In der Dialektik „Mensch-Architektur“ steckt einigermaßen viel Humor. Oder wie sonst sollte man/frau sich erklären, dass Menschen gerade, glatte und oft kalte Formen wie Oberflächen als Behausung errichten, nur um sofort bei Nutzungsbeginn genau diesen Fundamenten kontrapunktierend „Leben“ einzuhauchen. Neben organischen Formen und warmen Stoffen sowie Farben findet sich selbstverständlich viel Dekoratives, welches den kantigen Raum bricht. In besonderem Maße drückt sich dies auch gerne beim bildungsbürgerlichen Suchen nach Ursprünglichkeit und Naturverbundenheit aus. Hier finden sich oft sogenannte „Tribal-Kunst“, afrikanische und vor allem asiatische Möbelstücke und Kunsthandwerk.
Nach bauhaus’schen und viel später postmodernistischen Bauten mit strengen Geometrien folgten endlich dekonstruktivistische und futuristisch-organische Bauten. Nach russischen Konstruktivismus folgten Impressionismus und Ähnliche und zumindest in der Kunst schien der Kontrapunkt schneller zu erreichen.
Dennoch finden sich die arrivierten Kunstwerke meist in klaren Rahmen in noch klareren Räumen wieder und trotzen ebendort ihrer Behausung die sich „selbstverständlich zurücknimmt“ und dabei dennoch oft konterkariert. Und selbst die dekonstruktivistischen Bauten sind innen genormt – weil eben auch alles, was hineingestellt werden kann und soll, genormt, geradwinklig und klar geformt ist.
Und der Mensch schiebt vor dem geistigen Auge alles hin und her, um irgendwie via Fengshui z.B. den Kontakt zur Behausung herzustellen.
Im Spannungsfeld der Naturwissenschaften gilt Ähnliches. Atom-Modelle sind rund, Elektronen kreisen, Planeten bewegen sich sicher nicht rechtwinklig und auch Galaxien sind rundlich. Letztendlich muss man sogar davon ausgehen, dass das gesamte Universum rund oder zumindest ein Dodekaeder ist. All dies sind Erkenntnisse von Wissenschaftlern. Aus der gleichen hermeneutischen Welterklärungsreligion wurden aber auch kalte Maschinen und als Krönung teilweise Realisierungen von Cyborgs hervorgebracht. All das Künstliche wird so mit dem Natürlichen vereint und dient letztendlich nichts Weiterem, als der Selbsterhebung und dem Allmachtswunsch. Ich-Bewußtheit ist Resultat von Entfremdung: Hier ICH – dort die (Um-)Welt.
Thema ist letztendlich die dialektische Beziehung zwischen organischen, also eher rundlichen Formen und Strukturen wie z.B. das menschliche Gehirn, und dem was ebendieses an höchst unorganischen Formen hervorbringt, um in der angeblich erlebten geordneten Realität letztendlich wiederum einen Anreiz für das Gegenteil zu erdenken. Die für die stringent mechanisch-harten Realitätsbildungen gerne zugrundegelegte Religion „Wissenschaft“ selber hat aber schon längst den Weg zurück zum Wesentlichen gefunden…..in Strings, sich organisch bewegenden Teilchen und in spukhaften Fernwirkungen.
Derartige Fundamente lehren uns mit ihren „spukhaften“ VERschränkungen, wo letztendlich die eigene BEschränkung liegt.
Wir sind der Ast auf dem wir sitzen.
Spurensuchen, finden, hervorbringen, betonen…..letztendlich unwillkürlich willkürlich gelegte Strukturen, die aus dem Schaffenden selber kommen? Oder ist der Dialog zwischen Material und Bearbeiter ausgewogen? Sogenannte Zufälle beim Farbauftrag oder beim „automatischen“ Schreiben/Zeichnen sind lediglich einer für uns nicht nachvollziehbaren Verbindung/Verschränkung geschuldete Ergebnisse von Quantenzuständen.
In der Betonung, Hervorhebung solcher Dialoge wird aus dem Zufälligen eine Behauptung, die jedoch nur im erklärten Raum der gewollten Realität ihre Existenz zu finden vermag.
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Der Hungertuchpreisträger Thomas Suder arbeitet an Objekten und Bildern. Sein Thema ist die dialektische Beziehung zwischen organischen, also eher rundlichen Formen und Strukturen wie z.B. das menschliche Gehirn, und dem was ebendieses an höchst unorganischen Formen hervorbringt, um in der angeblich erlebten geordneten Realität letztendlich wiederum einen Anreiz für das Gegenteil zu erdenken.
Die Dokumentation zum Künstlerpreis Das Hungertuch erscheint mit einem Originaldruck von Haimo Hieronymus bei der Edition Das Labor, Mülheim 2019
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Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421