ich sitze in einer arztpraxis im wartezimmer, an dessen wand ein computer hängt, der op-spiel heißt. die aufgabe des spielers besteht darin, mit gezielten schlägen, schnitten, amputationen oder blutstürzen, wobei letztere, perfekt ausgeführt, ganze organe herausspülen können, den patienten zu operieren. wer die figur, samt ihrer eingeweide, vollständig und regelgerecht zerstückelt, hat gewonnen und bekommt das maximale preisgeld, was er am aufleuchten der schrifttafel »Tod!! Sieg!! Operation gelungen! Patient atomisiert! Wir gratulieren Ihnen! Legen Sie ihr Kapital gewinnbringend in der Pharma-Branche an!« erkennt. ansonsten entscheidet die anzahl der punkte. blinddarm bekommt einen, galle zwei, jede niere drei, jeder lungenflügel vier, magen fünf, leber sechs und herz-as zehn. die organe müssen per knopfdruck mit verschiedenen operationsinstrumenten, surrenden, singenden, klingenden messern, scheren, sägen und zangen, abgetrennt, zerteilt, herausgeschnitten und aufgelöst werden. wird eines der organe regelwidrig nur durchlöchert, das heißt unfair behandelt, erscheint die tafel »Sorry! Geht gleich weiter!« jedes spiel hat ein bestimmtes zeitlimit. in der letzten phase leuchtet erst die tafel »Achtung! Narkose läßt nach.« und dann »Narkose beendet! Der Krampf beginnt!« fortan krümmt und windet sich der patient, bis er zuletzt ununterbrochen zuckt, was die weitere operation, also den erwerb von punkten, natürlich erschwert. zunächst bereitet das op-spiel anscheinend allein kindern vergnügen, die lautstark damit hantieren, während ich auf meine behandlung warte. doch ihnen gehört ja die zukunft.
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traumnotat aus reise im flug, von Holger Benkel, Verlag blaue Äpfel, Magdeburg 1995
Weiterführend →
In einem Kollegengespräch ergründeln Holger Benkel und A.J. Weigoni das Wesen der Poesie – und ihr allmähliches Verschwinden. Das erste Kollegengespräch zwischen Holger Benkel und Weigoni finden Sie hier.
kindheit und kadaver, Gedichte von Holger Benkel, mit Radierungen von Jens Eigner. Verlag Blaue Äpfel, Magdeburg 1995. Eine Rezension des ersten Gedichtbandes von Holger Benkel finden Sie hier.
meißelbrut, Gedichte von Holger Benkel, mit siebzehn Holzschnitten von Sabine Kunz und einem Nachwort von Volker Drube, Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 2009. Eine Rezension finden Sie hier.
Gedanken, die um Ecken biegen, Aphorismen von Holger Benkel, Edition Das Labor, Mülheim 2013
Essays von Holger Benkel, Edition Das Labor 2014 – Einen Hinweis auf die in der Edition Das Labor erschienen Essays finden Sie hier. Auf KUNO porträtierte Holger Benkel die Brüder Grimm, Ulrich Bergmann, A.J. Weigoni, Uwe Albert, André Schinkel, Birgitt Lieberwirth und Sabine Kunz.