Kleine Aster

 

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.

Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster

zwischen die Zähne geklemmt.

Als ich von der Brust aus

unter der Haut

mit einem langen Messer

Zunge und Gaumen herausschnitt,

muss ich sie angestoßen haben, denn sie glitt

in das nebenliegende Gehirn.

Ich packte sie ihm in die Bauchhöhle

zwischen die Holzwolle,

als man zunähte.

Trinke dich satt in deiner Vase!

Ruhe sanft,

kleine Aster!

 

 

 

Vor 100 Jahren erschien der Gedichtzyklus Morgue von Gottfried Benn.

„Keiner auch der großen Lyriker unserer Zeit“, so Gottfried Benn, habe mehr als sechs bis acht vollendete Gedichte hinterlassen, „die übrigen mögen interessant sein unter dem Gesichtspunkt des Biographischen und Entwicklungsmäßigen des Autors, aber in sich ruhend, aus sich leuchtend, voll langer Faszination“ sei eben nur eine Handvoll. In seinem Fall ist es der Gedichtzyklus Morgue. Er hat um seine Beschränktheit gewußt, wie sonst hätte er sich nach der Machtergreifung den NAZIS angedient.

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.