Der Mondenschein verwirret
Die Täler weit und breit,
Die Bächlein, wie verirret,
Gehn durch die Einsamkeit
Da drüben sah ich stehen
Den Wald auf steiler Höh,
Die finstern Tannen sehen
In einer tiefen See.
Ein Kahn wohl sah ich ragen,
Doch niemand der es lenkt,
Das Ruder war zerschlagen,
Das Schifflein halb versenkt.
Eine Nixe auf dem Steine
Flocht dort ihr goldnes Haar,
Sie meint´, sie wär´alleine,
Und sang so wunderbar.
Sie sang und sang, in den Bäumen
Und Quellen rauscht‘ es sacht
Und flüsterte wie in Träumen
Die mondbeglänzte Nacht.
Ich aber stand erschrocken,
Denn über Wald und Kluft
Klangen die Morgenglocken
Schon ferne durch die Luft.
Und hätt´ ich nicht vernommen
Den Klang zu guter Stund‘:
Wär‘ nimmer mehr gekommen
Aus diesem stillen Grund.
***
Der stille Grund ist ein Gedicht des deutschen Lyrikers Joseph von Eichendorff. 1837 wurde es vom Verlag Duncker & Humblot in dem Buch Gedichte von Joseph Freiherrn von Eichendorff (S. 420 f.) veröffentlicht. Es ist ein Gedicht eine Nixe.
Für Theodor W. Adorno war Eichendorff „kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs im Sinne des Novalis, dem er nahe sich wußte.“ In seinem Essay Zum Gedächtnis Eichendorffs weist er auf den affirmativen Tonfall hin, der dem Dunklen entrungen sei, und spricht von einem „Entschluß zur Munterkeit“, der sich mit seltsam paradoxer Gewalt am Ende des Werkes bekunde. Nach Ansicht Adornos ermöglichte gerade Eichendorffs Festhalten am Vorbürgerlichen und Überkommenen einen kritischen Blick auf bürgerliche Verhältnisse. Indem Eichendorff sich vom Liberalismus distanzierte, gewann seine Lyrik für ihn ihre utopische Dimension. Um zu verhindern, dass der Dichter von „Kulturkonservativen“ und Katholiken vereinnahmt werde, bedürfe es einer dialektischen Lektüre gegen den Strich. Zunächst müsse man sich aber eingestehen, dass „der Ton des Affirmativen, seine Verherrlichung des Daseins schlechthin“ nicht verteidigt werde, um andere Ebenen seiner Lyrik der idyllisierenden Lesart zu entziehen. Adorno weist auf den Versuch hin, Eichendorff als „Kronzeugen einer positiven Religiosität“ und in „landsmannschaftlichem Geiste, einer Art Stammespoetik Nadlerschen Schlages“ zu nutzen. Derlei Bestrebungen liefen darauf hinaus, ihn im patriotischen Sinne „gewissermaßen rück(zu)siedeln“, was mit seinem „restaurative(n) Universalismus“ nicht zu vereinbaren wäre.
Es sei das „Gegenteil sturer Apologie“, ihn vor Freunden und Gegnern zu retten. Allerdings gebe es ein Element seiner Lyrik, das „dem Männergesangverein überantwortet ward … nicht immun gegen sein Schicksal“ war und „es vielfach herbeigezogen“ habe. Auch könne der „Ton des Affirmativen, der Verherrlichung des Daseins“, der zu bestimmten Lesebüchern geführt habe, nicht verleugnet werden. Für Adorno klingen einige seiner Verse indes „wie Zitate beim ersten Mal, memoriert nach dem Lesebuch Gottes.“
Konzentriere man sich auf die Funktion der Sprache, schlage der Konservatismus in die Moderne um. Die Verneinung des Herrschaftlichen, zumal über die eigene Seele, sei progressiv. Seine Dichtung lasse sich vertrauensvoll treiben „vom Strom der Sprache und ohne Angst, in ihm zu versinken.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.