Bücher sind meine Rettung aus der Langeweile der Welt.
Alhierd Bacharevic
Die Tradition der Künstlerbücher aus der Werkstattgalerie Der Bogen setzt sich mit den bibliophilen Kostbarkeiten einer Katalogreihe fort. Die quadratische Form der Kataloge hat sich als praktische Größe für die Abbildungen erwiesen. Dem Alphabetikon Katalog von Haimo Hieronymus folgte die mit dem lime_lab ausgezeichnete Wortspielhalle von Sophie Reyer und A.J. Weigoni, das von Karl Hosse angeregte Gezeitengespräch und die von Stephanie Neuhaus initiierte Super Speed Art Exhibiton Tour. Am 27. Oktober erfolgte das Buch/Katalog-Projekt 630 zur Ausstellung von Peter Meilchen.
Die einzigen Werke heute, die zählen, sind die, welche keine Werke mehr sind.
Theodor W. Adorno
Alphabetikon ist ein Neologismus aus dem Ikon, dem Bild, und dem Alphabet, unserem ABC.
Bild und Text gehen bei Alphabetikon eine Verbindung ein, die nicht zu trennen ist. Dadurch erhalten beide Seiten neue Eigenschaften, die uns eben auch neue Gedanken ermöglichen. Haimo Hieronymus hat sich die Frage gestellt, in welcher Weise Wörter unsere Wahrnehmung beeinflussen. Hieronymus hat sich Wörter vorgenommen und gewartet, was sie in ihm erzeugen. Manchmal hat er eine Skizze gemacht, aber die Bilder kamen von allein. Nicht mehr die Suche stand im Mittelpunkt, sondern das Finden. Jedes Wort hat mehrere Bedeutungen und ist semantisch oft fragwürdig. Wenn Hieronymus einen Begriff wie Venus schreibt, dann entstehen vor dem inneren Auge direkt ganze Beziehungsstrukturen. Von Schönheit, von Renaissance, von Antike, von Frauen, von Erotik. Auch das Somnambule wird für ihn schnell auftauchen. So hat er alle 26 Buchstaben unsystematisch durchexerziert.
Diese Buchkunst erzeugt eine ihr eigene Wirklichkeit und betont den Bildcharakter des Buchstabens, der das so gefühlte Erkennen über das Begrenzte und enge Bezirke des nützlichen Lebens hinaus transportiert.
Im Katalog Partiale trifft der Formerfinder Hieronymus auf den Allegorienschöpfer Weigoni. In diesem Projekt entsteht eine leise Schwingung, eine Vibration in der Oberfläche von Bild und Text. Nicht Kreise oder Linienkonstrukte für sich, sie sind eingebunden in eine Gesamtabsicht der Komposition. Aufgelöste Flächen in beständigem Schwingen, im Gespräch mit den Lineaturen. Das transitorische Element, das die Arbeit des bildenden Künstlers Haimo Hieronymus und des Schriftstellers A.J. Weigoni an dem Projekt Partiale durchzieht, macht sich spätestens bemerkbar bei der Präsentation. Es geht diesen Artisten um Möglichkeiten der Entformung, einem raffinierten Spiel mit den Wechselwirkungen von Verschriftlichung, Verbalem und Visuellem. Bildwirksam steht die Gedichte an der Scheidegrenze zwischen Bild- und Bedeutungsträgern. Der Betrachter wird zum Spurensucher. Und dort, wo das Lesbare fehlt, darf sich der Fährtenleser den von der Farbe ausgelösten Empfindungen überlassen. Etwas Improvisiertes lebt in der Syntax dieser geschriebenen Bilder und der gemalten Worte, wir sehen das auf den ersten Blick nicht, weil es sichtbar ist, und es ist sichtbar, weil wir es lesen können.
Ich: ist eine Fiktion, bei der wir bestenfalls Miturheber sind.
Imre Kertész
Hinter dem Klischee beginnt die Wirklichkeit und die Kunst von Haimo Hieronymus besteht darin zu wissen, wann man darauf verzichten muss, das Leben lesen zu wollen. Er präsentiert Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Zu diesem „Telegrammstil“ gehören der Hang zur Sentenz und zum Aperçu, Neologismen und ein parataktischer Satzbau. Er befreit die Sätze vom begrifflich Adjektivistivischen, indem er durch die Erscheinungsformen, die Dinge, Körper und Räume hindurch, aufs Allgemeine verweist. Herr Nipp setzt die Ding– und Sprachmomente neu zusammen und verwandelt sie. Wir finden in diesem Buch sprachlichen Floskeln, die sich noch nicht etabliert haben, Versprecher, die unverzeihlich sind, und Ausrutscher, die unweigerlich zu sprachlichen Kollateralschäden führen. Neben den kleinen Textschätzen finden sich in schlüssiger Abfolge einige Zeichnungen und Aquarelle abgebildet.
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Zyklop I, Photobuch von Haimo Hieronymus, Edition Das Labor. Erscheint im September 2018 in einer limitierten Auflage von 100 Exemplaren. Freunde und Förderer sind in diesem Katalog mit einer Würdigung dokumentiert.
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.