Sprache, die dem modernen Lebensgefühl entspricht, weil sie nicht Bedeutungen postuliert, sondern erschafft, im Nebeneinander unterschiedlicher Sprachebenen die Vielfalt gegen eine vordergründige Ein-deutigkeit aushält. Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Kräfte, die Sprache werden lassen, gestaltet A. J. Weigoni zum facettenreichen Bild, können so von Rezipienten in ihrem Wirken zusammen wahrgenommen werden. Naturbetrachtungen stossen auf Reflexionen über Sprache, in philosophierende Betrachtungen bricht der Alltag ein. Die Sprachebenen schieben sich ineinander wie die Eisschollen in Casper David Friedrichs Bild „Das Eismeer“, haben Berührungspunkte und gehen dort Verbindungen ein, verschmelzen jedoch nicht. Die einzelnen Bedeutungsfabriken bleiben erkennbar und kommen so – im Sprechen der Protagonistin Señora Nada – ins Spiel. Weigoni lässt die Sprache tanzen und spricht das Bewusstsein darüber aus: die Sprache ist selbstbewusst:
„Der gedankliche Subs-Tanz
mit den vielfältigen Möglichkeiten
entspringt meist einer Selbstbescheidenheit.“
Was bei Botho Strauss sich im Gegenwartsnarr ausdrückt, das Ausgeliefertsein unseres bürgerlichen ICH-Bewusstseins an die Medien, den Prägestellen unserer Bedeutungsmuster, wird hier, ohne Denunzierung des ich, zum Auslöser: die vorhandenen mentalen Vorgänge kommen ins Sprechen, sprechen sich selbst aus. Die Sprache spricht.
Die eindeutige, ein-sinnige Zuordnung wird „aufgehoben“ (im doppelten Sinn nach Heidegger), da das Sprechen an einem Ort stattfindet. Und dieser Ort ist ein ich (Señora) und ein alles und überall (Nada heisst Nichts) zugleich: Señora Nada wird zum poetischen Zeichen.
Das westliche Ich, das sich über „Ausschluss“, „Abgrenzung“, „Trennung“, „Wert“ konstituiert, wird ergänzt von dem östlichen nichts, in dem alles anfängt und endet, in dem alles gleichzeitig vorhanden und aufgehoben ist. Das Frau-sein wird zur Metapher, die traditionell auf Geburt und Tod hinweist, und ein aufnehmendes Medium bedeutet. Der poetische Ort Señora Nada erscheint als Haus mit vielen Räumen (vgl. Gaston Bachelard: Poetik des Raumes). Hier: Sprachräume – Bedeutungsschichten. Der letzte „Raum“ erscheint als Traum, der, aus dem Unterbewusstsein (Keller) kommend, das Haus mit einen „Dach“ abschliesst.
Der Traum umfasst thematisch das ganze Haus, vom Dunkel zum Licht: vor ersten Satz:
„Langsam und stetig dreht sich dieser Erdteil aus der Sonnenseite heraus.“
… zum letzten Satz:
„Auf den Schutthaufen der Geschichte
&
an das Tageslichts.“
In der Schlusssequenz hat Weigoni das, das ganze Monodram durchfliessende Thema in sprachlich neuartiger Form dargestellt und abgeschlossen: Nicht ein privates Thema wird hier auf psychologisch-freudianische behandelt, sondern das Träumen als Energiebewegung ins Bild gebracht:
„ein Sumpfgebiet
in dem es brodelt und blubbernd pulsiert“
Das Träumen als Thema findet seine Entsprechung auch im Sprachgestus. Weigonis Sprachgestus ist energetisch. Sowie der Text insgesamt die Motive, Positionen, Gedanken der Gegenwart aufnimmt und umformt, ist auch seine lyrische Sprache tätig: sie nimmt auf, formt um und kommt so zu der Position, dass alles in ihr, in der Bewegung aufgehoben ist – der besten Position. Gegen die Sprachlosigkeit.
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Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim 2017
Die fünf Gedichtbände erscheinen in einer limitierten und handsignierten Ausgabe von 100 Exemplaren. Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine handwerkliche Drucktechnik, er hat sie auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von A.J. Weigoni gestanzt hat. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind „Gebrauchsspuren“ geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover direkt nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken.
Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch in einem hochwertigen Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich.
Hörbproben → Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon.