Wenn Du jetzt von irgendwoher auf mich und Deinen Sarg, und darin auf Deine „sterbliche Hülle“, wie man das nennt, herabschaust, dann würdest Du vielleicht zu mir sagen: „Heast, Peter Paul, des is ka Spaß mit dem Sterbm! Vastehst, Jolly, des is wirklich ka Spaß, obwohls zum Leben ghört!“ Und ich würde Dir – so wie ich das in früheren Zeiten oft getan habe – mitd en Worten antworten: „Lieber Fabian, ich pflichte Dir bei, ich glaub Dir das, ich muß Dir das glauben, weil ich ja – im Gegensatz zu Dir – noch keine Erfahrung damit habe.“ Undsogleich würdest Du in einen Dialog – selbstverständlich würdest Du mir dabei erklären, was bei den Griechen das Wort dialogos für eine Bedeutung gehabt hat – also Du würdest sogleich in einen Dialog ausreiten, der wiederum nach wenigen Augenblicken zu einem Monolog von Dir sich entwickeln würde, in dem Du mich darüber belehren würdest, wie das alles in Wahrheit wirklich sei: das Wesen der Dinge, die Wahrnehmung, die Erfahrung, die Vorstellung, die Vorstellung von einer Erfahrung und einer Vorstellung usw. usw. Und wir wären sogleich mitten in einem philosophischen Gespräch, besser gesagt in einem Monolog von Dir, in einer Betrachtung, in einer professoralen aber unnachahmlich persönlichen Privatvorlesung von Dir über den eigentlichen Zustand von Sein, Mensch und Welt. Und Du würdest Dich ereifern, fast bis zur Erschöpfung, jedenfalls bis zu meiner, und dann würdest Du bei irgendeiner Stelle Deinen Monolog plötzlich abbrechen und dann irgendwann wiederum sagen: „Heast, Peter Paul, so ist dos, vastehst, Jolly?!“ So habe ich Dich jedenfalls in Erinnerung, oft war es so, eigentlich fast immer, wenn wir zusammentrafen, da oder dort, und ein Glas Wein miteinander getrunken haben; Du bedächtig, ich hastig und schnell. Sehr verschieden waren wir und doch einander in vielem ähnlich. Über so vieles, richtiger gesagt: über das wenige wirklich Wichtige, über das Grundsätzliche von Mensch, Ding und Welt, waren wir uns einig, und in vielen anderen Detailfragen wiederum nicht. Aber jeder respektierte die Meinung des anderen, fast wie schicksalhaft, weil wir einander aber auch uns selbst als Person, als Persönlichkeit, als autonomes Individuum respektierten. Und weil wir Freunde waren, seit langer Zeit. Also, lieber Fabian, so gedenke ich nun mit ein paar Worten und in skizzierten Erinnerungsbildern Deiner Person und unserer Freundschaft. Ich hab Dich einfach gemocht. Wir waren auf eine seltsame Art und Weise einer dem anderen nahe; auch und vor allem in der letzten Zeit, in der so vieles – und somit auch unsere „Gespräche“ -immer fragmentarischer wurde und manches bei und an Dir zunehmend eine immer skurrilere Form annahm, die von Dir selbst und nicht nur von Deinem Erscheinungsbild her geprägt war. Und so wurdest Du in vielem zwar immer eigenartiger und seltsamer, aber zugleich damit auch immer persönlicher, unverwechselbar. Du warst eine stadtbekannte Szenefigur, ohne daß man Dich auf eine solche reduzieren durfte. Du liebtest das Besondere, ja mehr noch: Das Einmalige! „Absonderlich“ nannten das sogar manche; eben weil sie Dich nichtganz begriffen, sondern nur jene Seite sahen, die es bei Dir sicherlich auch in zunehmendem Maße gab. Wie und vor allem warum sollte man Dich in irgend eine Schablone zwanghaft einreihen, Dir eine Zugehörigkeit anhängen, die Du sowieso nicht gemocht, ja sogar sicherlich entschieden abgelehnt hättest und stets hast. Du wolltest diese Einmaligkeit von Dir selber haben, Du wolltest sie leben, ja sie verkörpern, Du wolltest in ihr und mit ihr und durch sie das sein, was Du warst: Der Kulterer! Lächelst Du jetzt oder setzt Du schon wieder einmal an, um mir zu widersprechen. So genau weiß ich das nicht. Es könnte ja auch sein, daß Du -übrigens so wie immer: seelenruhig, aber fest überzeugt und doch zugleich fast gütig – sagenwürdest: „Heast, Peter Paul, heast Jolly, des ist ja olles sowieso gonz ondas, des mit mir, desmit mein Leben, des mit der Welt, des mit’n Leben überhaupt, des mit’n Sterben und mid’n Tod. I konn da davon nichts erzähln, owa Du wirst es schon noch selber sehn.“ Lieber Kulterer, lieber Fabian, ich glaub Dir das. Oder lassen wir es einstweilen einfach so stehen wie es für jeden von uns beiden jetzt ist; für mich hier und für Dich dort, wo immer Du jetzt bist oder sein magst. Ich grüße Dich und sage Dir einstweilen ein herzliches „Auf Wiedersehen! Bis zum nächsten Mal, da oder dort, vielleicht.
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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010, von Peter Paul Wiplinger. Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010
Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.