Nike

Der Schwung, der den Körper von innen belebt, löst die engelhafte Gestalt in der Leichtigkeit des Gewandes, das ein leichter Wind zu wirbeln scheint, vom Boden fast, auf dem sie steht. Der weite Stoff spielt mit dem schönen Körper der Frau und verrät ihn zart. Deren Form will bersten, denke ich, sie wird immer gewaltiger gegen meine Augen.

Ich halte das nicht aus, ich will zu ihr hin, will mit ihr eins werden, laufe durch den Gang, an Venus vorbei, sehe die Schöne gar nicht, blind vor lauter Interesse an der Gestalt in mir, die über mir steht, vorn auf der Bugspitze der Galeere. Ich renne die Treppe, die sie beherrscht, mit schnellen Schritten hinauf, ich fliege über die Stufen, fallenden Wellen entgegen. Die Flügel hat sie weit gespannt, ihr Körper lächelt mich an. Kein Wort. Der Kopf? Nirgendwo und überall. Zwischen den Schultern der Rand des Halses. Sie lächelt mich an! Ich kenne nicht meinen Schöpfer, noch die Begebenheit, an die ich erinnere, dachte ich, dachte ich bald.

Aber nun fliege ich auf Wellenstufen, da wird die Zeit langsamer. Ich sehe mir zu, wie ich mich bewege, meine Arme rudern durch den Raum, der immer schwärzer wird. Die Arme werden immer länger, immer dünner, sind bald gebogene Striche, flatternde Linien im Nichts, die reißen doch gleich ab, wenn das so weiter geht. Ich komme ihr nicht näher, aber der Engel ohne Kopf wird heller und heller und kommt mir nah. Da reißen die Linien meiner Arme, meiner Beine, auseinander, ganz kleine Striche nun, die sind kaum Licht im Dunkel neben mir, die zerfallen im Licht, das auf mich zukommt.

Nur meinen Kopf sehe ich nicht. Das ist klar. Die Augen können sich selbst nie sehen. Hier ist auch gar kein Spiegel. Die Treppe ist kein Spiegel. Der gleißende Körper der Flügelfrau vor mir auch nicht. Die Nacht ist kein Spiegel zum Sehen.

So langsam ist die Zeit, dass der Ort, an dem ich bin, immer mehr zusammenschrumpft, mein Körper unter mir zerstäubt, ich weiß gar nicht, wie ich jetzt noch laufen soll, ich habe keine Beine, Flügel habe ich auch nicht. Was trägt denn jetzt noch meinen Kopf, der  vorwärts will und stehen bleiben muss in der eingefrorenen Zeit. Der Kopf ist heiß und will zerspringen, die Augen wollen Arme und Hände, den glühenden Körper fassen, Aug in Auge will ich mit ihr sein.

Aber schon falle ich, die Augen hochgerissen zu ihr, zwischen ihre Flügel, mein Kopf, mein Kopf, nun fällt er auf den harten Steinboden in langsamer Zeit! Ich höre mir zu, wie der Schädel zerbricht, der Knochen knirscht. Das Hirn zerläuft. Es tut nicht weh. Ich spüre nichts. Die Zeit steht still.

Ich dehne meinen Körper.

Der Schwung, der meinen Körper von innen belebt, löst mich in der Leichtigkeit meines Gewandes, das ein leichter Wind zu wirbeln scheint, vom Boden fast, auf dem ich stehe. Der Stoff spielt mit mir und verrät mich. Mein Körper will platzen.

Ich schaue zu Boden, da muss dein Kopf doch sein, denke ich. Aber ich kann nichts erkennen.

 

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Eine Würdigung von Ulrich Bergmann finden Sie hier.

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