Ein Schwarzbuch ist eine Sammlung von Negativbeispielen aus der Sicht des Autors oder Herausgebers, die in Buchform veröffentlicht wird („Schmutzbuch“).
Quelle: Wikipedia
Nachdem das Jahrbuch der Lyrik 2015 für Furore gesorgt hatte, vor allem deshalb, weil „sich so gut wie kein politisches, zumindest gesellschaftskritisches Gedicht [darin] findet“ (Heike Kunert in der ZEIT), hielten es die Herausgeber für geboten, ein Druckwerk vorzulegen, das die Vielfalt der Lyrik in einer brisanten Gegenwart anschaulich macht. Herausgekommen ist das Schwarzbuch der Lyrik 2016 mit dem Titel Fünfzigtausend Anschläge. Die Anthologie versammelt 60 Gedichte von 13 Dichterinnen und 26 Dichtern in fünf musikalisch geprägten Kapiteln: Heavy Metal, Rock’n’Roll, Doom Shanties, Blues und Chansons. Dazu gibt es einen Anhang mit ergänzenden Beiträgen zur Entstehung des Schwarzbuchs. KUNO präsentiert drei Gedichte daraus, beginnend mit dem von der Redaktion sehr geschätzten HEL Toussaint:
ISIS waren doch die guten
als sie wider Assad zogen
alawiten muß man stuken
gotteskämpfer muß man loben
Aber Assad war doch böse
alliierter Rußlands Putins?
jetzt fürs bündnis gegen ISIS
nimmt man ihn mit kußhand (blutig)
Mutter Mauckel muß inn handel
überall herrscht waffenmangel
Was ist mit den bösen kurden?
insurgenten vierer länder
Jetz kriegt Ankara die kurve
schleust sie über seine grenzen
Ankara? das ist doch Nato
das bewacht den Nahen Osten
kümmeltürk Europanase
hältst die falschen grenzen offen
Mutter Mauckel muß beliefern
was nach uziaktien jiepert
Völker die kein mensch gekannt hat –
kann man auch jesiden umdrehn?
fliehn die? und die frischen panzer
sollen unkaputt herumstehn?
die aseri … was für welche?
Wolln nen staat? das kriegn wr später
Können moslemdeutsche helfen
gegen sowjetschrottkampfjäger?
Mutter Mauckel von der Leihpacht:
Wer macht dies jahr wieder reibach?
Hat es sich dann ausgeflüchtet
auf geht ’s c/o Netanjahu
kommt mal zuch inn haufen richt’ euch
alles maso einer sado
Hu Jintao siebt akribisch
seltne erden drohnentauglich
Was? Obama tickt pazifisch?
feuert ihn! (McDonnell Douglas)
Mutter M bekämpft den hunger
ihrer toten jungs da unten
***
Fünfzigtausend Anschläge, Schwarzbuch der Lyrik 2016, Herausgegeben von der Epidemie der Künste zu Berlin am See. Erscheint im Verlag Distillery, Berlin
60 Gedichte von 39 Schreibenden. Mit einer Titelgrafik von Joerg Waehner und einem Motto von Christine Sohn.
Mit Klappentexten von Marina Büttner und Christoph Bruckner sowie einem Einbandzitat von André Hatting.
Weitere Zitate von Theo Breuer, Peter Engel, David Hoffmann, Eric Ahrens, Herbert Hindringer, Lukas Palamar, Sofie Lichtenstein und Markus Prem.
Grußworte von Hans Magnus Enzensberger, Cindy aus Marzahn, Marcel Reich-Ranicki, Michael Braun und Johann Wolfgang von Goethe.
Gedichte von Gerd Adloff, Michael Arenz, Christoph Bruckner, Ann Cotten, Gerald Fiebig, Lütfiye Güzel, Jonis Hartmann, Katrin Heinau, Katja Horn, Lilly Jäckl, Angelika Janz, Alexander Krohn, Jan Kuhlbrodt, Gregor Kunz, Robert Mießner, Pega Mund, Niklas L. Niskate, Hermann Jan Ooster, Bert Papenfuß, Martin Piekar, Kai Pohl, Jannis Poptrandov, Bertram Reinecke, Clemens Schittko, Sigune Schnabel, Jürgen Schneider, Kristin Schulz, Christine Sohn, Michael Spyra, Lutz Steinbrück, Brigitte Struzyk, Su Tiqqun, HEL Toussaint, Tom de Toys, Joerg Waehner, A. J. Weigoni, Ralf S. Werder, Sebastian Wippermann.
Mit ergänzenden Beiträgen zur Entstehung des Schwarzbuchs.
Der Band wird herausgegeben von der Epidemie der Künste und erscheint im Verlag Distillery. Die Buchpremiere findet am 16. Dezember 2015 um 20 Uhr in Berlin statt. Ort: Rumbalotte Prenzlauer Berg Connection e. V., Berliner Str. 80-82, 13189 Berlin.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.