Die Rheinländer sind Schwadroneure, die den kontrapunktischen Wunsch nach dem Verstummen traurig und tragisch-komisch zugleich wortreich ins Werk setzen. A.J. Weigoni ist mit „Lokalhelden“ ein ebenso virtuos-vergnüglicher wie hintergründig-unterhaltsamer Roman gelungen. Um Realismus geht es hier nicht, vielmehr gelingt es Weigoni, eine äußerst stilisierte Kunstsprache so erscheinen zu lassen, als spräche hier das pralle Alltagsleben selbst
Hier geboren zu sein, empfindet der Rheinländer als Kränkung.
Quelle: Toilettenwand im Ratinger Hof
Die Wortwahl ist irritierend, aber farbig und daher konsequent. Die Satzverknüpfungen entsprechen der Aufsplitterung der Handlung in einzelne Mosaiksteine. Wir haben es hier mit einem Sprachmaniac zu tun, dessen Erzählen zugleich auch eine radikale Kultur- und Gesellschaftskritik ist, indem er die verborgenen Anteile einer Gesellschaft freilegt, die von der glatten, makellos scheinenden Aussenseite nur notdürftig verdeckt werden. Weigoni ist ein Sprachbeobachter mit scharfem Blick auf gesellschaftliche Praktiken. Die sogenannten ’68er haben die Gesellschaft zwar modernisiert, damit aber auch stabilisiert. Im Nachhinein verteidigen sie eine BRD, die nach 1989 längst untergegangen ist. Die einstmals emanzipatorisch intendierten Praktiken libertärer Projekte ästhetischer und sexueller Devianz sind nolens volens zum Motor des postfordistischen Kapitalismus mutiert. Mit dem Ende der Bonner Republik mutiert das Staatsgebiet zu einem Deutschland 4.0, der Pendelschlag geht unweigerlich von links nach rechts.
Die rheinische Liberalität, das Laisser-faire in „Klein-Paris“ ließen ein Kraftzentrum der durch Krieg und Nachkriegszeit unterbrochenen deutschen Gegenwartskunst entstehen, deren Bedeutung erst nach und nach klar wurde.
Bernd Cailloux
Es geht um die totale Expression, den Versuch die überbordende Unordnung der Stadt und der Seele aufeinander zu beziehen, sprachlich einzufassen und zu abstrahieren. Das große Chaos in Geist und Gefühl des Rheinlands einzufangen. So reich ist Weigonis Wortschatz, daß man schon beim Lesen hinterherkommt, dauernd stockt und stolpert und sich fragt, worum es eigentlich gerade geht, welche Klangfarbe welche Assoziation wecken soll. Unter praktischen Gesichtspunkten qualifizieren sich die Bewohner dieses ´Retrotopia` (Zygmunt Bauman) als Lebensverpasser, sie schämen sich kaum, rutschen aus einer Problemlage in die nächste und erweisen sich auf diskrete Weise als schamlos. Weigoni ist ein Meister der Aneignung und der unsentimentalen Empathie, als passionierter Menschenforscher liefert er ein eierkohlenglühendes Stimmungsbild der deutschen Zustände der Achsenzeit mit ihren veränderten Verhältnissen, Ansprüchen und Wesensverzerrungen. Bei aller Ruppigkeit ist ihm das liebende Einverständnis mit seinen Figuren wichtig. Es geht bei den Lokalhelden um die Liebe zum Rheinland, es geht darum, die Seele der Region sichtbar zu machen. Die Anekdoten aus dem Rheinland sind Überlieferungen, die selbstverursachten Amnesien der Rheinländer bleiben durch das deklarative Gedächtnis der Literatur bestehen. Weigoni lotet in seiner Mythenbricolage die Legenden des Rheinlands aus, er will die Welt nicht mit Tatsachen verwirren.
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Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.
Weiterführend →
Lesenswert auch das Nachwort von Peter Meilchen sowie eine bundesdeutsche Sondierung von Enrik Lauer. Ein Lektoratsgutachten von Holger Benkel und ein Blick in das Pre-Master von Betty Davis. Die Brauereifachfrau Martina Haimerl liefert Hintergrundmaterial. Ein Kollegengespräch mit Ulrich Bergmann, bei dem Weigoni sein Recherchematerial ausbreitet. Constanze Schmidt über die Ethnographie des Rheinlands. René Desor mit einer Außensicht auf die untergegangene Bonner Republik. Jo Weiß über den Nachschlüsselroman. Margaretha Schnarhelt über die kulturelle Polyphonie des Rheinlands. Karl Feldkamp liest einen Heimatroman der tiefsinnigeren Art. Als Letztes, aber nicht als Geringstes, Denis Ullrichs Rezensionsessay.