Aufzeichnungen nach 2000 (1)

 

2001

Irgendwann hat die Stadtverwaltung den Namen der Gasse, in der ich wohne, poetisiert. Früher, auf alten Stichen oder Plänen, hieß sie noch Daubengasse. Eine kurze, gepflasterte Gasse nahe der Stadtmauer des Mittelalters. Handwerker also, die Bier- und Wein­fässer herstellten, haben in den Häusern und Werkstätten gewohnt und gearbeitet und der Straße ihren Namen gegeben. Eine Adresse, die mir besser gefiele als Taubengasse.

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»Unerträglich, wie er sich selber lobt«, sagt Frau E. im Gespräch über einen Schriftsteller, dessen Namen ich nicht verstanden habe, viel­leicht gar nicht kenne. Ich kenne jedoch einen anderen Schrift­steller, der damit gemeint sein könnte. Ich will mich hüten, ihm zu gleichen.

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Beneidenswerte Musikkritiker. Sie können sich noch immer auf Edu­ard Hanslick und Theodor W. Adorno berufen.

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Bedenkzeit beschließt man eher mit einem Nein als mit einem Ja. Das spricht für sie.

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»Ich lese den Roman vielleicht zum zehnten Mal«, schreibt Olaf La­gercrantz. Er meint Lord Jim von Joseph Conrad. Ein vorbildli­cher, beneidenswerter Leser.

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Torri del Benaco, der schöne Ort an der Riva orientale am Garda­see, gefiel André Gide, der dort im Sommer 1948 einige Sommer­tage ver­brachte, so gut, daß er wünschte, in Torri del Benaco zu sterben und begraben zu sein. Er starb drei Jahre später in Paris und wurde auf dem Friedhof von Cuverville in der Normandie, seinem zweiten Wohnsitz, begraben. In Torri del Benaco erinnert man sich jetzt nach vielen Jahren an den Wunsch des Dichters und Nobelpreisträgers und gebraucht ihn als Werbung. Touristen an­zulocken und dort, wie André Gide, schöne Ferientage zu verbrin­gen.

 

 

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Hans Bender

→ In loser Folge bringt KUNO ab heute sämtliche nach 2000 entstandenen Aufzeichnungen Hans Benders (*1919), die erstmals in Matrix 29. Jeder auf seine Art für Hans Bender veröffentlicht werden.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.