Ein Konzeptalbum aus Worten

Bei einem Konzeptalbum sind die einzelnen Titel nicht isoliert, sie stehen in thematischer Beziehung. Durch die Ausarbeitung eines textlichen Zusammenhang wird ein durchgängiges Konzept verfolgt.

Coverphoto: Anja Roth

Mit seinem ‚Konzeptalbum‘, bestehend aus den Zombies und Cyberspasz dekonstruiert A.J. Weigoni eine Erzählmaschine, die ihre eigene Produktionslogik entfaltet. Wenn man das Wesen seiner Prosa finden will, muss man nur eines seiner Bücher aufschlagen und einige dieser ersten Sätze lesen, kurze, einfache, trockene Sätze, wie sie Weigoni meistens schreibt, Sätze, in denen viel Kraft steckt. Das Motivgewebe knüpft sich von Text zu Text. Eine nervöse, unübersichtliche Gegenwart potenziert und verdichtet sich sich in dieser hybriden Prosa zu einem apokalyptischen Stimmungsbild. Die Zombies sind Erzählungen, die in die Düsternis unserer Existenz vordringen, sie sind haarsträubend, abstoßend, rührend und voll grimmigen Humors, man liest in diesem Ellipsenfeuerwerk von Dystopien und Alltagskrisen, Tragödien und Peinlichkeiten, bis man das eine kaum noch vom anderen unterscheiden kann.

Gestorben wird immer

Mit photographischer Präzision sortiert dieser Romancier sonst übersehende Wahrnehmungsspliter und beschreibt ein Dasein an der Front menschlicher Verachtung. Er hat die Kommunikationsunfähigkeit, die Unmöglichkeit erfüllter Liebe, die Isolation und Einsamkeit der Menschen beschrieben wie niemand zuvor. Weigoni literarischer Alptraum ist deshalb so beklemmend, weil wir darin keinen Monstern begegnen, sondern Angestellten und Bürokraten, der Horror auf Zehenspitzen daherkommt, in einer sacht verfremdeten Wirklichkeit nistet. Selten hat man in der Literatur ein derart finsteres Bild der Wirklichkeit nachlesen können. Und nie war dieses Bild in all seiner Schwärze so bestechend klar. Lachend, läßt sich das Komische am Tragischen, das Groteske und Aberwitzige, das abgrundtief schwarz Humoreske und last, but not least, das Zufällige noch am Ehesten ertragen.

Meisterwerke des lakonischen Alltags–Realismus

Literatur ist stets auch ein intellektuelles Laboratorium, die Monster, die dort geboren werden, vermögen dem Leser im Zweifelsfall mehr über ihn zu verraten, als jede politische Grundsatzdebatte es je könnte. Zwar verbergen sich poetische Deutungen politischer und sozialer Vorgänge in diesen Sätzen, doch vermeidet Weigoni, sich auf moralische Urteile festlegen zu lassen. Moral spielt keine Rolle mehr, sondern nur noch die Überlegung, wie Chancen besser realisiert werden können. Weigonis  Sprache ist geschliffen wie ein gutes Tranchiermesser, das seine Funktion wie nebenher erfüllt: das Literarische dient dazu, Geschichten so zu erzählen, daß sie den Leser bei der Stange halten.

Schwarze Romantik und Rebellion gehen bei Weigoni eine Allianz ein.

Von Voodoo–Folklore freigelegt etablierte George A. Romero mit Night of the Living Dead im Jahr 1968 den modernen Zombie, das als unberechenbares Trieb– und Impulswesen gekennzeichnet wird, der Zombiefilm ist somit eine Gesellschaftsallegorie. Mal stehen die massenhaften Wiederkehrer aus dem Reich der Toten für die kapitalistische Konsumgesellschaft, dann wieder gelten die lebenden Toten als Sinnbild einer paranoischen Angst vor den gleichmachenden Tendenzen von Konformismus oder Kommunismus. Auch in Weigonis Erzählungen geht es um die Paradoxien der Massengesellschaft in Geschichten über deren Kollaps, er stellt die provokative Frage:

Kann es eine zombifizierte Gesellschaft des sozialen Ausgleichs geben?

Die Kunst der Erzählung liegt bei diesen grotesken Erzählverschlingungen oft im Detail. Es geht um Begebenheiten, die grosse Reflexionsschleifen auslösen, Bewegungsspielräume ergeben sich durch die Erweiterung der Realität und ihre groteske Überdehnung. Die Grenze zwischen einem Fortschritt, der unsere Welt besser macht, und einer Forschung, die uns in die Apokalypse treibt, hat sich aufgelöst. Wo hört der Mensch auf und wo fängt die Maschine an? Selten wurde die hohle Phrase vom „Scheitern als Chance“ mehr entlarvt als das, was sie ist: hohntriefender Dünkel. Weigoni schreibt mit schwarzem Humor und grotesken Überspitzungen, er setzt sich über moralische Grenzen hinweg, spielt mit Scheinmoral, Selbsterkenntnis und Lebenswillen.

In dunklen Momenten sorgt Humor für Distanz.

Entfiktionalisierung  lautete einstmals die Losung der politischen Dichtung. Die wahre Kunst der Fiktion jedoch besteht darin, Dinge zu erfinden, die real sind. Weigoni hält der Pasteurisierung unserer Lebenswelt die nackte Wahrheit des Daseins entgegen. Das Problem einer Gesellschaft, die sich schleichend in einer Abstumpfungskultur eingerichtet hat, in der in erster Linie nur mehr die Schläge mit dem Holzhammer zählen, liegt im Verlust aller Differenzierungen. Zwischentöne und Nuancen, Feinsinn und bloß Angedeutetes gehen verloren. Am Ende wird nur noch Aufsehen erregendes registriert.

Entweder sind projektive Mechanismen am Werk oder identifikatorische.

 Eine kleine Verschiebung der Perspektiven und schon ist in diesem Buch die Wirklichkeit in eine absurde Szenerie verwandelt. Das Verrückte ist in diesen Erzählungen das Normale und umgekehrt. Weigoni ist mit der für ihn typischen Neugier auf der Suche nach dem Banalen. Er schreibt eine harte, wie gepflasterte Prosa. Von unverminderter Rasiermesserschärfe sind seine Erkundungsgänge, alles im verstörenden Präsens geschildert. Hier findet sich nicht die Spur eines den Leser beruhigenden erhobenen Zeigefingers. Diese Poesie ist nüchtern, beobachtend, fast dokumentarisch. Kurze Sätze, atemloses Präsens; die Kapitel sind nie länger als sieben Seiten, manchmal nur eine Seite. Er spitzt in den Erzählungen Zombies auf seine Weise zu, daß Banalität zunehmend das Maß des Alltäglichen wird; er legt mit seinen Formulierungen die brutalen Implikationen des Normalen frei.

Der Zombie lehrt uns, was es heißt, ein Mensch zu sein.

Diese Prosa geht über die Imitation von Realität hinaus. Wirklichkeit ist bei dieser Art von Prosa eine Kombination von Distanz und Nähe, von Künstlichkeit und Wahrhaftigkeit, vor allem aber von Ekel und Faszination: etwas, das man sehen möchte, obwohl man eigentlich gleichzeitig lieber weglaufen möchte. Weigonis Sprache ist immer an der Grenze zum Erträglichen ist; überschreiten wird er diese Grenze nicht. Poesie und Härte, Abscheu und Einfühlsamkeit faßt er zu einer ungewohnten Einheit zusammen. Das schafft Aufmerksamkeit, ist allerdings keine Effekthascherei. Weigonis literarische Arbeit orientiert sich nicht an Kommerzialität. Das sichert ihm die innere Freiheit zu Kontinuität, die für seine Poesie einen hohen Stellenwert hat.

Kann man eine andere Wirklichkeit erschaffen durch das, was man erzählt?

Literatur kann ein Medium der Selbstbestimmung sein. Und diese bringt der Literatur neue Werte. Was Literatur kann und darf, wird allein an ihren Abbildungsfähigkeiten gegenüber einer sozialen Situation gemessen, die als Welt verstanden und deshalb als überwältigend empfunden wird. Die Suche nach Identität und Ausdruck zieht sich durch Weigonis Werk. Sie exerziert den Schmerz der Sprachlosigkeit, den Verlust körperlicher und seelischer Integrität in Lyrik, Prosa und Drama bis an den Rand des Erträglichen. Der Schock soll die repressiven Muster zertrümmern. Weigoni sucht das Monströse im Normalen und das Normale im Monströsen, seine Verdichtungen schließen sich in ihrem Gehalt an die Wirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert an.

Es sind Novellen über das, was jede Geschichte, und warum also nicht gerade im Kino, in ihren besten Momenten sein kann: das Aufbegehren des Menschen gegen den Tod durch die Macht der Erzählung.

Seine Erzählungen erscheinen wie Kapseln, und in jeder einzelnen davon ist eine ganze Welt enthalten. Es gibt Motive, die wiederkehren: das Verschwinden, die Auflösung, das Vergehen von Zeit, der Schrecken, der sich in den alltäglichsten Dingen verbirgt, die Begegnung mit der eigenen Verlorenheit. Memento mori, allüberall. Die Eindringlichkeit seines Schreibens hängt mit dem tiefen Referenzraum seiner Poethologie zusammen. Die Erzählungen haben einen formal innovativen Ansatz, man erkennt die Figuren unmittelbar an ihrer unverwechselbaren Sprache, die so brennscharf die Realität abbildet und den Lesern neue Wahrnehmungsmöglichkeiten verschafft. In diesem Werk herrscht ein großes Gedränge der Untoten, Weigoni exorziert damit seine Zeitgenossen. Er hat die „hypermodernen Menschen“ ganz kühl literarischen Versuchsanordnungen ausgesetzt, doch tat er dies, weil er Anteil nahm am Schicksal der Menschen. Bei aller Präzision, bei aller Raffinesse und technischen Virtuosität verfügen Weigonis Menschenerkundungen über ein hohes Maß an Empathiefähigkeit. Die Figuren sind nicht bloße Versuchsobjekte; sie sind Menschen, und sie kommen uns auch als solche immer wieder entgegen, treten aus dem Konstruktionsgefüge heraus. Diese Literatur öffnet den Blick für das nie Gesehene, nie Gedachte, so wie Kleist über den Mönch am Meer bemerkte, es sei, wenn man das Bild betrachte, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.

Diese Zombies halten genau die Balance zwischen Polemik und Poesie.

Diese Erzählungen sind ein Gegenentwurf zu den Prolo–Komödien, die als ungeschönte Milieubilder daherkommen, letztlich aber nur Freakshows sind, die statt Menschen Witzfiguren zeigen. Die Zombies dagegen wissen durch alle Skurrilitäten und Absurditäten die Würde ihrer Protagonisten zu verteidigen. Das Lachen über sie ist immer empathisch, nie abfällig. Weigonis Erzählungen haben nicht nur – wie guter Wein – einen Körper, sie haben ein satirisches Bewußtsein, das sie mit jeder Silbe ausdünsten, das alle Sätze atmosphärisch umhüllt. Es entstand das wuchtige Porträt einer bis in ihre feinsten zwischenmenschlichen Verästelungen barbarisierten Gesellschaft. Und doch weist diese Prosa auch darüber weit hinaus. Da ist eine schmerzlich spürbare Differenz zur dargestellten Welt, die im ganzen Text vibriert und den Gefühlsraum des Lesers in Schwingung versetzt.

Weigoni zertrümmert in seinem Konzeptalbum sowohl literarische als auch gesellschaftliche Normen

Der Leser denkt in diesen Erzählungen mit, und so kann diese Literatur niemals abgeschlossen sein. Es sind Geschichten mit Matrjoschka-Charakter, in virtuos ineinander verschachtelten, zwischen historischen Ereignissen springenden Erzählpäckchen führt dieser Romancier sämtliche Schicksale und Handlungsstränge die er in den Zombies ausgelegt hat in Cyberspasz zusammen. Seine eigentümliche Denkweise, konträr zu den gewohnten Assoziationsbahnen, scheint mit ihrem schwarzen Humor passender zur Weltlage als der freudige Triumphalismus der neoliberalen Weltverbesserer, der seit den 1990er Jahren den Vordergrund der Szene beherrscht.

Dieser Romancier erzählt mit nüchterner Distanz vom Abgleiten der „Hypermodernen“ Menschen.

In den Zombies und Cyberspasz ist alles so vollgeladen mit Bedeutungen, Nebenbedeutungen und Gegenbedeutungen, dass man sich am Ende der Lektüre wie nach einem guten Besäufnis fühlt: erschöpft, aber glücklich, von tiefer Trauer und zugleich absurder Kraft erfüllt. Weigonis grosse Kunst liegt darin, sich selbst ganz zurückzunehmen und das Feld völlig seinen Figuren zu überlassen, ohne dass die Geschichten dadurch kühl oder verlassen wirkten. James Joyce hat das in seinen Erzählungen Dubliners vorgemacht und dieser Romancier hat dies in die Prosa des 21. Jahrhunderts transferiert. Wer Pierre Bourdieus Bonmot, das Kapital kenne keine Erinnerung ausser der Akkumulation, illustriert sehen möchte, der wird hier bestens bedient. Dieses Konzeptalbum ist hochaktuell und bündelt düstere Fantasien, es ist die Nachreife eines alten Stoffs im Brennglas der Gegenwart.

 

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Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Cyberspasz, a real virtuality, Novellen, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Coverphoto: Jesko Hagen

Weiterführend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten auch weiterhin lebendig.

Weiterführend → KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Betty Davis sieht in Cyberspasz eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt in der real virtuality eine hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.