Er war der, ohne den ich definitiv nicht da stünde, wo ich heute stehe: Bruno Runzheimer. Engster Freund von Biby Wintjes, dem Bottroper Nabel der deutschen Subliteratur. Als Biby im September 1995 starb, führte Bruno das IMPRESSUM noch vier Jahre lang weiter, bis er es 1999 zum letzten Mal herausgab. Viele waren damals entsetzt über beleidigt bis enttäuscht darüber, daß das Heft eingestellt wurde – doch wer Bruno kannte, verstand die Gründe.
Ich habe in Brunos IMPRESSUM das literarische Laufen in größerer Öffentlichkeit gelernt. Da ich nicht der Social-Beat- und Kneipenliteratur-Typ bin, schwappte dieser Käse Mitte der Neunziger an mir vorbei. Ich hatte das Gefühl, daß das, was ich zu sagen hatte, in der „zeitgenössischen“ Literatur keinen Platz habe – bis ich für Brunos IMP zu arbeiten begann. Auftragsarbeiten wie Rezensionen und Autorenportraits schrieb ich da, nicht über die „modernen“ Krawalldichter, sondern über Oscar Wilde, Simone de Beauvoir, Arthur Rimbaud. Und über Bruno bekam ich Kontakt zu anderen Gleichgesinnten, die auch tiefer zu schürfen pflegen – teilweise sind aus diesen Kontakten Freundschaften bis heute entstanden.
Bruno war ehrlich und kritisch, aber nie taktlos, im Gegensatz zu mir. Oft tickten wir gleich, was Literaturzeitschriften anging, doch während ich mich dann bei den Rezensionen nicht beherrschen konnte und den Mist, den ich las, auch so nannte, blieb Bruno diplomatisch und sagte, die seien mit ihrem Käse doch schon genug gestraft, da reiche es, sie im IMP gar nicht erst zu erwähnen statt zu verreißen.
Von 2000, dem Ende des IMPRESSUM, bis etwa 2005 blieben wir in regelmäßigem Briefkontakt. Dann verstummte er rätselhafterweise. An Weihnachten und Ostern bekam ich manchmal noch ein Buch geschickt, dafür schickte ich ihm Kekse. Mit grüner Tinte waren seine Briefe stets unterschrieben, und der letzte Satz lautete immer „bleib mir gewogen“.
Ich blieb ihm gewogen. Immer. Ich hätte in letzter Zeit gerne wieder seine tiefe, liebe Stimme gehört oder seine grüne Schrift gelesen und erfahren, was er von meinen Projekten hält und was er für Projekte plant. Nun erfuhr ich, als ich ihm einen Prä-Advents-Gruß schicken wollte, daß er gestorben war.
Er war fast exakt gleich alt wie Biby, und er ist fast auf den Tag genau 13 Jahre nach Biby von uns gegangen. Ich bleibe dir gewogen, Bruno. Auch und gerade jetzt. RIP!
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Weiterführend →
Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.