Fachsprachengewirrwarr

 

“…ist zu dunkel, kann nichts mehr sicher ansprechen, baume ab.“ Herr Nipp sitzt neben einem Freund in einer Kanzel zum Ansitzen. Das ist eine Form der Jagd, aber was der Freund da faselt, das versteht er nicht, also fragt er. „Naja, wenn es zu dunkel ist, kann ich das Wild nicht mehr genau sehen und zielen und bevor ich schieße, muss ich eben genau wissen, was da geschossen werden soll, das nennt der Jäger ansprechen. Abbaumen ist das Verlassen eines Hochsitzes oder einer Leiter. Eine Leiter lehnt normalerweise mit einem Sitz oben am Baum.“ Warum muss der Jäger denn so viele seltsame Wörter verwenden, fragt sich unser interessierter Laie. Die Jägersprache umfasst immerhin einige hundert Vokabeln, die ihre besondere Bedeutung haben. Ausgetretenes Blut etwa heißt Schweiß, das Blut im Körper Blut. Sehr euphemistisch. Das Maul eines Rehs ist der Äser, der Mund eines Hasen Geäse, eines Fuchses Fang, eines Wildschweins Gebrech, beim Hirsch wieder Äser. Wer soll sich das alles merken, fragt er sich. Und das ist nur der Anfang. Da schwirren einige hundert Fachbegriffe durch den Raum, wenn sich Jäger nach einer Bewegungs- oder Gesellschaftsjagd zum Schüsseltreiben treffen. Jede Wildart hat ihre eigenen Bezeichnungen. Wenn Jäger sich unterhalten, wissen sie eben genau, über welches Wild geredet wird. Nicht zu verwechseln mit Jägerlatein, das sind die Geschichten zur Jagd, die man sich abends gerne erzählt. Letztlich aber geht es den Jägern nicht anders als allen anderen Berufen auch. Jeder hat seine Fachsprache, mit welcher Unterhaltungen fachspezifisch präzise geführt werden können, ohne umständliche Umschreibungen. Hören Sie doch mal Mathematikern zu oder Physikern, Informatikern, gar Geologen oder Arachnologen. Am schlimmsten ist es aber wohl, wenn Sie Fußballfans lauschen müssen, Fachlatein kombiniert mit schnell abgenutzten Götternamen. Diese seltsame Halbreligion hat so viele Ausprägungen wie sie Mannschaften besitzt. Hat so viele Konfessionen, wie es Fangruppen gibt. Kaum auszuhalten. Andere Sparten wie die Ornithologie, Paläontologie, Theologie und Archäologie will ich hier eigentlich gar nicht erwähnen, mache es aber trotzdem. Politikersprech, unerträglich. Banker und Manager? Verwaltungsbeamte und Finanzbeamte? Versuchen Sie sich doch einfach mal mit Automechatronikern über den Motor Ihres neuen Wagens zu unterhalten oder noch besser, mit den Schraubern unter den Motorradfahrern, vor allem, wenn sie Spezialfachgebiete wie Triumph haben. Und glauben sie ja nicht, die Fachkräfte aus der Reinigungsbranche kämen ohne ihren ganz eigenen Slang zurecht. Alle haben ihre eigenen Vokabeln. Und was das Geäfter eines Hirsches ist, das weiß Herr Nipp inzwischen auch, das hat nämlich gar nichts mit den Brunftkugeln zu tun, soviel ist klar.

 

 

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Guppy im Gin, weitere Geschichten von Herrn Nipp. Edition Das Labor 2020

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421