Ten years after

 

es gibt die konstellationen
des südlichen und des nördlichen himmels,
und es gibt sie: die silberdisteln.

Unlängst wurden die diesjährigen Kandidaten für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015 bekanntgegeben. Darunter befindet sich mit Jan Wagner zum ersten Mal seit dem zehnjährigen Bestehen des mit insgesamt 60.000 Euro dotierten Preises (für die drei Kategorien Belletristik, Sachuch / Essayistik und Übersetzung) ein Lyriker. Mit ihren diesjährigen Nominierungen gelingt es der Jury unter Deutschlandfunkkritiker Hubert Winkels, zu verblüffen. Wir erinnern an das Statement von Winkels von 2012:

 “Wenn wir einen Lyrik-Band auszeichnen würden, würden viele lange Gesichter machen. Man würde auch Schelte bekommen. Bei großen Preisen sollte man keinen exotischen Weg gehen und nach Kleinverlagen mit avantgardistischer Lyrik suchen. Das wäre der falsche Weg. Man adressiert sich an ein großes nationales, ja internationales Publikum. Natürlich freut man sich, ein Buch auszuzeichnen, das anschließend eine große Zahl von Lesern hat.” (Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 30.09. 2012). Weiteres hier

2015 folgt Winkels der Tradition von Konrad Adenauer: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden.“:

„Ich musste in den Statuten sogar noch einmal nachlesen, ob Gedicht oder Theaterstücke überhaupt zulässig sind. Sie sind es auf jeden Fall – und ich habe mich im Nachhinein gefragt: Warum ist das nicht vorher passiert?“, fragt sich der geläuterte Winkels. „Allen war sofort klar, es ist ein Glücksfall, dass dieser Band von Jan Wagner da ist.“ Weiteres hier

auch jener astrologe,
der im dunkel zu lesen versteht,
barfuß über die wiese geht,
wird an sie denken.

Daß Jan Wagner mit seinem jüngsten Werk „Regentonnenvariationen“ auf der Shortlist steht, ist wahrscheinlich keine große Überraschung. Leipzig hat den großen Vorteil, alle literarischen Formen berücksichtigen zu dürfen. Anders als der Frankfurter Platzhirsch, der irreführenderweise „Buchpreis“ heißt, aber, ein elementarer Geburtsfehler, nur Romane meint. Und diese Nominierung ist konsequent, denn Wagner vollzieht mit der Poesie einen Perspektiv- und Gesprächswechsel auf unsere Welt. Er ist ein Lyriker, der es wie kaum ein anderer versteht, sich die klassischen Gedichtformen und -traditionen zu eigen zu machen.Wagner steht in der Tradition der Naturlyrik deren Zentralmotive Naturerscheinungen  wie die Landschaft, das Wetter und die Pflanzenwelt sind und die auf dem Erlebnis der Klimaveränderung aufbauen. Bereits die ersten namhaften Dichter bedienten sich der Natur als Projektionsraum und sprachen ihr nicht selten menschliche Attribute zu. Im Barock wurde die Natur religiös aufgeladen und heilsgeschichtlich gedeutet, während sie selbst eher im Hintergrund stand. Innerhalb der deutschen Lyrik erfolgte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Natur seit dem 18. Jahrhundert. Die Gedichte in diesem Band sind voller Beobachtungen und Beschreibungen, überbordend von Sprachlust. Man bewegt sich in ihnen gleichsam als Botaniker durch Flora und Fauna, Stadt und Garten, Ereignisse und Biographien. Eine Entdeckungsreise.

KUNO hofft, daß er nicht noch einmal zehn Jahre dauert, bis ein Lyriker nominiert wird.

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Regentonnenvariationen, Gedichte von Jan Wagner. Hanser Berlin, Berlin 2014