Wer den Karlsruher Schriftsteller Matthias Kehle in den sozialen Medien verfolgt, glaubt einen Dauerredner vor sich zu haben. So fleißig er Gesprächsanstöße gibt, so wortreich er auch Anfragen jeglicher Art beantwortet, so wortkarg gibt er sich allerdings in seiner Lyrik. Ein scheinbarer Widerspruch nur, denn der Badener versteht es meisterlich, Großes in Kleinverpackung anzubieten. Der Begriff „lakonisch“ mag überstrapaziert sein, aber auf Kehles Lyrik ist er absolut zutreffend. Das Verschweigen spricht für sich, das Auslassen, das Weglassen ist beredt.
Kehle hat Spuren auf dem deutschen Literaturacker hinterlassen. Wie ein guter Landwirt zieht er seine Furchen konsequent geradeaus in die Zukunft, auch wenn die Leser von Lyrik weniger und weniger werden. Die Bände „Drahtamseln“ oder „Scherbenballett“ sind noch in prächtiger Erinnerung. Man mag es kaum glauben, dass der Autor sieben Jahre an dem neuen Gedichtband geschrieben hat. Aber Gutes will wohl Weile haben. Und die Weile hat Früchte getragen. „Ausgelassene Schweigeminute“ beinhaltet – in ansprechender Form als Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen – auf knapp 100 Seiten die Ansichten einer reichhaltigen Welt. Mag so mancher Zwischentitel oder Gedichtanfang Düsteres androhen (Verluste in allen Farben, Fallen und Fallen), so lichten sich die Wolken dennoch zunehmend und geben eine Schau frei in offene Dimensionen.
Kehle ist unterwegs, in Cafés, auf Ebenen, klettert auf Berge, durchleuchtet Zwischenmenschliches und lässt den Leser teilhaben an seinen Ansichten, Umsichten, Sichtungen. Auch Vorbilder werden sichtbar: So nimmt er den Anfang eines Gedichtes von Walter Helmut Fritz für folgenden Text:
„Es gibt keine Strafe/ des Himmels nur/ das Altern erste// Feinde fürs Leben/ die Beine das/ Becken der Klang// einmal lärmte wie/ Pauken fast wie böse/ Zungen schweigen“.
Vieles scheint verrätselt, hat harte Schalen, die es zu knacken gilt. Es lohnt sich allemal.
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Matthias Kehle erhielt den Thaddäus-Troll-Preis. – Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.