Erinnerungen an SAID

 

Er kam auf mich zu. Das war vor zweimal sieben Jahren. Er schrieb mir eine Mail und bot mir an, eine kleine Erzählung von ihm im Bonner Dichtungsring zu veröffentlichen. Sie gefiel mir nicht, sie passte auch nicht recht zum Thema, und so bat ich ihn, lieber einen anderen Text zu schicken, und nach einer Weile schickte er ein Liebesgedicht:

 

wenn du aus deinem versteck herauskommst

um mich zu lieben

sind wir dann nicht bewaffnet gegen den tod

mit unseren küssen

und mit der zeit

die auf unseren händen ruht?

 

Das gefiel uns sehr. Und wir veröffentlichten es 2008 in unserer 36. Ausgabe, „Körper“ war das Thema. Liebe und Tod war seins. Wie das so ist mit den Themen und der Literatur: gerade ein Gedicht, selbst ein kurzes, kommt ja nicht mit einem Aspekt aus, und so ist es auch in seinem Gedicht – natürlich ist die Liebe gebunden an den Körper, der Körper unterworfen der Zeit, also: Liebe und Tod. Aber auch diese Aspekte sind hintergründig, doppeldeutig, und wie wir wissen, schrieb SAID gern Liebesgedichte, sie waren für ihn, den doppelt Heimatlosen, Zuflucht, die Liebe eine Zufluchtsheimat, nicht Ersatz, sondern das einzige Paradies, das sich im Leben verwirklichen lässt, wenn auch nur temporär. Es sei denn, das Gedicht meint auch die Liebe zur Sprache – das wird in anderen Gedichten deutlicher.

Said Mirhadi schrieb alles klein, nur nicht seinen Namen. „schreit euren namen / laut und deutlich — denn hier, / auf dem sklavenmarkt, / versteigert man den, / der schweigt.“ Das führt wieder zurück zur Politik, die ihm zweimal seine Heimat nahm, erst das diktatorische Schah-Regime, dann die theokratische Diktatur der Mullahs. Geboren 1947 in Teheran als Sohn eines Offiziers, wurde SAID 1965 zum Studium nach Deutschland geschickt: so „… verschlug mich das leben hierher, im alter von 17, wie ein kind, das schlafend fortgetragen wurde.“ In München studiert er Politikwissenschaft. Was sonst. Er will die Welt verstehen. Er erlebt den Besuch des Schahs am 2. Juni 1967 und die Studentenbewegung in Deutschland. Er wird zum politischen Dichter, schreibt gegen die alte und die neue Diktatur in seinem Land, bald in deutscher Sprache. Er begreift, dass das Exil sein Leben überdauern wird.

 

wir teilen

den vorrat an worten

mit den bedürftigen

und gehen außer landes

der tag mit seinen riffelungen

schweigt

die häuser rücken zusammen

und überwinden die scham

der tod

legt sich einen namen zu

und bricht auf

 

SAID wird 1995 Mitglied im Präsidium des PEN-Clubs und dessen Präsident (2000-2002). In dieser Rolle kann er sich für Verfolgte und Verurteilte in seiner Heimat einsetzen, was ihn selbst gefährdet.

Für seine literarische Arbeit erhält SAID mehrere Preise, 2006 die Goethe-Medaille und 2016 den Friedrich-Rückert-Preis.

Die Bonner Literaturzeitschrift Dichtungsring veröffentlichte gerade in den letzten fünf Jahren mehrmals Texte von SAID, zwei Gedichte und drei Erzählungen. In seinen Mails schenkte er uns beinahe jedes Mal ein Gedicht dazu. Alle Texte, die uns SAID gab, enthielten einen politischen Kern, manchmal muss man ihn mit der Lupe suchen, aber der Text stellt die Lupe bereit.

In der Erzählung „eine stadt horcht“ (DR52/2018), eine kafkaeske, surrealistisch zugespitzte Parabel über das Wesen der Diktatur und die Machtlosigkeit der Unterdrückten, geht ein Fremder, oder ein Träumer?, zum Bahnhof und löst eine Fahrkarte: „nach einem ort, der zuhört.“ Als der Fremde den Ort erreicht, fliehen in der Allee die Bäume vor ihm. Ein Polizist gibt dem Fremden Anweisungen, er soll nicht zu klug erscheinen, und deutet auf ein Gebäude, in dem nackte Frauen auf dem Boden sitzen, Gemüse schnippeln und vom nächsten Krieg reden. Wieder draußen vor der Halle sieht der Fremde: Jeder Bürger trägt einen lebendigen, zappelnden Fisch in der Hand. Nun soll der Fremde, so teilt der „polizist im auftrag des staates“ mit, „jedem bürger in 99 wörtern erklären, warum das schweigen so wichtig ist -“ Am Straßenrand liegen lauter tote Fische. In einer weiteren Halle sitzt „eine menschenmenge auf dem boden, vor jedem lag ein toter fisch. die menge wehklagte, schlug sich ins gesicht und schluchzte.“ Der Fremde dreht sich um und schaut dem Polizisten in die Augen. Der sagt zu ihm: „entweder betrauern sie einen eigenen fisch oder sie verlassen die stadt.“

die abhängigkeit von einer sprache

die bleiben will

das gedicht

geprägt von stunden und kontinenten

flüstert zu ende

an einem ort

aus zweifel und zweigen

Rettet uns wenigstens die Liebe? In „paradise blue“(DR55/2019) erzählt SAID gleichnishaft von einer Person, die 71 Jahre alt ist und er selbst sein könnte, vom Verlust des Paradieses, seiner iranischen Heimat, von Liebe und Verrat – durch seine Unbedachtsamkeit kommt der Freund ins Gefängnis, der die gleiche Frau liebt – und vom Warten im Exil auf den Putsch. Das alles schreibt der Ich-Erzähler in einem Brief an seine einstige Geliebte. „dann kommt der putsch, und ich kehre nach hause zurück. dort habe ich keinen garten und ein paradies suche ich schon lange nicht mehr.“ Er fragt nach dem verratenen Freund, der will ihn nicht mehr sehen.  „er ist besiegt, von mir, von dir. und auch wir beide sind besiegt. besiegt durch die zeit und ihre launen. man nennt sie allerorts politik. wir sollten uns versöhnen, bevor der tod uns besiegt. die art der versöhnung müssen wir offen lassen – falsche paradiese haben ihren eigenen code. komm du nach hause, wir finden einen weg, ohne begierde. niemand will etwas von uns, nicht einmal der geheimdienst.“ –

Diese Erzählung zeigt deutlich, wie schwer die Wunden und Selbstverletzungen sind. Sie können nicht heilen, auch nicht durch die Liebe. Aber die Liebe, und dazu gehört auch das Verzeihen, ist die Grundvoraussetzung, um das eigene Leben zu ertragen, und sie ist in ihrer politischen Dimension, als Nächstenliebe, das Fundament einer erträglicheren Zukunft.

 

 

 

Weiterführend → KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben.

Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.