Öffentliche Beziehungen

Vorbemerkung der Redaktion: Unter „Kunst im öffentlichen Raum“ verstand man früher das Reiter- oder Kriegerdenkmal, Sklupturales oder Brunnen. Seit den nuller Jahren ist eine veränderte Wahrnehmung bekannt scheinender urbaner Kontexte zu beobachten. Im 21. Jahrhundert nennen Künstler ihre Werke „Interventionen“. Diese Interventionen sind nicht als stationäre Kunst am Bau geplant, sondern als Aktionen für das kollektiven Gedächtnis, sie bringen Unordnung in die Alltagsroutine des öffentlichen Raums. Mit public preposition realisiert Mischa Kuball seit 2009 eine Serie von Installationen im öffentlichen Raum. Der Künstler realisierte seit 2009 eine Serie von Installationen im öffentlichen Raum: Venedig 2009, Marfa 2009, Toronto 2011, Bern 2011, Wolfsburg 2012, Jerusalem 2012, Katowice 2012, Christchurch 2012. In dieser Reihe liegt sein Betätigungsfeld im sozialen Raum, ausserhalb der institutionellen Grenzen. Seine prepositions konnten überall stattfinden: auf dem Parkplatz, in Wohnungen, im Supermarkt. Die „public prepositions“ spiegeln Kuballs anhaltendes Interesse an einer künstlerischen Auseinandersetzung mit abstrakten Formen und symbolischer Kommunikation. „Preposition“ bezieht sich hier auf die syntaktische Funktion der Präposition und beschreibt für die Werke eine Mittelposition zwischen den historisch und sozial konnotierten Orten und der künstlerischen Intervention. Die Frage nach der zeitgemäßen Definition dieser Kunstform bewegt Künstler seit den 1970er Jahren; die Antworten haben sich in dieser Zeit erheblich verändert. Die Projektreihe public preposition positioniert dieses Thema neu. Während die Dichter der Romantik unter dem Titel „In der Fremde“ die grundsätzliche Unbehaustheit des Menschen diskutieren, erkundet Kuball die Agora als einen Ort, an dem sich Identitäten und Hierarchien neu definieren und dechiffrieren, aber auch neu perspektivieren lassen. Für Kuballs ephemeres Werk besteht nicht die Gefahr, im Museum eingemauert zu werden.

Was nicht kommuniziert wird, ist nicht, und je mehr etwas kommuniziert wird, desto mehr ist es.

Vilém Flusser

KUNO präsentiert zur Vertiefung ein Gespräch zwischen Vanessa Joan Müller und Mischa Kuball über öffentliche Beziehungen:

Vanessa Joan Müller: Die Aufklärung ist eng mit der Metapher des Lichts verbunden, was im englischen Begriff „enligthenment“ noch stärker zum Ausdruck kommt. Licht ermöglicht Sichtbarkeit und damit Erkenntnis, klärt die Verhältnisse und vertreibt das Irrationale. Licht als Medium der bildenden Kunst ist in diese historische Genealogie eingebunden, hinterfragt jedoch auch das Projekt Aufklärung in seinem Anspruch, alle Lebensbereiche vollständig zu durchleuchten. Inwieweit setzen sich die verschiedenen unter dem Titel „public preposition“ zusammengefassten Arbeiten zum urbanen Licht in Form von Straßenbeleuchtungen, illuminierten Gebäuden mit dieser Ideengeschichte auseinander?

Mischa Kuball: Die Bedeutungsnähe von Licht und Aufklärung – oder besser aus dem Dunkel des Mittelalters ins Licht der Aufklärung – birgt eine tragische Verbindung, weil sie vorgaukelt, der „reine“ Lichtschein sei schon ausreichend, um am Modell und Prozess des „Projekts Aufklärung“ teilzuhaben. Tragisch kann auch sein, dass die Lichtmetaphorik eben genau auf diese vermeintliche Kausalität verkürzt wird. Mich hat eher interessiert, was sich aus diesem ersten Verhältnis an komplexeren Fragen erzeugen lässt – insoweit berührt dann eine Installation mit und an einem Hochhaus wie in Düsseldorf (1990) oder in Toronto (2010) Themen wie Urbanität, Arbeitswelt, Ökonomisierung von urbanen Räumen. In Christchurch (2012-2015) werden zum Beispiel 22 Straßenlaternen aus 22 Städten zu einem Symbol der internationalen Vernetzung nach zwei gravierenden Erdbeben auf der Südinsel Neuseelands. Das ändert natürlich nichts an der Katastrophe, erzeugt aber im Sinne einer symbolischen Vernetzung Teilhabe und Kenntnisnahme im öffentlichen Raum. Da kann die erste Assoziation von Licht und Aufklärung eine Brücke schlagen und Zugang für weitere Deutungsräume öffnen. Es geht dann auch nicht mehr so sehr um die Art der Straßenleuchte oder um die Form der Beleuchtung, sondern eher um den realen und symbolischen Kontext. „Blenden und Beleuchten“ können somit methodisch auch eine Verschiebung einleiten und nehmen somit dann auch Einfluss auf die Wahrnehmbarkeit einer Situation – eine Form der Basisarbeit für eine mögliche Klärung der Verhältnisse.

VJM: Licht wäre dann sowohl eine Metapher als auch das Material für eine Form der Sichtbarmachung, die bestimmte Aspekte in den Fokus rückt und andere, sonst vielleicht die Situation dominierende in den Schatten stellt. Ich habe das Gefühl, dass bei deinen Arbeiten im Laufe der Zeit die Beschäftigung mit im weitesten Sinn politischen Fragestellungen stärker in den Vordergrund getreten ist. Liegt das auch daran, dass die Inszenierung des kommerzialisierten öffentlichen Raumes deutlich zugenommen hat? Dass wir einen anderen Blick entwickeln müssen für die dahinter liegenden Strategien?

MK: Ja, absolut, das empfinde und beobachte ich auch so. Als ich vor mehr als dreißig Jahren die ersten Installationen mit Diaprojektoren in Galerieräumen und am Bauhaus in Dessau 1992 im Außenraum an der historischen Fassade realisierte, habe ich mich mit der Kategorisierung als „Lichtkünstler“ klaglos abgefunden. Das ist natürlich sehr naiv gewesen, weil ich meine Arbeiten auf das phänotypische Wirkungsfeld habe reduzieren und verkürzen lassen. Parallel aber hat sich der sogenannte „öffentliche Raum“ weiter partikularisiert und ökonomisiert – plötzlich wurde Licht im Sinne von „Beleuchtung“ Ausdruck von Prosperität und Wohlfühlszenario in der öffentlichen Wahrnehmung und hatte deutlich weniger Assoziationen zur „Aufklärung“. Das hatte Konsequenzen – ich musste reihenweise Projekte ablehnen, wo ich deutlich absehbar keine Trennschärfe hätte hinbekommen können zwischen künstlerischen Handlungsfeldern und grob gesagt Stadtmarketing. Die Rolle der Kunst und des Künstlers wird harten Prüfungen unterzogen – wenn Du beispielsweise Strategien ansprichst, gibt es derzeit eine Reihe von Initiativen mit künstlerischen Positionen, die schlau verschleiern, wer hier welches Ziel und welche Absichten verfolgt. Dazu gehört auch das große ambivalente Feld „Kunst am Bau“. Aber auch die ehrwürdige documenta hat da ihre Erfahrungen zu machen, was die Erweiterung der Kunstzone in Kassel angeht. Sehr überzeugend fand ich das „George Bataille Monument“ von Thomas Hirschhorn 2002 und die komplexe Intervention von Pierre Huyghe in den Kasseler Auen 2012. Andere Modelle wie „Neue Auftraggeber“, aus Frankreich kommend und international agierend, setzen auf andere Strategien der Verdichtung im Kontext der Partizipation: Ausgehend von den definierten Bedürfnissen am spezifischen Ort wird eine künstlerische Position in einen breiteren Diskurs eingebunden und dann entsteht ein Prozess über das, was tatsächlich entstehen soll – das Werk steht also „hinten“ an. Ich finde es gehört zum Agieren dazu, sehr genau die parallelen Entwicklungen zu beobachten! Bei „catch as catch can“ haben Lawrence Weiner und ich sehr eng mit der Bewohnern des Stadtteils Ebel in Bottrop gearbeitet. Sie wünschten sich nach dem stinkendem Klärbecken einen öffentlichen Park für alle Bürger – darauf haben wir mit unserer Idee und Konzeption dann reagiert – eben: nimm es wie es kommt!

VJM: Die Frage nach dem Auftraggeber ist interessant, da es in der Tat unterschiedliche Interessen sind, die Kunstprojekte im öffentlichen Raum initiieren – da zählt die Aufwertung vernachlässigter Areale durch subtil bis offen formulierte Gentrifizierungsbestrebungen durch den Einsatz von Kunst zu, aber auch der Wunsch nach einer kritischen Intervention, die auf Defizite im urbanen Raum hinweist. Wie schätzt du die Gefahr der Instrumentalisierung ein? Und wie groß ist dein Spielraum als Künstler, die oft auch verdeckten Intentionen ihrerseits kritisch zu thematisieren?

MK: Ganz deutlich fällt die Abgrenzung nicht immer aus – z. B. weil während des künstlerischen Prozesses sich auch die Rahmenbedingungen ändern können. Das kann einen Kontext verschieben – oder eben auch ein Projekt unmöglich machen. Eine Besonderheit, die sich methodisch als dienlich erwiesen hat, ist die Bereitschaft, relativ kurzfristig auf Anfragen von Initiativen zu reagieren, um einerseits sehr aktuell zu agieren und zum anderen eben auch reaktive Strukturen, die den Ablauf unterlaufen könnten, zu vermeiden. Anders als bei einer Beauftragung einer Skulptur im öffentlichen Raum kann eine Intervention viel offen lassen und sich somit einer „Instrumentalisierung“ zumindest im Vorfeld deutlich entziehen.

Leider steckt in diesen „Vorteilen“ oft auch der Kern des Scheiterns – genau das kann eine Idee auch zu Fall bringen. Das hat auch Konsequenzen für die von Dir angesprochenen Spielräume. Sie sind zum Teil so beengend, dass einige Ideen versuchen, in größeren Zusammenhängen „Unterschlupf“ zu suchen, um überhaupt realisiert zu werden. Trotzdem glaube ich an die Möglichkeiten von verdeckten Interventionen – eventuell dann eben ohne Auftraggeber, ohne ein informiertes Publikum.

VJM: Die „public preposition“ Projekte entstehen für bestimmte Orte oder Situationen und greifen deren spezifische Geschichte oder historische Aufladung auf. Sie sind ortsspezifisch, aber auch kontextspezifisch. Zudem richten sich die neueren Arbeiten dieser Werkgruppe auch dezidiert an das lokale Publikum. Wie entstehen diese Projekte? Du wirst von einer Institution oder einem Kurator eingeladen, für eine Ausstellung oder zu einem bestimmten Anlass eine Arbeit zu entwickeln. Recherchierst du dann vor Ort? Oder gibt es bereits Ideen, die dann auf eine bestimmte Situation hin ausformuliert werden?

MK: Die Einladung zu einem Projekt ist oft unmittelbar gekoppelt mit einer ersten Recherche. Dabei spielt auch rein, inwieweit sich diese Recherche über die einladende Institution führen lässt. Dann entscheidet sich erst nach dieser Phase ob es zu einer Intervention im Kontext von „public preposition“ kommen sollte; auch die Zeiträume und Vorstellungen von temporär und eventuell dauerhaft sind zu bestimmen – alles bildet im Nachgang Konsequenzen aus. Es gibt auch die Initiative, für einen Ort eine Intervention vorzuschlagen, d. h. es gibt schon eine Recherche und ein Konzept, aber keinen Partner vor Ort. Es kommt auch vor, dass es bereits eine konkrete Vorstellung gibt, die dann durch die Analyse vor Ort komplett umgeworfen wird. Seit geraumer Zeit gibt es ja auch eine Art Überdrüssigkeit Projekten gegenüber, die sich als ortsspezifisch „labeln“ lassen. Gerade seit 2009 haben sich Projekte entwickelt, die in ihrer Form der Konzeption und Umsetzung für mich komplett neu sind – z. B. für Marfa die „performances with no audience“. Dabei wurde jede Performance 24 Stunden nach ihrer Durchführung angekündigt, d. h. der Betrachter war immer zu spät und es waren bestenfalls nur noch Spuren des Geschehenen zu sehen. Oder 2011 in Bern, wo ich mit 300 Schafen eine Prozession durch die Stadt initiiert und einen Theaterraum für 24 Stunden in einem öffentlichen Raum verwandelt habe. Diese beiden Projekte hatten einen anderen ersten Gedanken und haben sich vor Ort weiter entwickelt.

VJM: Ortsspezifik ist in der Tat eine schwierige Kategorie. Ich würde viele deine Projekte eher als kontextspezifisch beschreiben. „Ghosttram“ zum Beispiel, der Geisterzug, der beleuchtet nachts durch Katowice fuhr, löst in dieser Stadt ganz andere Konnotationen aus als er es etwa in Düsseldorf tun würde. Inwieweit fließen die Reaktion des Publikums – das sich ja in den meisten Fällen gar nicht im üblichen Sinn evaluieren lässt – in das Projekt mit ein? Die „performance with no audience“ ist sicher ein radikaler Fall, aber in Bern oder Katowice hatten die Projekte eine große Sichtbarkeit und irritierten vermutlich auch jene, die keine Kenntnis von den in diesen Fällen ebenfalls sehr performativen Projekten hatten.

MK: Die Gruppe der Ahnungslosen – d. h. die die durch Irritation erreicht werden – ist in Katowice und Bern ungleich größer als die Kunstdorfgemeinschaft in Marfa. Dennoch scheint ja gerade beim unvorbereiteten Betrachter die Möglichkeit größer, eine andere Wirkungsform zu erzielen: Hier erlebt und sieht man etwas, was man aber erst zeitverschoben versteht – bei den „performances with no audience“ spiele ich ja mit dem Gefühl, zu spät am Ort des Geschehen zu sein, also etwas zu verpassen. Das ist natürlich ein anderer Blickwinkel auf die Rolle des Betrachters im Verhältnis zum Agierenden! Der Kunstkenner in Marfa weiß alles und bekommt alles mit; die unwissenden Bürger in Bern und die Wartenden an den Haltestellen in Katowice sind überrascht von der Situation. In den beiden Projekten spielt der Kontext eine deutlich größere Rolle als der Ort – ich merke aber, wenn ich darüber nachdenke, wie schwierig mir die Trennung fällt.

VJM: Nach einem Begriffsboom in den 1980er und 1990er Jahren scheint das Konzept der Öffentlichkeit zunehmend kritisch beleuchtet zu werden. Das Interesse an der Aufrechterhaltung der bürgerlichen öffentlichen Sphäre und ihrer Institutionen wie dem Museum und dem Ausstellungsraum geht derzeit deutlich zurück. Im Kunstfeld hat sich parallel dazu die Adressierung von Teilöffentlichkeiten / communities intensiviert. Welche Rolle spielt das für ein Konzept wie das von „public preposition“ bzw. welcher Begriff des Öffentlichen spielt für dich dabei eine Rolle?

MK: Diese inhaltliche und kritische Betrachtung eines Konzeptes von Öffentlichkeit und Teilöffentlichkeiten wird in meinen Projekten grundsätzlich mit gedacht. In Projekten wie „les fleurs du mal / Blumen für Marl“ seit 2014 am Rathaus der Stadt Marl – dort ist auch das Museum verortet – geht es ja genau darum, alle möglichen Kulminationsmuster aufzufahren: Rathaus, Betonarchitektur der 1960er-Utopien, Skulpturenmuseum, öffentlicher Platz, Stadtverschönerung, privat vs öffentlich anhand der Texte von Charles Baudelaire, Partizipation, VHS DIY-Angebote, um nur einige Aspekte zu benennen. Das macht ja schon deutlich wie partikulär sich Öffentlichkeit in einem solchen Projekt repräsentiert. Das heißt aber auch, dass ich nicht mit einem festen Begriff des „Öffentlichen“ arbeite, sondern mit (Teil-)Öffentlichkeiten die sich möglicherweise auch erst in einem Projekt als solches herausbilden. Dabei kann das Museum, die Institution auch eine initiative Rolle übernehmen und ein Projekt anstoßen.

VJM: Öffentlichkeit impliziert in diesem Fall auch ein Angebot zur Partizipation – die Arbeit funktioniert nur, wenn sich Menschen von ihr angesprochen fühlen und auf das Konzept einlassen. Und sie ist interessanterweise an einem Ort platziert, der das eine Konzept der Öffentlichkeit repräsentiert, nämlich die staatlich-verwaltungstechnische Öffentlichkeit, und gleichzeitig die Zivilgesellschaft adressiert und damit die andere Form von Öffentlichkeit. Auch wenn es vielleicht banal klingen mag: Entstehen deine Arbeiten eher ausgehend von Orten oder ausgehend von den Menschen, die diese Orte frequentieren?

MK: Das ist eine diffizile Frage, weil es sich nicht immer so klar aufteilt. Gerade das Feld der Partizipation erlebe ich in Projektverläufen in einem steten Wandel. In den ersten Phasen der Recherche sind es Gespräche mit den Leuten vor Ort, dann die Orte selbst und ihre Hintergrundgeschichten. Bei der Präsentation von Idee und Konzept sind es eventuell wieder andere Gruppen, die angesprochen sind. Bei der Umsetzung kann es sich – wie z. B. bei der „public stage“ in Halle (2000) und Sofia (2013) – um sehr vielfältige Akteure handeln. Ohne ihr Handeln existiert ja nur eine leere Bühne, mit Licht das starr die Szene beleuchtet, unabhängig ob etwas oder eben nichts passiert. Das alles hat auch einen direkten Einfluss auf die Ebene der Reflexion. Es wird schnell komplex und etwas unüberschaubar, deshalb ist es gut, wenn es eine kuratorische „Instanz“ gibt, die den Prozess und die Performance begleitet und beobachtet. Am Ende sind es aber die Menschen, die den jeweiligen Ort frequentieren, die die Arbeit „umsetzen“.

VJM: Ohne Publikum würde „public preposition“ eigentlich gar nicht funktionieren. Nicht etwa, weil das Publikum in irgendeiner Form mit dem Werk interagieren oder auf es reagieren muss, sondern weil es ganz einfach jenen Resonanzraum bildet, der dann – um den Titel eines der Projekte aufzugreifen – eine Arena in eine Agora verwandelt, also in einen Ort des Zusammentreffens und des Austauschs. Viele der „public preposition“ Projekte haben temporären Charakter, die (noch) nicht realisierten Projekte hingegen sind häufig solche, die auf eine dauerhafte urbane Präsenz abzielen. Wie siehst du das Verhältnis zwischen zeitlich begrenzter Intervention und klar im Stadtraum verortetem Werk? Und welche Auswirkungen hat das auf das Publikum im oben skizzierten Sinne?

MK: Eigentlich meine ich erst einmal ein unbestimmbares Publikum, das ich nicht kenne – manchmal bildet es sich erst vor am Ort. Du hast die Idee von „Arena/Agora“ in Bochum im Rahmen der RuhrTriennale angesprochen –  ein Projekt im Außenraum auf einem umgewidmeten Industrieareal. Am Abend war diese Installation der Ort, wo sich Theaterbesucher gegenseitig beobachten konnten, wo fast bühnenhafte Momente entstanden. In der Nacht erreichte sie ein anderes Publikum, fast könnte man sagen eine „Gegenöffentlichkeit“, die an dieser Form der Hochkultur nicht teilhat. Viele Jugendliche haben diese tribünenartige Treppe für allerlei Kunststücke gebraucht, aber überraschend für den Kurator Heiner Goebbels und sein Team: es gab keinen Vandalismus, trotz der Abgeschiedenheit! In meinem Verständnis aber ist eben nicht ein Publikum, eine Öffentlichkeit angesprochen, sondern alle möglichen und denkbaren Öffentlichkeiten. So verstehe ich die Agora: nicht als einen privilegierten Ort, sondern als einen demokratischen, offenen, zugänglichen Ort – eine Arena für alle. Hier spielte der temporäre Zeitraum eine wichtige Rolle für die Beobachtbarkeit der Nutzungen. Bei „MetaLicht“ in Wuppertal mit der Bergischen Universität war schnell klar, dass sich die Ideen zu einer anderen Verknüpfung von Stadtraum und Universitätsraum nicht auf eine zeitlich begrenzte Intervention werden beschränken lassen – da bleibt die Idee dazu dauerhaft in ihrer Installation – aber stetig wechselnd in den Erscheinungsbildern und in ihren Wirkungsmöglichkeiten. Hier ist die Adressierung deutlich die Stadtbevölkerung. Auch eine Intention seitens der Universität und ihres Rektors Lambert Koch wurde formuliert. Doch damit verbunden war keine Einflussnahme auf die Idee des Projektes, allerdings eine klare Vorstellung über den Prozess, wie die Installation im Stadtraum von Wuppertal vermittelt werden soll. Heute wird sie fast schon freundschaftlich die „Akropolis von Wuppertal“ genannt – manchmal tut eben „Volkes Mund Wahrheit kund“. Ich würde Dich aber gerne ansprechen auf dein Verständnis von Orten für die Kunst. Was für eine Position nimmt zum Beispiel die European Kunsthalle ein – ist sie ein Ort für die Kunst oder schafft in diesem Fall die Kunst einen Ort?

VJM: Die European Kunsthalle hat sich eigentlich immer als „performative“ Institution verstanden, das heißt als Institution, die immer dann in Erscheinung tritt, wenn sie eines ihrer Projekte realisiert, die aber keinen eigenen Ort hat und deshalb jenseits der traditionellen institutionellen Parameter agiert. Damit geht sie indirekt bei ihren Ausstellungen und Projekten auch der Frage nach, was heutige Orte zeitgenössischer Kunst sein könnten, wo die Kunst jenseits stabiler räumlicher Szenarien ihr Publikum finden könnte etc. Interessanterweise spielt die Autonomie des Kunstwerks in der zeitgenössischen künstlerischen Praxis gar keine so große Rolle mehr. Die institutionellen Ausstellungsräume folgen vielfach jedoch noch immer den gleichen Anforderungsprofilen wie in der Nachkriegsmoderne. Kunst kann deshalb ein Testszenario schaffen, was wo möglich ist und welche anderen Räume erschlossen werden könnten. Das institutionelle Format kann aber auch einen strategischen Rahmen liefern, der an einem eigentlich etablierten Ort neue Fragen stellt. Wenn die European Kunsthalle ein Kunstprojekt wäre, würde sie eigentlich gar nicht schlecht in das Konzept „public preposition“ passen! Ein wichtiger Aspekt ist auch die relative Unabhängigkeit, die ein nicht zu unterschätzender Faktor ist. Kuratoren müssen bei ihrem Dialog mit der Kunst und mit Künstlern mittlerweile zahlreiche externe Faktoren – von der kommunalen Politik über bestimmte Publikumssegmente bis hin zu an sie delegierten Aufgaben wie schulische Bildung und Integration – berücksichtigen, die das eigentliche Werk manchmal in den Hintergrund zu drängen scheinen. Das Problem mit dem Auftraggeber gibt es also auch durchaus hier. Gerade deshalb vermisse ich manchmal die Komplizenschaft zwischen Kunst und Kurator. Es sollte ja nicht so sein, dass jemand etwas in Auftrag gibt, die ersten Weichen stellt und dann dem Künstler die komplette Verantwortung übereignet.

MK: Bei der ersten Idee zu „public stage“ in Halle (2000) und auch bei der zweiten Version in Sofia (2013) beziehe ich mich auf einen politischen Wandel im Sprechen und Handeln einer demokratischen und zivilen Öffentlichkeit – nach zwölf Jahren Naziterror und vierzig Jahren kommunistischer Diktatur –, aber auch auf die kunsthistorisch bedeutende Performance „SILENCE“ von Marcel Broodthaers 1972 im Hyde Park am Speakers Corner. Dabei wurden an einem Nachmittag wortlos Texttafeln mit den Wörtern „Silence“, „The mind of William Blake“ und „Visit Tate Gallery“ von Broodthaers hochgehalten.

VJM: Die 1970er Jahre waren letztlich doch eine ziemlich andere Zeit, in der man noch von der Idee des öffentlichen Raumes überzeugt war und ihn entsprechend zur öffentlichen Artikulation nutzte. Was mir an Broodthaers immer sehr gefallen hat, ist seine Verschränkung und Politik und Poetik im Sinne einer Kunst, die sehr dezidiert Stellung bezieht zu Fragen der Funktion der Kunst in der Gesellschaft, diese Fragen aber immer im Medium der Kunst formuliert. Seine Interventionen – ein Wort, das er vermutlich gehasst hätte – sind sehr subtil, gerade deshalb aber wirkmächtig. Die radikale Infragestellung des Gegebenen sieht man ihnen auf den ersten Blick gar nicht an. Gleichzeitig sind es aber auch Werke, denen die Reaktion des Publikums relativ egal war, weil das Publikum nicht als adressierter Akteur mitgedacht ist, sondern eigentlich ganz klassisch als Betrachter. Für das Happening war eher Broodthaers’ späterer Antagonist Beuys zuständig … Das hat auch mit einer grundsätzlich anderen Vorstellung davon zu tun, welche Rolle der Kunst in Bezug auf die Veränderung von Gesellschaft zukommt bzw. ob sie diese Rolle überhaupt übernehmen soll. Politisch ist Broodthaers immer in Bezug auf die Institutionen der Kunst und ihre Funktion als Repräsentationssystem zu sehen.

MK: Mit „public stage“ dachte ich ja ein Werkzeug zu entwickeln, das den Status Quo von Öffentlichkeit beobachtbar machen kann. Mir wurden aber auch deutlich Grenzen aufgezeigt – z. B. bei der Idee der Publikation zu „public stage“. Unsere Konzeption sah vor, für jeden der 14 Tage der öffentlichen Bühne eine Doppelseite zur Verfügung zu stellen, um stattgefundene Aktionen wie in einem Album in s/w zu dokumentieren. Das Museum Moritzburg in Halle/Saale lehnte es ab, für „schwarze Seiten“ – von den Tagen, an denen kein Material vorlag – zu bezahlen. Wir haben auf Konzepttreue bestanden, weil unser Eindruck war, dass die „schwarzen Seiten“ eben dokumentierte „Nicht-Aktivität“ bedeuten und deswegen so gezeigt werden sollten.

VJM: Finde ich überzeugend. Zumal auf einer öffentlichen Bühne immer etwas stattfindet, ob nun Spektakuläres oder Alltägliches. Schwarze Seiten für das nicht dokumentierte Geschehen sind doch ein perfekter Ausdruck dafür, dass Öffentlichkeit auch immer einen Freiraum für die Imagination impliziert und sich zwischen Kontrolle und Anonymität abspielt – als Beziehungsgeflecht aus Bedürfnissen, Interessenslagen und Verhaltensweisen auch jenseits des offensichtlich Artikulierten.

 

 

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Weiterführend →

Lesen Sie im Rahmen der public preposition auch das Ateliergespräch von Prof. Dr. Matei Chihaia mit Mischa Kuball.

public preposition, Katalog von Mischa Kuball, Distanz Verlag, Berlin. Texte von Barbara Steiner, Blair French, Zoran Eric u. a.