Bettgeflüster

 

Seit gut einer Stunde lag er mit wachen Augen im Bett, blickte aus dem Dachflächenfenster und wartete. Sonntags sollte man nicht zu früh aufstehen, das gehört sich einfach nicht, weil die Menschen gewöhnt sind, das Wochenende zur Erholung zu nutzen. Erholung aber heißt für die meisten Menschen auch gleichzeitig lange schlafen. Es erscheint diesen fast sittenwidrig, dann aufzustehen, wenn man erwacht. Gegen sieben hielt es ihn nicht mehr, er rührte sich vorsichtig. Um zur Bettkante zu gelangen, die allerdings von einen anderen Körper abschirmt wurde, musste er über eben diesen steigen. Natürlich geht so etwas nicht ohne Komplikationen, man berührt den anderen Menschen und schon wacht sie auf. Sie hält ihn fest und zurück. So leicht kommt er wohl nicht aus dieser Situation, Klammereffekt. „Bitte lass mich raus, ich kann nur so lange im Bett liegen bleiben, bis es wirklich keinen Sinn mehr macht, weil man sich irgendwann von einer Seite auf die andere wälzt, aus dem Fenster stiert und nicht weiß, was man machen soll. So lange warte ich ja, erst dann stehe ich auf, dieser Punkt aber ist jetzt erreicht.“ „Was soll man denn machen im Bett“, erwiderte sie, „das ist der Gedanke, wieso du nicht liegen bleiben kannst. Man liegt im Bett, weil man drin liegt. Das ist schön gemütlich und warm, man guckt sich draußen das schlechte Wetter an, dann schläft man wieder ein, träumt was, wacht wieder auf und merkt, wie gemütlich das ist und ab da fängt das wieder von vorne an. Das macht man so lange, bis man es vor Hunger nicht mehr aushält oder schon langsam Kopfschmerzen vom ganzen Liegen bekommt. Ab dann kann man überhaupt einen Gedanken daran verschwenden aufzustehen, vielleicht steht man wirklich auf. Vielleicht wäre dies eine Gebrauchsanweisung für dich.“ Schon die letzten Worte waren undeutlich zu verstehen, sie drehte sich wohlig seufzend auf die Seite, ließ ihn los. Schnell war sie schnell eingeschlummert, ein seliges Lächeln im Gesicht. Genau diesen Moment konnte Herr Nipp nicht ungenutzt verstreichen lassen und verließ mit elegant fließenden Bewegungen das Kissenreich. Er nutzte den Morgen, auch wenn er die meisten Würmer, die der frühe Vogel fängt, selber nicht verspeisen mochte. Etwa vier Stunden später würden sie frühstücken und sich danach vielleicht noch einmal ins Bett begeben.

 

 

***

Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

Post navigation