen ihrer Strubbeligkeit. Einige Jahre lang habe ich gerade in der Radierung damit experimentiert, in welcher Weise Text zum Bildteil werden kann. Hintergründe kann man fein mit Wörtern zukleistern, mit ganzen Texten, die zum Teil gar nicht gelesen werden müssen. Die beiden Bücher Steinlupe und ANSICH haben genau damit gespielt. Die Untergrundflächen wurden mit Texten und Wortakkumulationen zu den Themenbereichen Stein und Boden überzogen und dann teilweise wieder bis zur Unkenntlichkeit zerätzt. Wer diese Bücher lesen will, muss schon viel Zeit zum Entziffern mitbringen. Dechiffrierarbeit. Wer allerdings die rein optische Ästhetik von Texten  und ihre Verschmelzung mit dem Bild begreifen will, der ist hier genau richtig. Nach dem Binden habe ich niemals wieder einen der Texte auch nur versucht zu entziffern. Das würde für mich keinen Sinn machen. Bei meinen Enkaustikbildern war das ähnlich. Wie vor tausend Jahren wurden die Schriftzeichen in die Wachsschicht geritzt und mit Schellack fixiert. Der jeweilige Text entstand aus dem Moment, nicht aus einer Planung. Es gibt wohl immer wieder Menschen, die versuchen zu entziffern. Sie stellen dann Fragen über den Inhalt und wie etwas zu verstehen sei. Ich kann eigentlich wenig dann darüber sagen, weil der Moment des Machens vergangen ist. der Gedanke ist festgehalten. Ich glaube nicht an die grundsätzliche Erklärbarkeit von Kunst, sondern sehe in ihr eine Stellungnahme zum Zeitraum des Schaffens. Das ist Bild, ist immer eine eigene Welt, die optisch die äußere Welt erklärt oder Stellung dazu bezieht. Auch die Texte nehmen Stellung, aber es sollte nicht die Arbeit des Künstlers sein, auch noch seine eigene Erschließung der Welt zu erläutern. Das Material schon alleine fordert ein spezifisches Vorgehen. Auch Schrift ist ein Material, wie Form und Farbe, auf das man sich immer wieder neu einzulassen hat.

Weigoni: Abschliessend konkret zum aktuellen Projekt Alphabetikon!

Hieronymus: Alphabetikon ist ein Neologismus aus dem Ikon, dem Bild, und dem Alphabet, unserem ABC. Bild und Text gehen hier ganz offensichtlich eine Verbindung ein, die nicht zu trennen ist. Aus der Mischung wird eine Legierung. Dadurch erhalten beide Seiten neue Eigenschaften, die uns eben auch neue Gedanken ermöglichen. Ich habe mir die Frage gestellt, in welcher Weise Wörter unsere Wahrnehmung beeinflussen. In den Jahren vorher hatte ich vor allem Bilder gemacht, die mit hunderten von Skizzen vorbereitet worden waren. Nun habe ich ich mir Wörter vorgenommen und gewartet, was sie in mir erzeugen. Manchmal habe ich eine Skizze gemacht, aber die Bilder kamen von allein. Nicht mehr die Suche stand im Mittelpunkt, sondern das Finden. Jedes Wort hat mehrere Bedeutungen und ist semantisch oft fragwürdig. Wenn ich einen Begriff wie Venus habe, dann entstehen vor dem inneren Auge direkt ganze Beziehungsstrukturen. Von Schönheit, von Renaissance, von Antike, von Frauen, von Erotik. Auch das Somnambule wird für mich schnell auftauchen. So habe ich eben alle 26 Buchstaben ganz unsystematisch durchexerziert. Angefangen hatte ich mit Auge, dann Patriarchen, dann Metro. Ich wusste nie welcher Begriff kommt. Am Wort Hypotheken bin ich verzweifelt, es wurde nichts. Dann kamst du ins Atelier und schlugst Hybrid vor. Da explodierte etwas in mir, genau im Moment des Sprechens. Das Bild war in Sekunden da, allerdings wurde dabei aus Hybrid dann Hyper – die Bisotiation sozusagen. Tatsächlich ist es mit dem Alphabetikon möglich über die Ecken und Kanten unserer festgefahrenen Gedanken zu neuen semantischen Horizonten aufzubrechen und zu befragen. Ich brauchte es nur noch aus dem Kopf fischen. So gesehen ist Alphabetikon tatsächlich ein gedachtes Buch, welches das Format des Buches sprengt. Eingefangen in den dazu entstandenen Katalog wirken die Bilder geradezu wie eine Briefmarkensammlung. Erst im Verweilen vor dem Original erschließt sich die eigentliche Komplexität.

 

 

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Alphabetikon, aktuelle Arbeiten von Haimo Hieronymus in der Werkstattgalerie Der Bogen (Möhnestr. 58 / 59757 Neheim bei Arnsberg). Ausstellungseröffnung, Heute ab 17:00 Uhr. Zur Eröffnung spricht Juliane Rogge. Es erscheint ein Katalog in limitierter Auflage.

Dauer der Ausstellung 19. Januar – 7. Februar 2014.

Weiterführend

Das Branding von Haimo Hieronymus ist, keines zu haben. Sein verästeltes Lebenswerk entwickelte sich über die Jahrzehnte hinweg zu einer partizipativen, sozialen Plastik.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers.

 Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild ein Kunstwerk. KUNO fasst die Stimmen zu dieser verlegerischen Grosstat zusammen. Last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.

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