Halbe Utopie

 

An manchen Orten, sage ich, bin ich immer glücklich, an manchen nie. In den Cafés der Avenuen, in den Museen und Theatern, im Kino und in der Oper widerfährt mir nur mein Glück. – Da bin ich ja nie mit dir zusammen, sagt Schlange, hast du mit mir kein Glück? – Das frage ich mich auch, sage ich. – Und? – Du bist kein solcher Ort, an dem ich immer glücklich bin, sage ich. – Was sonst? – Du bist kein Theater, aber du spielst mir die schönsten Szenen vor, sage ich. Du bist kein Bild, an dem ich mich satt sehen kann, aber du machst mir mehr Hunger als die Venus im Louvre. Du bist der Doppelort meines Glücks und Unglücks, mit dem ich lebe. – Aha, sagt Schlange, dann bin ich nur die Hälfte deines Glücks. – Die andere Hälfte, sage ich, bin ja ich, und beide Hälften machen unser ganzes Glück, indem wir uns immer wieder an uns selbst verlieren. – Aber dann wohnen doch Glück und Unglück zusammen, sagt Schlange. – Das ist der beste Ort, sage ich, wo wir beides haben: Uns.

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

Weiterführend →

Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.