Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett…

 

Weigoni: … lautet ein Refrain aus der heilen Welt des Schlagers aus den seligen Zeiten der „Who dun it’s“. Aber nicht nur auf dem Nachttisch, sondern auch im Hörfunk erfreut sich diese Form von Spannungsliteratur nach wie vor hoher Beliebtheit. Nirgendwo sonst kann man den Literaturinteressierten zum Mittäter machen, mit der Ergänzungsleistung spielen. Angelika, in »Die falsche Geliebte« habe ich eine Lieblingsfigur, die stumme Marie, ein wunderschöner Kniff! Wie bist du darauf gekommen?
ANGELIKA Voigt: Zunächst war es nur ein Einfall; ich habe den Gedanken schnell wieder verworfen, eine Stumme in einem Hörspiel einzubauen. Es schien mir absurd, sich in einem Sprechstück auf jemanden zu konzentrieren, der nie etwas sagt. Dennoch liess mich die Idee nicht los, der scheinbare Widerspruch war zu reizvoll und ich habe um Marie herum eine Geschichte aufgebaut. In der Tat wird sie nur durch die drei anderen Darsteller präsent: Woher kommt sie? Wer ist sie? Was tut sie? Vergleichbar mit einem Täterprofil. Obwohl wir auf diese Weise sehr viel über Marie erfahren, bleibt sie dennoch das grössere Geheimnis.
Weigoni: Auch für Beatrice, Gregors Ehegattin, die ihrerseits eine Affäre mit Kosta hat… im Showdown sitzen die Paare bei einem Essen zusammen, lösen sich die Zunge mit Wein und es zeigt sich, das Worte zu Patronen werden können oder sind es nur Sprachhülsen?
VOIGT: Die Katze ist aus dem Sack: der Ehemann weiss Bescheid, dass seine Frau ein Verhältnis hat. Somit ist schon klar, dass es bei diesem Abendessen um weitaus mehr gehen wird als um krosse Entenbrüstchen. Wahrheiten werden aufgetischt, zum Beispiel, dass der Unfall, bei dem Gregor zum Krüppel wurde, gar keiner war, sondern ein fehlgeschlagener Anschlag von Beatrice. Es liegt auf der Hand, dass Gregor sich rächen will und er tut dies zielgerichtet. Er bringt eine Geliebte ins Spiel, die gar nicht existiert. Beatrice kocht vor Eifersucht und tötet ihren unschuldigen Liebhaber. Die Sprachhülsen haben ihre Wirkung nicht verfehlt, Worte sind zu Patronen geworden.
WEIGONI: Die bösten Krimis in der 90-ern werden von Frauen geschrieben werden, Minette Walters und Donna Leon einmal stellvertretend genannt. Können Schriftstellerinnen Gewalt ungehemmter ausleben?
VOIGT: Sicherlich sind Krimis von Walters und Leon weitaus ungehemmter im Umgang mit Perversionen als die prüde Detektiv-Arbeit der Agatha Christie. Was ich aber besonders auffällig finde ist, dass Krimis zunehmend psychologisieren. Figuren – ob gut oder schlecht – werden bis ins kleinste analysiert, beobachtet, entlarvt, man kommt ihnen sozusagen serienmässig ganz nah. Manchmal frage ich mich: Sind Krimis nur eine brutalere Art von Kitsch?
WEIGONI: Dass Krimis seit Chandler eine moralische Komponente haben und den grossen Aufklärer spielen müssen, ist eine Form von intellektuellem Kitsch. Wobei ja gegen Kitsch an sich nichts zu sagen ist, verbirgt sich darin meist doch ein Funken Wahrheit. Leider ist das umgekehrt nur selten der Fall. Vielleicht sind deutsche Intellektuelle deshalb auch so dröge? Wie sagt die Dramaturgin Angela di Ciriaco-Sussdorff so schön: „Kitsch macht rührend viel Spass!“
VOIGT: Stimmt!
Weigoni: Bei deinem Stück »Ein Wahnsinnsspiel« will niemand dem Fotografen Rolf Gräbe glauben, dass er nicht der Mörder von Birgit Lehnert ist. Selbst ihre Schwester Ines, die Gräbe in einer Verzweiflungstat von seiner Unschuld zu überzeugen sucht, hält ihn für den berüchtigten Frauenkiller. Aber da gibt es einen Gegenspieler, einen, der Nabucco hört. Also ein wahnsinnig Intelligenter?
VOIGT: Intelligent ist seine Vorgehensweise, wie er rational, kalkulierend, gerissen, Stück für Stück seinem Wahnsinns-Ziel näherkommt, über Tod und Leben anderer Personen zu entscheiden. Manipulation wird zu einer Obsession. Am Schluss bleibt uneindeutig, ob diese Art von machthungrigem Wahnsinn tatsächlich getötet werden konnte – oder überlebt hat.
Weigoni: Das scheint mir ein gutes Beispiel für Heilsame Verunsicherung zu sein. Wenn du dir Gedanken über den Verlauf einer Geschichte machst, bevorzugst du eher ein offenes Ende?
VOIGT: Nur wenn ich einer Moral, einer Bewertung, aus dem Weg gehen will. In »Wahnsinnsspiel« geht es darum, inwieweit das Verlangen nach Recht und Ordnung zu einem Wahn werden kann, der nicht mehr steuerbar, nicht positiv besetzt werden kann. Oder es mit Brecht auszudrücken: Der Schoss ist fruchtbar noch…
WEIGONI: In »Claras Köpfe« wird Doris nach einem Discobesuch ermordet aufgefunden. Alles spricht dafür, dass ihre Freundin Clara hinter dem Mord steckt. Sie ist in therapeutischer Behandlung. Kampmann, ihr Psychologe, diagnostiziert bei Clara eine ausgeprägte Persönlichkeitsspaltung: Als Karin ist sie aggressiv und ordinär, als Lisa sanft und nachdenklich. Warum ist der Psychologe von ihrer Unschuld überzeugt?
VOIGT: Clara, die über unterschiedliche, voneinander unabhängige Persönlichkeiten verfügt, holt sich diese immer zu Hilfe, wenn sie in Situationen gerät, die sie überfordern. Ihr Psychologe arbeitet daran, an den Auslöser für dieses multiple Syndrom heranzukommen, dabei lernt er ihre Innenpersonen immer besser kennen. Zu dem Zeitpunkt, als ein weiterer Mord geschieht, ist Clara die „sanfte Lisa“, die zu keiner aggressiven Handlung fähig wäre. Kampmann hält es von daher für ausgeschlossen, dass Clara den Mord begangen haben könnte.
WEIGONI: Wie klappte der Transfer vom Hör- in’s Fernsehspiel?
VOIGT: Ich hoffe gut. Fürs Fernsehen zu schreiben ist natürlich eine Herausforderung, allein die grössere Reichweite des Mediums ist reizvoll, wenn auch konfliktbeladen. Ich denke an das Stichwort „Anpassung“. Das ist doch ein Kitzel, sich auf dem Grat zwischen Anspruch und sogenanntem Massengeschmack zu bewegen. Zudem muss man sich weitaus mehr als im Hörspielbereich den Anforderungen eines Produktionsbetriebes anpassen. Die finanzielle Seite spielt sicher auch eine Rolle, Fernsehen ist zweifellos lukrativer, was den oben genannten Konflikt prickelnd verschärft.
WEIGONI: Auffallend häufig bevölkern Psychopathen deine Krimis, doch sind nicht die Normalen die eigentlich Unheimlichen?
VOIGT: Unheimlicher sind mir nach wie vor die Nicht-Normalen, weil mir die Motive für ihr Handeln nicht so vertraut sind, während bei den Normalen, ganz profan gesagt, die Sicherung durchbrennt, wenn es um’s Geld geht, um Besitz und Eigentum, also um ganz handfeste irdische Güter. Das eine hat mehr mit einem schwer steuerbaren seelischen Ungleichgewicht zu tun, das andere mit gesellschafts-politischen Defiziten; die Auslöser für eine Explosion sind (vielleicht) woanders zu suchen, das Grauen kann sich entsprechen.
WEIGONI: In »Daphne« feiert die Modedesignerin Ellen Hollenbeck mit ihrer neuesten Kollektion eine grossen Erfolg, als ihr Teilhaber Viktor ihr Daphne vorstellt, eine junge Frau, die ein Praktikum in der Agentur machen möchte. Ellens Ehemann Lutz, ein erfolgreicher Geschäftsmann, reist derweil um die Welt. Das Verhältnis zu seiner Frau scheint ebenso liebevoll wie distanziert. Ellen wird nicht nur durch anonyme Briefe bedroht. Ist der Verdacht zutreffend, dass Daphnes Interesse an ihr und ihrer Firma auch andere Gründe hat als nur berufliche?
VOIGT: Die Modedesignerin Ellen Hollenbeck hatte ihre Mitarbeiterin umgebracht, als diese an dem Gewinn des prosperierenden Unternehmens beteiligt werden wollte. Der Mord war als Unfall getarnt gewesen und somit nie verfolgt worden. Als Ellen Hollenbeck nach Jahren anonyme Briefe erhält, denkt sie, dass diese im Zusammenhang mit ihrer Tat stehen. Sie wird ihrer Umwelt gegenüber immer misstrauischer. Als die begabte Jungdesignerin Daphne in ihrer Firma auftaucht, lässt sie das Gefühl nicht los, dass diese damit etwas zu tun haben könnte und engagiert einen Detektiv. Es zeigt sich, dass Daphne die Tochter der Ermordeten ist und sich, unterstützt von ihrem Mann Robert, an Ellen Hollenbeck rächen will. Aber ihr Plan geht nicht auf, sie tötet zwar die Mörderin ihrer Mutter, aber fatalerweise haben sie Ellen Hollenbecks Teilhaber Viktor eingeweiht, der sie erpresst.
WEIGONI: Nä wat fies, wie man im Rheinland so sagen tät. Hast du die Igedo besucht, um diese Szene zu studieren?
VOIGT: Nein, das nicht, aber ich habe mich mit einer Designerin unterhalten. Die Modewelt ist mir zudem aus meinem Leben nicht ganz unbekannt. Während des Studiums habe ich in der Modebranche gearbeitet, u.a. auf der Igedo.
WEIGONI: Das Psychologische scheint bei Krimis immer wichtiger zu werden, liegt das daran, dass man für einen Mord einen richtigen Grund braucht?
VOIGT: Deine Frage amüsiert mich: Ein richtiger Grund – was ist das?
WEIGONI: In einem Krimi wäre es eine schlüssige Erklärung.
VOIGT: Interessant wird ein Krimi doch erst, wenn er glaubwürdig erzählt wird, das Motiv nachvollziehbar ist und sich nicht in wüsten Spekulationen verliert.
WEIGONI: In »Die Morde der Anderen« liegt eine junge Studentin ermordet im Auto eines Geschäftsmannes. Der Wagen wurde schon vor dem Fund als gestohlen gemeldet. Wenige Tage später entdeckt die Kripo in der Nähe des Sees, wo das Auto abgestellt war, eine zweite Leiche. Wieder eine junge Frau. Hellen Mirow, die den Fall aufzuklären hat, wird den Verdacht nicht los, dass der Wagenbesitzer und seine beiden Freunde in die Sache verwickelt sind. Ihr Kollege Lutz Krüger aber denkt an einen Serienmord. Man überprüft bekannte Täter im Umfeld. Sind Billi, der erst vor kurzem aus dem Jugendknast entlassen wurde und jetzt psychotherapeutisch behandelt wird, die Verbrechen anzulasten?
VOIGT: Sowohl die Männer als auch Billi sind bei mir nicht schuldfrei weggekommen. Obwohl mir das mörderische Handeln der Geschäftsmänner weitaus unsymphatischer ist als das von Billi, aber das Resultat bleibt das gleiche: Man bringt jemanden um, damit es einem besser geht.
Weigoni: Kannst du dir vorstellen, warum der durchgeknallte Serienkiller ein typisches Motiv für die Literatur der 90-er ist?
VOIGT: Vielleicht ist er einfach populärer, weil sich damit mehr Geld verdienen lässt? Es ist sicherlich erfolgversprechender, jemand mit einer krankhaften Störung zum Täter zu haben, als einen, der arbeitslos geworden ist und aus Verzweiflung Amok läuft. Den einen kann man beseitigen, indem man ihn wegsperrt, oder auslöscht. Der Rezipient erschauert zwar vor solchen Auswüchsen, aber er kann diese als zwar gesellschaftlich beeinflusst, aber letztlich doch individuelle Probleme begreifen. In dem anderen Fall würde gesellschaftliche Wirklichkeit, Alltag, direkt an ihn herangetragen, würde zum grundsätzlicheren Nachdenken zwingen, was vielleicht in Krimis nicht wünschenswert ist, vielleicht werden solche Krimis dann als zu didaktisch, zu belehrend empfunden.

 

 

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Um den Bücherberg nicht zu vergrössern war dieses Buch als Printing on demand erhältlich. Die digitalisierten Daten konnten  abgerufen und in kleineren Stückzahlen gedruckt werden.
Dieser Band war als bibliophile Vorzugsausgabe erhältlich über den Ventil-Verlag, Mainz.

Aus Recherchegründen hat der vordenker die Kollegengespräche  ins Netz gestellt. Sie können hier abgerufen werden. Die Kulturnotizen (KUNO) haben diese Reihe in loser Folge ab 2011 fortgesetzt.

Einen Essay zu dieser Reihe finden Sie hier.

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