Im Frühjahr 1981 rief mich ein Kollege der Universität Bonn, der Italienisch-Lektor Pino Rizzuto, in meiner Bonner Wohnung an (ich war 1977 an die Ruhr-Universität Bochum berufen worden, aber er wusste von meinem Vor- und Fortleben in Bonn). Pino fragte, ob ich bei einer interkulturellen Zeitschrift und Dichtergruppe mitwirken wollte, als eine Art komparatistischer Berater und musischer Beiträger. Vielleicht hätte ich ja gleich eine Idee für den Namen einer solchen Gruppe und Zeitschrift. Der Anruf erreichte mich just in dem Moment, als ich den Dichtungsring eines Waschbeckens meiner Wohnung in der Königstraße erneuerte. Damit war der Name für die Gruppe wie für die Zeitschrift gefunden. Das magische objet trouvé erleichterte mir die Entscheidung, an dem Unternehmen teilzunehmen, sehr.
Alfons Knauth
Der DICHTUNGSRING wurde 1981 in Bonn und Bochum als literarische Gruppe und Zeitschrift unter wesentlicher Mitwirkung des Bochumer Romanisten Alfons Knauth gegründet. Die literarischen Kontakte des DICHTUNGSRING spannen sich von Südamerika bis nach Osteuropa.
Herausgegeben wird der DICHTUNGSRING von einer Autorengruppe im Bonner Raum. Seine Mittel sind multilingual, die Texte der Zeitschrift gattungsoffen: Lyrik und Prosa, konkrete und visuelle Poesie, Essay und Wissenschaftsbeitrag, Satire, Rezension, Brief, Hörspiel, Drama …
Die poetische Aktion, die kollektive Kreation und das Korrespondenz-Prinzip machten – ineins mit dem interkulturellen und dem multilingualen Prinzip – einen wesentlichen Teil des literarischen Programms der Gründerzeit aus. Zusammen mit Ingo Kottmayr und Dieter Pougin entwickelte der heteronyme Queneauth das mischsprachige Text-Genre des Multiple Joyce, das inzwischen einen gewissen generischen Stellenwert in der Vergleichenden Literaturwissenschaft erlangt hat. Wichtiger erscheint jedoch die Vielfalt und Wandlungsfähigkeit des Dichtungsrings. Höher als das genannte Text-Genre des Multiple Joyce schätzt die Redaktion die Poesie und Prosa der Dichtungsringerinnen, manch anderer Dichtungsringer und vor allem Gastschriftsteller wie Haroldo de Campos, Pierre Garnier, S. J. Schmidt, Marcel Beyer und Friederike Mayröcker.
Die Vielfalt des Dichtungsrings – und sicher auch seine symbolische Signatur – haben dazu beigetragen, daß er nunmehr dabei ist, seinen 10. Jahresring anzulegen. Die Bäume der Poppelsdorfer Allee – an deren Bewahrung die Dichtungsringer mit der Installation ihrer Blattgedichte aktiv beteiligt waren – feiern dies mit ihrer dichterisch nicht zu übertreffenden Blüte.
Junge Autoren werden entdeckt, auch bekannte Autoren nutzen den DICHTUNGSRING als Forum. Ebenso solche, die außerhalb des Mainstream im literarischen Diskurs stehen, werden beachtet. Mehrsprachigkeit erweckt durch die Gegenüberstellung von fremdsprachigem Original und deutscher Übersetzung die Neugier auf fremde Sprachsysteme. Die deutsche Sprache – nicht unbedingt die deutsche Kultur – überwiegt zwar, doch erscheinen im DICHTUNGSRING immer wieder Texte aus den verschiedensten Sprachen, die in der Regel zusammen mit der deutschen Übersetzung abgedruckt sind. Mehrsprachigkeit sensibilisiert zudem auch für die Erfassung des Ausdrucks anderer künstlerischer Gattungen, etwa von Gemälden oder Fotografien.
Zur thematischen Festlegung der übernationalen Grenzenlosigkeit werden Schwerpunkte gebildet, beispielsweise: Ende der Wirklichkeit, ZwischenMensch, Ungrade Tage, Einfach Kind sein.
Einzelne DICHTUNGSRINGer sind auch anderen Literaturzeitschriften verbunden, wie etwa dem Krautgarten oder der Matrix. KUNO konsultiert den Wert des Analogen und dokumentierte den Grenzverkehr im Dreiländereck. Wir stellen in diesem Online-Magazin hin und wieder Literaturzeitschriften vor, z.B. die erwähnte Matrix.
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Weiterführend →
Ein Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Bruno Kartheuser finden Sie hier. Ein weiteres Kollegengespräch über den Otto-Versand der Subkultur. Weiterhin zu empfehlen auch ein Essay über Francisca Ricinskis lyrische Prosa Auf silikonweichen Pfoten, Ioona Rauschans Roman Abhauen oder die Lyrikerin Ines Hagemeyer. Und nicht zuletzt: Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte von Ulrich Bergmann aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen.