Der Traum ist aus

Gibt es ein Land auf der Erde, wo dieser Traum Wirklichkeit ist? Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur eins, und da bin ich mir sicher: Dieses Land ist es nicht!

sang Rio Reiser bei einem Konzert in der Werner-Seelenbinder-Halle im Oktober 1988. Und das DDR-Publikum sang aus vollem Hals mit. Als Kuno die Scherben das erste live erlebte war dies standesgemäß, in einem „besetzen Jugendhaus“. Es begab sich zu der Zeit, als ihre LP Macht kaputt was euch kaputt macht erschien. Mit den ausdrucksvollen emotional-politisch motivierten Liedern verkörperte diese Band wie keine Andere das Lebensgefühl der 1970er Jahre. Nicht Udo Linderberg war es der die deutsche Sprache rockkompatibel machte, sondern Rio Reiser. Diese Type verkörperte das, was Authentizitätsdarstellern wie Campino heutzutage völlig abgeht: Haltung.

Wenn es bei Rockmusik um etwas geht, dann um Ekstase.

Rio Reiser

In einem sehr persönlichen Buch beschreibt Gert Möbius das Leben seines Bruders, des großen Musikers und Exzentrikers Rio Reiser. Sichtbar werden eine überraschende Persönlichkeit mit all ihren Brüchen und Verzweiflungen und zugleich ein Panorama deutscher Musik- und Politikgeschichte. Nie zuvor konnte man Rio Reiser so nah erleben, denn dieses Buch enthält neben zahlreichen persönlichen Dokumenten, aus denen Gert Möbius erstmals zitiert, das vollständige Tagebuch Rio Reisers aus den Jahren 1972 bis 1974 sowie zahlreiche bislang unveröffentlichte Fotos. Wohltuend, daß in diesem Buch mit keinem Wort die buntgekleidete Grünen-Tante erwähnt wird, die in ihrer Vita stolz als Managerin der Scherben ausgibt. Solche Lebenserinnerungen lassen sich nicht rezensieren, wem hier die Kritik fehlt, sollte heute Keine Macht für Niemand aufzulegen.

 

 

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Halt dich an deiner Liebe fest. Rio Reiser von Gert Möbius. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 304 Seiten, 22,95 Euro

PS Noch ein Hiweis auf eines der coolsten Musikbücher der letzten Jahre. Viv Albertine spielte Stromgitarre bei den Slits. Diese Punks waren anfangs bekannt für ihren äußerst rauen und technisch unbedarften Sound, mit dem es ihnen gelang, Wut und Energie kreativ umzusetzen. Die Band wurde im London des frühen Punk schnell relativ bekannt, trotzdem gelang es ihnen erst spät, einen Plattenvertrag zu erhalten. Daher gibt es aus der „Punk-Frühzeit“ der Band kaum Aufnahmen, nur zwei 1977 ausgestrahlte und 1988 veröffentlichte Peel Sessions sowie eine unbetitelte, halboffizielle, 1980 aus Live- und Demoaufnahmen entstandene Kompilations-LP, die entweder als Untitled, Official Bootleg oder Bootleg Retrospective bezeichnet wird (1997 und 2005 erschien Live-Material unter anderem aus der Frühzeit der Band). 1979, fast drei Jahre nach ihrer Gründung, veröffentlichten The Slits ihr erstes Album, Cut. Produziert von Dennis Bovell, war es geprägt von der neueren Ausrichtung der Slits hin zu Reggae und Dub. Großes Aufsehen erregte auch das Cover der Platte – es zeigte die drei Frauen fast nackt, nur mit einem Lendenschurz bedeckt und offensichtlich nach einem Schlammbad. Ihrem stark von afrikanischer Musik geprägten zweiten offiziellen Album Return Of The Giant Slits, das 2007 eine Wiederveröffentlichung als Doppel-CD mit Bonusmaterial erfuhr, wurde vielfach vorgeworfen, dass es ihm an der Energie und Frische mangele, die The Slits bisher ausgezeichnet hatte.

A Typical Girl von Viv Albertine. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Suhrkamp, Berlin 2016

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