RETTET KILLROY!

DER SOCIAL BEAT IST TOT, ABER DARUM GEHT‘S NICHT: WENN DAS LABEL KILLROY MEDIA VON MICHAEL SCHÖNAUER IN ASPERG ABNIPPELT, STIRBT WAS ANDERES

Michael Schönauer ist Urgestein. So ur, daß neulich ein Freund, dem ich von meiner bald bei Killroy erscheinenden Übersetzung erzählte, ganz erstaunt ausrief: „Was, gibt’s den noch? Ich wußte ja gar nicht, daß Schönauer noch aktiv ist!“ Sicher, dachte ich, es ist ja nichts neues, daß Undergroundprojekte mitunter schnell wieder eingehen … Aber daß man das nicht nur annimmt, sondern fast schon als unumstößlich voraussetzt, das ist traurig. Es macht mich wütend, wenn Leute sagen, die Subkultur sei tot. Was tot ist, sind nur die Phänotypen der verschiedenen „Szenen“, die Erscheinungsbilder, der Phänotyp des „Beat“ etwa oder der des „Social Beat“ – aber der Genotyp der Subkultur, der all den Szenen zugrunde liegt, wird nie tot sein, genausowenig wie „Kultur“ tot sein kann. Denn die echten subkulturellen Maulwürfe sind keine Trendgorillas, und als solche sterben sie nicht aus.

Und Michael Schönauer ist einer dieser Maulwürfe, ganz klar. Mit Trendhühnerei hatte er nie was am Hut, zumal sein Label nicht im Hype des Social Beats Anfang der Neunziger entstand, sondern zu diesem Zeitpunkt bereits da war – und deshalb auch nicht mit derartigen phänotypischen Etikettierungen „erklärt“ werden kann. Mit der Etikettierung des „SB“ verhält es sich heute überhaupt sehr seltsam. Einerseits gibt es den Begriff Social Beat, so wie ihn Thomas Nöske und Jörg André Dahlmayer 1991 mit den besten Absichten für die Literatur prägten: Social Beat sei die ehrliche Literatur der Straße, wo herausgebrüllt wird, worum’s geht, und wo man die ganze übelriechende Konformisierungstünche radikal beim Namen nenne … Und andererseits gibt es dann das, was nach jener epochalen Taufe „herauskam“: ein übles Kuddelmuddel von Pseudos, Möchtegern-Stars und allen möglichen Dümpelfritzen, von denen einige nicht das Geringste von Schreiben verstanden, aber sich nun bierselig in der ersten Reihe der Literaturrevolution wähnten. Das Revolutionäre waren v. a. auch die Poetry Slams: jeder kann lesen, und das Publikum darf besoffen dazu grölen und muß nicht höflich applaudieren. Was in der Musik Oasis versus Blur war, war in der jungen deutschen Literatur Social Beat versus Popliteratur. Ein „Benjamin von Bugrad-Starre“ (Ronald Klein) kann doch einem Kersten Flenter nicht das Wasser reichen! (Was übrigens, jenseits alles Hypes, wahr ist.)

Egal. Der große Sturm ist vorbei, die Wogen haben sich geglättet, und man hat sich von dem Ding, zu dem der Social Beat mutiert ist, emanzipiert. Thomas Nöske wurde zum Philosophen, Tuberkel Knuppertz heißt wieder Michael, Thomas Schweisthal gibt in der PO EM PRESS u. a. Jürgen Ploog heraus, Thomas Stemmer veranstaltet in der Nürnberger VHS Kurse über Burroughs, und Tom de Toys ruft (gerade kürzlich bei den LINKEN BUCHTAGEN in Berlin) zur Repolitisierung und Anti-Eventisierung des Slam auf, was schon Hadayatullah Hübsch 2001 gefordert hatte. Alle glauben sie an den Genotyp der „linken“, der kritischen Literatur, aber keiner benutzt mehr das Wort Social Beat, also den Phänotyp.

Und Michael Schönauer? Der hat den Genotyp sowieso verinnerlicht und braucht keinen Hype. In den Achtzigern, Jahre bevor es in der deutschen Literatur anfing zu rumsen, tourte er ohne Geld um die Welt auf den Spuren von Arthur Rimbaud, Bill Burroughs und Jack Kerouac, war u. a. in Mexiko, Afrika und Asien, nahm die Drogen der Einheimischen, lief sich die Füße wund und holte sich Malaria. Dann kam er zurück und begann seine Verleger- und Herausgebertätigkeit.

Wenn man das weiß, kommt man von KILLROY Media nicht mehr los. Das unterscheidet Mick von all jenen jungschen Hühnchen, die in den 90ern begeistert mit dem Labelgründen und Fanzinedrucken und Wildestorysdichten loslegten, ohne zu wissen, wovon sie sprachen (z. B. Fabian Reimann), und das ist auch das, was die Bücher, die bei KILLROY erschienen, gemeinsam haben: diesen unterirdischen authentischen Drive des Beat, Thomas Nöske nannte das den „ewigen Unterstrom“, der im Punk, Beat, Dada ähnlich klang und den Hegel, Rimbaud und Nietzsche genauso kannten wie Biby Wintjes oder William Burroughs.

Zunächst sind da die beiden Bände „Killroy“ und „Killroy 2″, die ich aufgrund meiner Überleitung hier als erstes nenne: zwei Bücher, in denen Schönauer von seinen Reisen erzählt. Schön auch der Gedicht-Foto-Band “ …und ich frage euch: wie weit kann ein Fuß geh’n?“ zum selben Thema. Berühmt aber wurde Schönauer durch sein – jetzt „pausierendes“ – „Magazin für Literatur und Kunst EINBLICK“, das wegen seiner professionellen Gestaltung und sicheren Text- und Bildauswahl in der „Szene“ eine angenehme Ausnahme war. Als der „Social Beat“ brodelte, trat Schönauer auch selbst als Performer und Slampoet Yussuf M auf, aber für mich blieb er immer der Herausgeber und Veranstalter, der mir Packen von Flyern nach Konstanz schickte, die ich dann in der Fußgängerzone verteilte. 1997, 1999 und 2001 erschien die „SOCIAL BEAT SLAM! POETRY“-Trilogie mit „Die Ausserliterarische Opposition meldet sich zu Wort!“, der sogenannten „roten Bibel“, und den Folgebänden „Slammin’ BRD“ und „German Grand Slam“. Daß Slam und Subkultur seit Anfang des neuen Jahrtausends nicht mehr viel gemein haben, weil letztere mit der VIVA-kompatiblen Effekthascherei des Neo-Slam nichts anfangen kann, war der Grund dafür, daß die Trilogie nicht fortgesetzt werden konnte. Die Autoren, die Schönauer für seine Trilogie ausgewählt hatte, waren ganz klar eher Subpoeten denn Fun-Slammer. Kein Mensch würde HEL, der besser schreibt als der Großteil des Haufens, auf das Etikett „Slam“ reduzieren können. Und Jürgen Ploog, der Cut-Up nach Deutschland brachte, ist zwar der direkte Draht zum Beat, aber kein Social Beater. Beide aber findet man hier, wie auch Peter O. Chotjewitz, den Satiriker und Übersetzer von Dario Fo, und zusammen mit den Hardcore-Gurus Jan Off, Frank Bröker, Jaromir Konecny und Philipp Schiemann legen sie Zeugnis ab von der damaligen fröhlich-subversiven Kollektivstimmung und der vielfältigen revolutionären Kräfte der Literatur.

Einige wirklich gute Schreiber aus der roten und der gelben Bibel lieferten dann die ersten „10 + 1 Stories“ in Schönauers neuer Reihe: Kersten Flenter mit „Junkie-Ufer“, einem kongenialen Stück Drogen-, Bohème- und Reiseprosa, oder Philipp Schiemann mit „Suicide City“. Christian Wolter war neu im Club, er lieferte mit „Die FRÖSI-Bande“ einen abartigen Ossi-Trip. Dann gibt’s noch Heike Reichs „Der grüne Orgasmus“ und auch Laabs Kowalskis Erzählungen in „Der merkwürdige Mann im Café“ sind gut. Das neueste bei KILLROY ist ein Kinderbuch: „Vom Tier, das noch keiner ganz gesehen hat“ von Yo Rühmer – und im Sommer erscheint der Revolutions-Utopie-Roman „THE FREE – DIE FREIEN“ von M. Gilliland in der Reihe KILLROY Roman, wo soeben „Ich, Jesus, Scharlatan“, ebenfalls von Laabs Kowalski, erschien. Aber wie es dann weitergeht, weiß niemand.

„Wir haben ein kleines aber feines Programm an Buchtiteln“, schrieb mir Mick kürzlich, „aber seit Monaten sitzen wir in einem dermaßen tiefen Absatzloch, daß es zum Heulen ist.“ Schönauer malocht viermal wöchentlich in der Fabrikfrühschicht, um sich irgendwie am Kacken zu halten, und ab elf Uhr ist er dann wieder Verleger und widmet sich seinem „sinnlosen Tun“, wie es Schlauscheißer ohne Sinn und Verstand gern nennen. Was ist nur los? Was läuft falsch? Sind die Leute zu dumm? Unsinn. Es gibt keine dummen Leser, nur unfähige Autoren. Der deutsche Büchermarkt wurde aber in den letzten Jahren von unfähigen Autoren geradezu überschwemmt: Bohlen, Effenberg, Walser, Rowling, Kahn, Kohl, Leon … Die mediale Konformisierungstünche ist noch oder wieder genauso zäh wie Anfang der Neunziger: in allen Sendern laufen Abzockshows, alle Fressen sehen gleich aus, überall hört man denselben Mist. Das Buch „Schneeweiß und Russenrot“ von Dorota Maslowska im März war für mich dann ein Streif am Horizont, ein Zeichen dafür, daß es in dieser Kulturwüste doch noch kluge Köpfe gibt, die was von guter Schreibe verstehen. Ich glaube daran, daß sich die Zeiten ändern. Die Massenmedien wollen die Leute dumm haben, aber das hat jetzt seinen Höhepunkt erreicht, da die Leute nicht dumm sind, sondern nur unter Wert als solches verkauft werden und jetzt die „klugen“ Köpfe der hohen Tiere zum Schwitzen bringen. Ich denke hier an die Folterbilder im Irak, ich denke auch an die Meldung, Britney Spears und Christina Aguilera mußten ihre Tour wegen mangelnden Interesses absagen. Kultur ist beides. Kultur ist die Summe aller Wertvorstellungen einer Gesellschaft. Wenn Britney Spears „Kultur“ ist, dann sind alle vernünftig denkenden Menschen dieser Welt Subkultur.

Und indem wir nun so unsere wahren Seelenverwandten wiedergefunden haben: lest Flenter, Leute, lest Burroughs, Ploog, HEL, Dr. Treznok, Dagi Bernhard! Ein Abend mit einem guten Buch (von Killroy) ist einem Abend vor dem in jeder Weise tödlichen TV in jedem Fall vorzuziehen! Finde ich.

 

 

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.