Stella erzählte die Geschichte vom selbstmörderischen Kampf

 

Stella erzählte die Geschichte vom selbstmörderischen Kampf eines Katers mit einer Ratte. Beim Versuch zu fliehen bot die Ratte dem Kater ihren ungeschützten Rücken, in den der Kater nach einem entsetzlichen Sprung seine Krallen bohrte, während die Ratte, indem der Kater ihr die Haut vom Rücken zog und mit den Zähnen vom Kopf, sich unter den Kater drehte und in seinem Hals festbiss, so dass allmählich, weil sie in ihrer Raserei verbluteten, ihre Kräfte versiegten, bis sie zuletzt ihr Leben verloren.

„Ich mag solche Fabeln nicht“, sagte ich. „Sie sollen beweisen, dass wir Tiere sind. Ich erzähle dir eine wahre Geschichte, die dir zeigt, dass wir nicht den Tod suchen oder dem Tod ins Netz gehen.“

„Meinst du, Menschenfabeln sind wahrer?“, sagte Stella.

„Ja, aber ich erzähle keine Fabel, sondern eine tatsächliche Geschichte. Der Briefträger Ferdinand Cheval baute über vierzig Jahre lang sein Grabmal, das ihn überleben sollte.“

Stella sagte: „Die Geschichte kenne ich. Cheval hat sich dem Tod unterworfen, er hat an nichts anderes gedacht als an seinen Tod, der zum Gefängnis seines Lebens wurde; eigentlich hat er gar nicht wirklich gelebt.“

„Nein“, sagte ich, „er hat sein Inneres nach außen gestülpt, er hat sein Leben zur Kunst erhoben.“

„Er hat sich selbst abgebildet“, sagte Stella, „er hat sich nur wiederholt, Kopie ist keine Kunst.“

„Dann wäre aber alle Kunst“, sagte ich, „keine Kunst. Stella, er hat sich nicht kopiert, er hat sich erkannt. Er hat sich in seinem Kunstwerk selbst überstiegen. Cheval hat seine Träume lebenslang gelebt, er hat sein Leben gerettet, indem er es erschuf. Er hat ein Gebäude errichtet mit Formen und Figuren, die ihn überleben. Cheval bestätigt meinen Traum. Auch ich will eine Stadt bauen gegen den Tod, eine Stadt aus Buchstaben, Silben, Wörtern, Klang und Rhythmus – mein Lebensmal.“

„Du deutest dir dein Leben einfach so zurecht“, sagte Stella.

„Ja“, sagte ich, „soweit ich kann.“

„Das Leben ist mehr als ein Selbstgespräch“, sagte Stella.

„Ich rede“, sagte ich, „wenn ich so mit mir rede, dass ich mich zum Kunstwerk umwandle, mit der Geschichte vor mir und nach mir.“

„Fang an“, sagte sie, „fang endlich an, deine Stadt zu bauen.“

Ich senkte den Kopf. „Die Traumbilder liefen so langsam und leise durch meinen Schlaf, dass sich meine Angst steigerte, bis ich aufwachte. Der Traum war so real und klar, dass mich am Ende das Grauen packte.“ Stella legte ihre Hand auf mein Knie.

„Komm in den Schatten“, sagte sie.

 

 

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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022

Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.

Weiterführend →

Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.