Eine Erinnerung an die eigentlich unverzichtbare fixpoetry

 

Wirtschaftlich gesehen ist Lyrik selbstverständlich blanker Unsinn, aber Betriebswirtschaft ist im Leben eben nicht alles. Lyrik wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der Form der Samisdat. Um die staatliche Zensur zu umgehen, entstand in der Sowjetunion eine Samisdat-Literatur, die in kleinen Auflagen vervielfältigt und danach im Untergrund verbreitet wurde. Der Diktatur des Proletariats folgte die Diktatur des Kapitals. Lyrik findet schwer in die Öffentlichkeit. Befangenheit zeichnet jedes Gespräch mit dem Lektor eines Verlags aus, selbst dann wenn die Inhalte positiv bewertet werden.

Als ich Fixpoetry 2007 gründete, geschah das aus rein persönlichen Gründen. Ich hatte begonnen zu schreiben, einen Roman veröffentlicht und erste zaghafte Schritte in Gedichten geübt. Mir schien rein intuitiv das Netz die beste Möglichkeit, Lyrik einem breiterem Lesepublikum bekannt zu machen.

Julietta Fix

Das hatte Julietta Fix erst recht motiviert fixpoetry.com ins Netz zu stellen. Einmalig dürfte das Projekt Autorenbuch sein, sinnfällig lassen sich mit der Mouse die Seiten umklappen. Längere Texte lassen sich einfach scrollen und anhalten. Sogar eine Audioabteilung ist im Aufbau. Das Betriebssystem für die elektronischen Medien ist das Lesen. Das Betriebssystem für das Lesen ist die Sprachkompetenz. Das Betriebssystem für das Hören ist Aufmerksamkeit; eine knappe Ressource. Eine Ermöglicherin wird so zu einer zeitgemäßen Art von Verlegerin. Zudem beeindruckte die Öffentlichkeitsarbeit von fixpoetry beeindruckte die KUNO-Redaktion immer wieder. Julietta Fix reagiert sehr zügig auf Fragen, die man ihm ihr Mail zuschickt, sie freut sich über eine treue Leserschaft und über ein Netzwerk von jungen und jung gebliebenen Dichtern, die alle eines gemeinsam haben: ihre Liebe zur Poesie.

Über die Jahre habe ich mich intensiv mit Literatur, dem literarischen Leben, der Literaturszene und der Vermarktung von Büchern beschäftigt. Heute geht es längst nicht mehr um mich und nicht mehr ’nur‘ um Lyrik. Ich habe gelernt, Autorinnen und Autoren erzählen zu lassen, Kontexte herzustellen und versuche mit Fixpoetry die Komplexität der Literaturszene auf einen Punkt zu bringen.

Julietta Fix

Sie redeten auf fixpoetry über Literatur. Sie besprachen Bücher, interpretierten Texte, illustrierten Gedichte, verkauften die poetischen Dialoge auch als hochwertigen Druck, schreiben Briefe an längst Verstorbene, danchten an Vergessene Autoren, rätselten mit LyrikerInnnen über moderne Poesie, sandten täglich Kurzmitteilungen aus Sprache, Kunst und Poesie, kündigten Veranstaltungen an, verlosten tolle Bücher, schenken jeden Tag einen Text, stellten Autoren und Illustratoren vor, planten eine Präsenz für aktuelle Texte, archivierten alles was sie taten, hatten ein neues Design, arbeiten mit  innovativen Techniken, Responsive Design nannte man das.

Julietta Fix schreibt Gedichte über die Gegenwart, über die Liebe und fixe Ideen, über die Welt mit und ohne Sonnebrille und über die Wendungen der Wirklichkeit. In jedem Falle Episoden mit Blick fürs Detail.

Im Lyrikband shop ‚til you drop zeigt sich die Herausgeberin als Alltagslyrikerin im besten Sinne. Ihre Gegenwartslyrik fokussiert das Detail, sucht das Ungewöhnliche in den kleinen Dingen, so in kleider machen häute. Immer skurriler wird das Leben betrachtet, doch Julietta Fix schafft es, den Alltag ganz authentisch darzustellen. Zeiten und Orte wechseln von Gedicht zu Gedicht, Konstellationen und gesellschaftliche Zusammenhänge scheinen auf wie Panoramen, in denen sich Regungen, Gefühle, Seelenverwandtschaften spiegeln. Es sind kurze Einblicke, die uns die Autorin offeriert, Zeitfenster, hinter denen auch Skizzenhaftes zu erkennen ist. Julietta Fix ist belesen, manchmal hintergründig, auch listig; so entsteht ein Tableau, in dem sich Leben und Poesie verbinden. Die Gedichte zeigen Ähnlichkeiten mit der Neuen Innerlichkeit der 1970er Jahre, deren herausragende Schreiber Nicolas Born und Jürgen Theobaldy waren.

Es ist eine Riesenkrux, dass die Kultur-/Literaturförderung – und ich meine hier besonders den Bund – immer wieder auf das scheinbar ganz Neue setzt, auf frische Ideen oder solche, die nur so aussehen. Auf der Strecke bleiben strukturelle Förderungen. fixpoetry ist ein wichtiges strukturelles Element der Lyrikszene gewesen. Herausragend wichtig war und ist eine Ergänzung des Feuilletons in Sachen Lyrik. Ein trauriger Novembertag, ein großer Verlust!

Monika Littau

Die fragilste der literarischen Formen gilt gemeinhin als deren teuerste, und dies im zwiefachen Sinn: Die Randständigkeit der Lyrik abseits des ökonomischen Gewinns steht in direkter Proportion zu der hohen symbolischen Wertschätzung, mit welcher man sie bedenkt. Lyrik scheint ein Gut zu sein, das zugleich sein eigener Marktpromoter ist. Wenn es gut geht, schafft sich Lyrik eine Gesellschaft, die bereit ist, sie am Leben zu erhalten. fixpoetry hatte alle Chancen zum Fixstern der Internetlyrikszene zu werden, bis die Herausgeberin den Stecker zog. Der Glanz dieser Plattform ist längst nicht verblasst!

 

 

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Weiterführend → Der erste Teil der für Kulturnotizen in Bild und Wort leicht erweiterten Essay-Trilogie Poesie und Preise · Und eine Reise zum fixpoetry-Verlag nach Hamburg ist HIER nachzulesen, der zweite Teil DA und der dritte Teil DORT.

Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur

Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.