Ein Schriftsteller, das ist etwas Merkwürdiges. Das ist ein Widerspruch und auch ein Unsinn. Schreiben heißt auch: nicht zu sprechen. Heißt: zu schweigen. Heißt: lautlos zu schreien. Ein Schriftsteller ist oft erholsam. Er hört viel zu. Weil es unmöglich ist, über ein Buch zu sprechen, das man geschrieben hat. Und erst recht über ein Buch, das man gerade schreibt.
Marguerite Duras
Sophie Reyer hat ein Faible dafür, zu beschreiben, wie sich Ausnahmesituationen auf Menschen auswirken. In ihrem Roman betitelten 120 Seiten langen Text beschreibt sie eine Sitzung bei einem Psychotherapeuten. Wie man in der Presseankündigung liest handelt es sich um:
„Karge Gegenwart, die immer wieder von malerischen Kindheitserinnerungen überrollt wird. Eine Frau und ein Kind. Dass der Therapeut nur die Projektion einer Untoten ist, die ihre eigene Vergangenheit noch einmal heraufbeschwören muss, um dem Grund für ihren Suizid nachzuspüren, wird im Laufe des Textes klar.“
Was mit dem Psychotherapeuten besprochen wird, ist oft schwer zu bestimmen, weil die Dialoge so sprunghaft, fast wie im wirklichen Leben verlaufen. Mit dem Stil des Geschwätzigen unterminiert Reyer die Sinnkathedrale der Psychoanalyse, weil das schwer Faßbare selbst auch Thema der Analyse ist. Blödsinn und Tiefsinn sind einander in dem Durcheinander der unendlichen Suada auf dem kürzesten Weg von Mund zu Mund begegnet und machen das Vertrauen in das Leben erlebbar gemacht. Immer gibt es die Suche nach verbindlichen Kategorien und Wertigkeiten für die Kunst und damit mittelbar auch für das Leben. Ist die Ära des Romans vorbei? Wenn ja, was ist die Kunstform, die seinen Platz eingenommen hat? Was macht ein schönes Bild aus, was ein häßliches?
Ein Insektizid ist ein Pestizid, das zur Abtötung, Vertreibung oder Hemmung von Insekten und deren Entwicklungsstadien verwendet wird.
Wikipedia
Die Protagonistin möchte nichts werden, sie möchten etwas sein. Sie will Eigenschaften, nicht Errungenschaften. Es wir nie klar: Ist Insketizid ein authentisches Generationenporträt? Sind es relevante Probleme, die die Hauptfigur umtreiben? Mag man sie oder erscheint sie einem im Kern kleinbürgerlich? All die Fragen, die sich in der Regel mit Verweis auf die Eigenständigkeit von Literatur abtun lassen, verankert Reyer mit ihrer Vermischung von dokumentarischen und literarischen Methoden im Buch selbst. Zwischen sich und und ihren Romanfiguren gibt es keine klaren Grenzen, Text und Wirklichkeit greifen ineinander ohner daß der Leser genaus weiß wo es hinführt. Das Buch erhält eine Unmittelbarkeit, die in grellem Kontrast zu seiner inhaltlichen Vagheit steht. Denn natürlich findet die Romanfigur keine Antwort auf die titelstiftende Frage, genauso wenig wie das Buch selbst eine Antwort darauf nahelegt. Soll die Gattung Roman nun so sein? Wer Lust am Fragen, Erkunden und Grenzenüberschreiten hat, der wird zumindest die Antwort auf diese Frage wissen.
Das weibliche Sprechen kommt meist einer Überschreitung gleich.
Elfriede Jelinek
Augenblickliches Glück steht im Schatten einer nicht verwundenen Vergangenheit. Reyer gräbt nach Erinnerungen und fragt nach der Sprache, welche die Überlieferung spricht. Immer weiterlesen. Immer weitermachen mit diesem Füllhorn, aus dem Geschichten und Geschichte drängen, Gesichter und Gesichte, Leben, Tod und Auferstehung. Warum darüber schreiben, wenn die Bücher doch da sind?
Wenn noch nachzulesen ist, wer wir waren, woher wir kamen, wie wir aus dem Dasein fielen?
Vielleicht ist es unmöglich über Bücher zu sprechen, die man geschrieben hat oder gerade schreibt. Aber es nicht unmöglich, über das Schreiben zu sprechen. Mit kühnen Sprachexperimenten war die östereichische Autorin dabei, sich den Ruf eines literarischen Solitärs erschrieben. Bei Insketizid macht sich erstmals bei der Lektüre Erschöpfung breit. KUNO gönnt dieser getriebenen Vielschreiberin, daß sie zur spielerischen Leichtigkeit zurückfindet, die bei der Wortspielhalle den Ton bestimmt.
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Insketizid, von Sophie Reyer, Leykam, 2014
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Eine Leseprobe findet von Insketizid findet sich hier. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Das Projekt Wortspielhalle wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Das Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können nach und nach hier abgerufen werden. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.