Das Durchschnittswerk des heutigen Gelehrten will wie ein Katalog gelesen sein. Wann aber wird man soweit sein, Bücher wie Kataloge zu schreiben? Ist das schlechte Innere dergestalt in das Äußere gedrungen, so entsteht ein vortreffliches Schriftwerk, in dem der Wert der Meinungen beziffert ist, ohne daß sie deswegen feilgeboten würden.
Walter Benjamin
Die Schnittstelle der Beziehung zwischen bildender Kunst, Musik und Texten hat Peter Meilchen stets interessiert. Seine künstlerische Produktion war von konzeptuellen Überlegungen getragen. In seinem Werk sehen wir Arbeiten, die stets die Grenzen von künstlerischem Objekt und Alltagsgegenstand befragen. Dies erkennt man auch an der Reihe Frühlingel, die erstmals im Kunstverein Linz ausgestellt wurde. Er greift auf bewährt analoge Mittel, wie Entwicklerflüssigkeit, Photopapier und das Mittel der Collage zurück. Jeder kann sein Leben komponieren wie Musik, diese Übereinstimmung der beteiligten Artisten werden mit den Inventionen von Peter Meilchen weitere Zwischentöne abgewonnen. Das Leben im 21. Jahrhundert und nicht weniger die Kunst: ein Spiel, eine Verschiebung von Signifikanten, ohne schicksalhafte Kettung an ein biografisches oder historisches Signifikat. Die Schwere der Existenz wird aufgehoben durch die Leichtigkeit der künstlerischen Interaktion.
Gibt es eine Wirklichkeit hinter den Bildern? Und wenn ja, gibt es einen direkten Zugang zu ihr?
Ganz neu sind diese Fragen nicht. Die Sehnsucht nach dem “unvermittelten Blick” auf die Welt, jenseits der Medien, ist so alt wie die menschliche Kultur. Doch wie der Künstler Peter Meilchen sie stellt, das macht sein Werk so wertvoll. Daß dies auch mit einer spielerischen Leichtigkeit geschehen kann, belegt die Reihe Frühlingel.
Weil die Grenzen der Sprache zugleich die Grenzen der Welt sind, betrifft die meisten Menschen nur die Welt der Mitteilbarkeit und ihr gemeinsames Symbolsystem, Meilchens Welt hat andere Grenzen, in ihr können Bilder vorkommen, die sich selbst bedeuten. Gegen die seit der Zentralperspektive eingeführten Annahme, daß Kunst denken in Bildern sei, richtete sich bereits der russische Formalist Viktor Schklowski in seinem Aufsatz Kunst als Verfahren:
Künstlerisch im engeren Sinne wollen wir nennen, was mit Hilfe besonderer Verfahren entstand, die darauf abzielen, Dinge möglichst eindeutig als Kunst wahrnehmbar werden zu lassen.
Die bildende Kunst nimmt wieder ihren Ort im Dreieck Kunst – Idee – Bild ein. Und eine Idee zu einem ganzheitlichen Bild, das unterschiedlichste Dinge vereint, zu formen, darin besteht die große Aufgabe künstlerischen Schaffens. Keineswegs ist die Welt also nur alles, was der Fall ist, der Künstler kann es so zeigen, daß sie uns auf fremde Weise vertraut vorkommt. Meilchen hinterfragte in Zusammenarbeit mit Weigoni die Widersprüche zwischen Wort und Bild, überschritt aber früh die Grenzen der Malerei, indem er Installationen, Künstlerbücher, Fotografien oder den Film Schland schuf. Meilchen wirft einen illusionsloser Blick auf das, was bleibt, er verspricht dem Betrachter eine Wirklichkeit, die jene Bildwirklichkeiten nicht mehr benötigt, in welche der Betrachter seit der Renaissance gleichsam einem Fenster hineinsieht. Ein Bild interessiert ihn nur, wenn es anders wird als das, was ich man sich vorgestellt hat. Mit Bildern ist es wie mit Wünschen: Die unerfüllten bleiben intakt, die erfüllten werden flach. Einer der Vorteile von Kunst gegenüber der Wirklichkeit ist die Hemmungslosigkeit, mit der man sie ansehen darf.
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Wortspielhalle, eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni, mit Inventionen von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2014
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Einen Essay zur Ausstellung 50 Jahre Krumscheid / Meilchen & Der Bogen lesen Sie hier. Zur Ausstellung erschien das Buch / Katalog-Projekt Wortspielhalle mit der Reihe Frühlingel von Peter Meilchen und einem Vorwort von Klaus Krumscheid. Die Sprechpartitur wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel zum Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Eine höherwertige Konfiguration entdeckt Constanze Schmidt in dieser Collaboration. Holger Benkel lauscht Zikaden und Hähern nach. Ein weiterer Blick beleuchtet die Inventionen von Peter Meilchen. Ein Essay fasst das transmediale Projekt Wortspielhalle zusammen. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können hier abgerufen werden. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.