Das hörten die schwarzalben mit mißvergnügen, und der staat, dessen aufgabe es ist, die völker in ihrer kulturellen entwicklung aufzuhalten, machte die frage nach der entwicklung und wiederaufnahme des ornamentes zu der seinen. Wehe dem staate, dessen revolutionen die hofräte besorgen! Bald sah man im wiener kunstgewerbemuseum ein büffett, das „der reiche fischzug“ hieß, bald gab es schränke, die den namen „die verwunschene prinzessin“ oder einen ähnlichen trugen, der sich auf das ornament bezog, mit welchem diese unglücksmöbel bedeckt waren. Der österreichische staat nimmt seine aufgabe so genau, daß er dafür sorgt, daß die fußlappen aus den grenzen der österreichisch-ungarischen monarchie nicht verschwinden. Er zwingt jeden kultivierten zwanzigjährigen mann, drei jahre lang an stelle der gewirkten fußbekleidung fußlappen zu tragen. Denn schließlich geht eben jeder staat von der voraussetzung aus, daß ein niedrig stehendes volk leichter zu regieren ist.
***
Ornament und Verbrechen, von Adolf Loos, Wien 1908
Adolf Loos war ein österreichischer Architekt, Architekturkritiker und Kulturpublizist. Er gilt als einer der Wegbereiter der modernen Architektur. Seine bekanteste Schrift ist der Vortrag Ornament und Verbrechen (1910). Darin wird argumentiert, dass Funktionalität und Abwesenheit von Ornamenten im Sinne menschlicher Kraftersparnis ein Zeichen hoher Kulturentwicklung seien und dass der moderne Mensch wirkliche Kunst allein im Sinne der Bildenden Kunst erschaffen könne. Ornamentale Verzierungen oder andere besondere künstlerische Gestaltungsversuche an einem Gebrauchsgegenstand seien eine ebenso unangemessene wie überflüssige Arbeit.
Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.