Vom Hölzchen aufs Stöckchen · Auf meine Art an Hans Bender denken (2)

1966

Die beiden Romane Eine Sache wie die Liebe und Wunschkost habe ich zweimal gelesen – ebenso wie die Mehrzahl der vielen Kurzge­schichten (von denen ich ein­zelne immer wieder lese), die erste lerne ich 1966 kennen. So bleibt von jenem Jahr nicht nur das sogenannte ›Wembley-Tor‹ in dauerhafter Erin­nerung. Die eher schmalen Auf­zeichnungsbände, ich benenne beispielhaft Postkar­ten aus Rom und Wie die Linien meiner Hand, sprechen eine deutli­chere Sprache als mancher ge­schwätzige Wälzer. Die mit markan­ter, Verbindlichkeit vermittelnder Handschrift nie­dergeschriebenen Wör­ter der Briefe strahlen Anteilnahme und Zu­gänglichkeit aus, wobei es in der Hauptsache – engagiert, uneigennützig, dabei nie ei­fernd – um die gute Sache Lite­ratur geht, im Sinne derer Bender den kontroversen Disput nicht scheut: nachzulesen, bei­spielsweise, in Konturen und Akzente des Literaturbetriebs, dem 2009 publi­zierten Briefwech­sel mit Walter Höllerer. Aus den Gedichten – 2009, bei­spielsweise, erscheint zum 90. Geburtstag das Buch Wie es kommen wird –, die in den vergange­nen 15 bis 20 Jahren in erster Linie Vierzeiler gewor­den sind, steigt aus den doppelten Böden der Verse der ironisch-lako­nische Ton auf, der Hans-Ben­der-Sound, der ›es‹ genauso trifft wie in den Aufzeichnun­gen, Erzäh­lungen oder Briefen. Hans Bender kann es einfach – auf seine Art:

Gibt es noch Engel?
 
Ich hätte nichts dagegen,
schwerelos wie sie mich zu bewegen.
Mit ihnen zu musizieren, zu singen.
Mit ihnen mich schlafen zu legen.

Im Essay Neunzig werden, den ich zu Hans Benders Geburtstag am 1. Juli 2009 verfasse und im Poetenladen sowie in der Schweizer Literaturzeitschrift »orte« ver­öffentliche, steht an einer Stelle:

Benders Aufzeich­nungen sind bemerkens­werte Bot­schaften mit Biß, die auch nach Jahren und Jahrzehn­ten noch mer­kens­wert sind, leuchtet in ihnen doch – ganz wie in den Ge­schichten und Ge­dichten – die bild­hafte, Klartext redende, aufs Notwen­dige redu­zierte, detailliert be­schreibende, subtile, natürlich dahin­flie­ßende, elementare, nuan­cierte, ironie­durch­tränkte Sprache die­ses be­scheide­nen Meisters der schein­bar bloß kleinen, kunstvoll kunstlosen Form auf, deren Präzi­sion ›smart‹ und ›zart‹ zugleich ist. Kurz: Bender zeigt, was auf der Hand liegt – was die anderen eigent­lich auch se­hen müßten, wie es am Ende von Aufzeichnun­gen einiger Tage heißt.

In der Gefangenschaft begann ich bewußt zu schreiben, stellvertretend für meine Generation. Das war – wie mir vorkommt – gestern noch, und ist heute schon fast Historie. Aber mehr als meine eigene Generation will die Jugend darüber lesen. (In Lesebüchern und Schultexten ste­hen meine Er­zählungen: Der Brotholer, Die Wölfe kommen zurück, Iljas Tauben, in ame­rikani­schen, japani­schen, holländischen und dänischen Lesebüchern sogar.) Wie zufrieden könnte ich mit meiner Prosa sein, wenn sie mithülfe, diejeni­gen, die heute jung sind, vor einer ebenso uni­formen wie bedrohten Jugend zu bewahren. Für dieses En­gagement stehe ich ein.

Hätte mir ›damals‹ jemand gesagt – aber wer hätte das tun sollen in der bäuerlichen Welt, in der Literatur ausschließlich Sache der Schule war –, daß ich eines Tages mit diesem ›großen‹ Schrift­steller, Verfas­ser dieser hochgeschätzten Kurzgeschichten, befreun­det wäre, mein Name unter einem seiner Gedichte stünde, wir gemeinsam Vierzeiler besprä­chen, nach noch besser ›sitzen­den‹ Wörtern suchen würden … Lassen wir das. Es geht ja längst weit darüber hinaus. Wenn wir mal zwei Wochen nicht mitein­ander gesprochen haben, ruft er an und meint, es seien doch Mo­nate vergangen.

Am 10.02.2012 um 18:23 schreibt Axel Kutsch: Vor einigen Tagen schickte mir Hans Bender den neuen Lyrikband »Auf meine Art«, in dem Du ja auch vorkommst. Ich habe ihn mit großem Vergnügen gele­sen. Diese Vierzeiler sind frisch, hintergründig, auch humor­voll. Das ist junge Poesie eines über Neunzigjährigen. Sehr ge­lungen ist auch das Titelbild mit den vier Hölzchen. Naturgemäß freue ich mich sehr über Kutschs Ein­schätzung, bestätige die Be­merkung über das Titel­bild, das die nächste Erinnerung hervorruft, voll und ganz.

Braten riechen

Am Morgen des 8. September 2011 kehre ich von der von A. J. Wei­goni organisier­ten Lesung mit Francisca Ricinski und Andreas Noga im Düsseldorfer Literaturclub zurück – mit der guten Er­kenntnis, daß man nicht nur Altbier trinkt und Fußball spielt im drolli­gen Dorf an der Düssel, o nein, und am späten Nachmittag, nach einer Stadtfüh­rung der ganz besonderen Weigoni-Art, bei der wir zunächst am Rhein ent­lang durch den neu gestalteten Medien­Hafen flanieren, von dessen architektoni­schen Besonderheiten ich mich in den Bann ziehen lasse, während das Wasser des Rheins gleichmütig vorbeiströmt, als wäre alles wie immer, erlebe ich sogar das alle­wege ersehnte kleine alltägli­che Wunder, indem ich im Heinrich-Heine-Antiquariat in der Cita­dellstraße das in der Eremiten-Presse erschienene Gedicht­buch Ober­welt von Rolf Bongs entdecke, das ich mir lange schon wün­sche. – – –

Statt in die Eifel-Bahn einzustei­gen, verlasse ich in Köln den Haupt­bahnhof, gehe in den benachbarten Dom, lasse mich vom Rich­ter-Fenster erleuchten und wandre, nein, eben nicht hinaus ins freie Feld, sondern durch die Innenstadt über Hohe Straße, Schil­dergasse, Neu­markt, Mauritiussteinweg (wo ich einen wehmütigen Blick in die frisch renovierten, jedoch weiterhin leerstehenden Räume werfe, in denen bis Ende 2008 das Antiquariat von Peter Weber residierte, dem ich so viele Buchfunde verdanke) in die südlich, am Zülpicher Platz, gelegene Taubengasse, um Hans Ben­der einen (telefonisch einige Tage zuvor vereinbarten) Besuch abzustatten. – – – Gern läßt Bender sich bei den Treffen das eine oder andere neue Gedicht vorlesen. An die­sem Tag ist es das Ge­dicht, dem ich die Ernst-Meister-Verse Hier, / nimm die / Unsinns­blume / vom Wegrand voran­ge­stellt habe:

braten riechen
 
fiel mariechen
in schwarze tomaten
 
glatter niederschlag
auf biaginis schweißbaumwolle
 
maul mit mais · maisährchen
maisbärtchen · maisseide
 
stopfen · mit parze · polenta
welch ein · welsch sein · tag
 
augen saugen
blicke wieder
 
klein der racker
acker wacker
 
vatter findet [frankenstein]
tief grab tiefer / rief er
 

Photo: Hans Georg Schwark

Wir sprechen lange über das Gedicht, das sich u.a. aus den Herbst­ne­beln, die übers Feld wabern, als ich, 1962, als Sechsjähriger neben dem vom Vater freigelegten Franken-Grab stehe, befreit hat. An­schließend steht Hans Bender auf, geht mit dem legendär flotten Schritt, der nichts an Leichtigkeit eingebüßt hat, zum Schreibtisch und drückt mir wortlos ein Blatt in die Hand – das mich zuerst einmal sprachlos macht. Es ist der Entwurf zum Um­schlag des Buches. – – – That’s it, jubiliere ich in­nerlich beim Anblick der vier untereinander liegenden Zweigstücke, that’s it, weiß für den Moment immer noch nicht, was ich sagen soll, Bender blickt mich erwartungsvoll aus freundlich blinkenden blauen Augen an. Ich kann, dennoch, nicht allzuviel sagen, ich glaube, es sind, ungefähr, diese Worte: »Herr Ben­der, ich freue mich sehr auf dieses Buch, das ist das schönste Um­schlagbild, das ich mir vor­stellen kann, eine kongeniale Nachempfin­dung Ihrer Verse.« – – – Schon kom­men wir wieder vom Hölzchen aufs Stöckchen, spre­chen übers versunkene Köl­ner Stadt-Ar­chiv, dem Bender rund 27.000 Do­kumente der jahrzehntelangen literarischen Kor­respon­denz mit Rose Ausländer, Ingeborg Bachmann, Gottfried Benn, Nicolas Born, Rolf Dieter Brinkmann, F. C. Delius, Hans Henny Jahnn, Günter Eich, Günter Grass, Ernst Jandl, Günter Kunert, Friederike Mayröcker, Jürgen Theobaldy und vielen hundert anderen als Vorlaß zur Ver­fügung gestellt hat, über die Bedeutung der Ge­dichte Brinkmanns, über die romanischen Kir­chen, über einen Brief Benns vom 21. Au­gust 1954 an Herbert G. Göpfert, der in­zwischen für 900 Euro gehan­delt wird: Inzwischen erhielt ich den Besuch von Herrn Hans Bender. Natürlich hat er kein Wort von der Unterhaltung zwischen Ihnen und mir erfahren. Aber ich muß sagen, dieser junge Mann machte einen sehr guten Eindruck auf mich, er scheint stabiler und weniger arro­gant zu sein als die meisten Literaten, auch ist er wohl bestimmt intel­ligent, über das Richter-Fens­ter und Thomas Bernhard, über den er in Was reden die Leute. 58 Be­gegnungen mit Thomas Bernhard schreibt:

Ich war neben meinen redaktionellen Tätig­keiten auch Berater und Juror im Li­terari­schen Gre­mium des Kulturkreises im Bun­desverband der Deutschen In­dustrie. Für das Jahr 1967 habe ich Thomas Bernhard und Elisabeth Bor­chers für die jährlichen Preise vorgeschlagen. Die Tagung war für Anfang Oktober festgesetzt, in Regensburg. Ein Vor­gang, den ich gut in Erinnerung be­halten habe. Bevor die anderen angereist waren, speiste ich zusammen mit Bernhard in einem Hotelrestaurant. Als wir die Suppe löffelten, hielt Bernhard inne, blickte hinauf zur Stuck­decke und begann zu schildern: Die Stücke der Stuckdecke werden herunterfal­len in un­sere Teller, die Suppe würde über­schwappen, den Tisch, den Boden, den Raum, dir Stadt, die Welt er­tränken! Ich wusste nicht recht, wie ich auf Bernhards über­schwängliche Schilderung oder Vision reagie­ren sollte. Ich versuchte es, doch größer waren meine Zwei­fel, ob die Suppe diese Sintflut an­richten könnte. Er wollte wohl eine Szene mit mir spielen. Wollte mich überprüfen, wie ich rea­gierte. Hatte ich die Be­gabung, einzugehen auf seine Vision?

 

* * *

Traian Pop (Hg.)
Matrix 29. Jeder auf seine Art für Hans Bender
Zeitschrift für Literatur und Kunst
Pop Verlag · Ludwigsburg 2012
196 Seiten · 10,00 Euro

Lesen Sie hier den ersten Teil des Essays. Und dort Teil 3.

 

Weiterführend Ein Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer.

Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur

Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.