Gedanken, die um Ecken biegen

 

wer einen ethnologischen blick auf die gegenwart wirft, kann sehen, daß die funktionale gesellschaft zugleich eine theatralische ist, in der menschen wie schauspieler agieren, dabei, wenigstens zeitweilig und vorgeblich, eins mit ihren rollen und masken werden, die sie je nach gelegenheit wechseln, und begeisterung, freundlichkeit, empörung oder betroffensein spielen, wo dies erwartungen erfüllt. selbst der zweifel wurde längst postmodern eingebunden, der annahme folgend, man könne sich allem anpassen, weil man skeptisch sei, wobei er indifferent wird und alternatives denken und handeln eher lähmt als befördert. solche verhaltensweisen entsprechen einer kulturellen und sozialen wirklichkeit, in der menschen, durch massenmedien infantil gehalten, immer mehr von kurzfristigen befriedigungswünschen gesteuert werden, bis sie davon ähnlich abhängig sind wie einst vom patriarchal prägenden über-ich, wodurch die ich-bildung nur anders, das heißt scheinbar freiwilliger und deshalb unmerklicher, behindert ist und permanent scheinidentitäten entstehen.

 

 

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Covermotiv von Gedanken, die um Ecken biegen, Uwe Albert, Technik: Aquarell / Feder

Holger Benkels Gedanken, die um Ecken biegen gehen weiter als der geschriebene Text; sie sind kein Ende, sondern ein Anfang. Sie versuchen, diesen kleinen Rest an Sprache etwas aufzuhellen, und wagen es seine Ränder verstehbar zu machen. Benkels Aphorismen folgen keinem linearen und systemischen Denken, sie entfalten sich vielmehr assoziativ und labyrinthisch.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur, sowie ein Recap des Hungertuchpreises.