Hermann Prembella, der Kampfdichter

 

Wirklich gesehen hat ihn anscheinend niemand. Doch seit fast dreißig Jahren geistert der Name Hermann Prembella durch Kölns literarische Szene. Doch ist Prembella eigentlich Prembella?, fragte noch vor Jahresfrist ein besorgter Rezensent. Obwohl über den legendären Offoff-Poeten zahlreiche Anekdoten kursieren, scheint es kaum jemanden zu geben, der Prembella tatsächlich leibhaftig erlebt hat und darüber zu berichten vermag. Tatsächlich hinterlässt er seine Spuren lediglich in Gestalt von kurzen, handschriftlichen Poesie-Unikaten auf Bierdeckeln, Papierservietten oder Quittungsblöcken. Ein Kölner Kneipier beschreibt Prembella zwar als Mitte sechzig, ziemlich hager, grauer, kurzgeschnittener Haarkranz, um dann doch einzuschränken: »Et könnt’ aber auch jemand anders jewesen sein.«

Ein Journalist schildert Prembella als meist gemütlichen, unter Alkoholeinfluss auch latent cholerischen Frührentner mit umfangreicher, ererbter Hausbibliothek. Nach anderen Quellen ist Prembella angeblich Klosterzögling oder Gleis- arbeiter bei den Kölner Verkehrsbetrieben. Gemeinsam ist allen Zeugen, dass sie fest von Prembellas Existenz überzeugt sind. Womöglich steckt aber auch ein bekannter Kölner Autor hinter dem Pseudonym Prembella. Es ist schon verdächtig, dass Neuigkeiten zur Person des Autors und Prembellas Texte immer aus einer bestimmten Ecke lanciert werden. Prembella hat sich jedenfalls nie gegen die Anonymität gewehrt. Im Gegenteil, er kultiviert seinen Mythos.

Mit Mich kennt kein Schwein wird ein erfreuter Prembella vor einigen Jahren nach seinem Auftritt in einer längst abgewickelten Szenekneipe zitiert. Dabei ist er im Kölner Literaturbetrieb durchaus verwurzelt. »Achgottja, der Prembella…« Dieses Zitat des großen Heinrich Böll ist wohl verbürgt. Dieter Wellershoff sagte hingegen: »Prembella? Kenn ich nicht.« Nach Meinung der großen Prembella-Fangemeinde eine reine Schutzbehauptung.

Mit dem zeitweise äußerst populären Social Beat will er nichts zu tun haben, für Prembella ist das »ein ziemlicher Hirnfick«. Stattdessen versteht sich Prembella als »Voll- oder Kampfdichter«. Dabei ist er ein rigider Verfechter der Impuls-Lesung. Seine spontanen Lesungen kündigt er durch kurze, heisere Schreie an. In der Kölner Südstadt ist man diese Auftritte gewohnt, Premballas Poesie-Show wird gutmütig toleriert. Allerdings wurde er in einem renommierten Biergarten auch schon von stämmigen Kellnern abgedrängt. Das eigentlich zum Vortrag bestimmte Sonett wurde so unfreiwillig zum Vierzeiler amputiert.

Prembellas Lesungen sind ohnehin lediglich 5-7 Minuten oder zwei bis drei Gedichte lang. Dabei setzt er rücksichtslos seine nicht sonderlich entwickelte Physis ein, indem er Gäste kurz schüttelt oder ohrfeigt, die nicht geneigt sind, ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Bevorzugt wendet er sich dabei an eine stärker alkoholisierte Klientel, die seine sporadisch eingestreuten Tätlichkeiten nicht mehr angemessen erwidern kann. Immer wieder greift er Themen aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld auf. Rau, ungefiltert und unzensiert gelingt Prembella so die Transkription des Alltags in Gedicht oder Kurzprosa. Ob der von Prembella inflationär benutzte Ausdruck »Arschkopf« allerdings eine bleibende Bereicherung der deutschen Sprache ist, bleibt selbst unter seinen Anhängern umstritten.

Ähnlich unorthodox ist Prembellas Methode, seine Texte zu verbreiten. Neben den Lesungen und den schon erwähnten Serviettengedichten setzt Prembella auf die absolute Kurzform, den populärpoetologischen Einzeiler.

»Rudi Schuricke war nicht alles«, lautet eine der für Prembella typischen Weisheiten, die er in Form von Schmierereien auf Herrentoiletten hinterlässt. Gelegentlich rutscht Prembella dabei ins Pamphlethafte ab: »Geht nicht zum Chinesen essen, die haben’s nicht so mit der Sauberkeit« ist doch recht flach oder auch »Mut sei mit den Gottlosen, denn die haben ja sonst nichts, wenn man’s genau nimmt.«

Was als spleenige Marotte begann, ist heute durch akademische Weihen geadelt, was Prembella angeblich »durchaus o.k.« findet. Ein ähnliches Konzept verfolgt Prembella auch bei seinen längeren Prosatexten. Auch hier zeigt sich die typische Neigung zu markanten Überschriften. Unter dem Titel Sie hatte voll einen an der Klatsche entwickelte er das facettenreiche Portrait einer jungen Frau. Ziemlich populär ist auch Kirchlich getraut, eine recht wirre Masturbations-Phan- tasie.

Ausgerechnet einer seiner größten Erfolge steht stellvertretend für Prembellas künstlerisches Dilemma. Die Rede ist von dem zumindest im Rheinland häufig zitierten Gedicht Gepriesen sei dein Eierstock. Immer wieder reklamierte Prembella die Autorenschaft über dieses zwölfstrophige Poem für sich. Dennoch versagte er die Abdruckgenehmigung für das Gedicht, obwohl es schon mehrfach für Anthologien vorgesehen war.

Überhaupt gibt es wenig Gedrucktes von Prembella. Die Ablehnung durch den bürgerlichen Literaturbetrieb hat bei ihm wie bei vielen Autoren zu einer gewissen Verbitterung geführt: »Wer gedruckt wird, hat schon gelogen«, behauptet der Autor und verweigert sich weitgehend der Publikation.

Allerdings brach Prembella Mitte der achtziger Jahre erstmals mit diesem Prinzip. Er legte unter der Überschrift mein proktologischer befund das in Jamben gekleidete Resultat einer an ihm vorgenommen Darmspiegelung als Faksimile in Kölner Kneipen aus.

Damit schien Prembella auf den Geschmack gekommen zu sein. Denn kurz darauf konnte die edition leptosom Prembellas ersten und bislang einzigen Gedichtband Anstands-WAUWAU vorlegen, eine Aktion, die allerdings von einem gravierenden Finanzproblem des Verlags überschattet wurde. So blieb die öffentliche Resonanz überschaubar, was wiederum Prembellas Vorbehalte gegen den Literaturbetrieb zu bestätigen schien.

Unverdrossen suchte er weiter seine publizistischen Nischen. Für ein Kölner Anzeigenblatt rezensierte Prembella seit den siebziger Jahren Terrence Hill & Bud Spencer-Filme, und zwar mit beachtlichem Enthusiasmus. Überhaupt schien er sanfter geworden zu sein. So veröffentlichte er im vergangenen Jahr in einer Kölner Tageszeitung einen Leserbrief zur Dauerkrise des 1. FC Köln. Dabei schlug er unter Pseudonym ungewohnt leise und mahnende Töne an.

Unentdeckt blieb lange Zeit Prembellas dunkle Seite. So soll er unter dem Mädchennamen seiner Mutter zwei mäßig erfolgreiche Karnevalsschlager getextet haben. Manche unterstellen Prembella auch eine gutbürgerliche Existenz im Stadtteil Longerich. Dort soll er eine gediegene Dreizimmer-Wohnung mit einer Lebensgefährtin teilen. Sie taucht übrigens regelmäßig in seinen Gedichten als »die Schippe« auf. Seiner eruptiven literarischen Produktion tut diese un- spektakuläre Existenz offensichtlich keinen Abbruch. Im Gegenteil, Hermann Prembella scheint aktiver denn je. Für das Frühjahr 1997 hat er jedenfalls seine erste reguläre Lesung angekündigt. Dann will er auch mit einem literarischen Schlüsselroman an die Öffentlichkeit gehen. Man darf gespannt sein.

 

 

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Erstausstrahlung: Deutsche Welle 1990. Wiederveröffentlicht in: Irgendwas ist immer, Stories von Markus Peters, CHORA Verlag, Duisburg, 2021

Weiterführend zur Theorie des Sozialen

Eine Theorie des Sozialen lautet, es gebe in der Politik keine Lücken. Immer wo sich eine auftue, werde sie sofort von anderen Akteuren besetzt. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten.