Für die Generalversammlung 1999 der „Interessensgemeinschaft Österreichischer Autorinnen Autoren“
Zur Jahrtausendwende stehen wir inmitten von dynamischen Prozessen, denen wir oft nur mehr ausgeliefert sind und denen wir gegensteuern müssen, wenn wir nicht Werte der menschlichen und zivilisatorischen Kultur verlieren wollen. Deröffentliche Gestaltungsraum und das politische Handlungsvermögen werdenimmer mehr und immer aggressiver durch weltweite Wirtschaftsinteresseneingeschränkt und durch ungeheure und unkontrollierbar gewordene autonome Kapitalmärkte bedroht und in ihrer Bedeutung relativiert. Dies hat entscheidende Auswirkungen für uns; auf allen Gebieten und in allen Lebensbereichen.
Wir müssen – auch zum Beispiel im Zusammenhang mit dem politischen Wertebild der Europäischen Union und der sogenannten Realpolitik überhaupt – einen immer gravierenderen Rückzug der Politik ins Regulative und Administrative feststellen und auch einen immer mehr um sich greifenden Rückzug des Staates aus der ihm zukommenden Verantwortung für dasGemeinwohl seiner Bürger. Eine Einschränkung staatsbürgerlicher Grundrechte, eine Aushöhlung des Rechtsstaates, ein restriktiver Abbau im Sozialbereich, ein Werteverlust im allgemeinen, eine Entsolidarisierung und Enthumanisierung der Gesellschaft sind die Folge.
Alte Feindbilder leben wieder auf, andere werden neu geschaffen, Ängste werden geschürt, Argumente nicht gehört, nicht angewendet, Populismus und Demagogie machen sich überall breit, das parteipolitische Machtspiel rangiert vor staatspolitischer Verantwortung, vor dem Problemlösungswillen und der Problemlösungsfähigkeit, offen rassistische Aussagen und Haltungen sind gesellschaftspolitisch salonfähig geworden. Ein Rückfall hinter mühsam undlängst gewonnenen Standards auf der Ebene der Humanethik und der Civil-Society ist festzustellen und zu beklagen. Und mitten in Europa gab es wiederKrieg, Verfolgung, Vertreibung, Massaker, gewaltsamen Tod.
In einem solchen Kontext appellieren wir Künstler und Schriftsteller –zumindestens dort, wo wir Adressaten erreichen: in unserem Land, in unserem Staat, in unserer Gesellschaft – an die Vernunft und fordern ein Nachdenken über die Konsequenzen solcher Entwicklungen und Gegebenheiten ein und zur Korrektur der Fehlentwicklungen auf. Und wir weisen darauf hin, daß in diesem Zusammenhang der Künstler und Intellektuelle nicht zum Feindbild gemacht, nicht diskriminiert werden darf, sondern er auch in Bezug auf die ihm zukommende Aufgabenstellung des wachen Beobachters und Mahners respektiert werden muß.
Dieser Forderung und einer anderswo selbstverständlichen Haltung widerspricht aber die Österreichische Wirklichkeit. Hier gab und gibt es nicht nur Ressentiments, Angriffe, untergriffige Kampagnen gegen einzelne Künstlerinnen und Intellektuelle, sonder sie werden politisch und medial öffentlich und ohne Widerspruch diffamiert, herabgesetzt, beleidigt, entwürdigt, verhöhnt und zumFeindbild gemacht. Politiker und Parteien besorgen dabei ihren Part, die Medien und gewisse Kreise den übrigen.
Weiterführend →
Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.
→ Zwischen 1995 und 1999 hat A.J. Weigoni im Rahmen seiner Arbeit für den VS Kollegengespräche mit Schriftstellern aus Belgien, Deutschland, Rumänien, Österreich und der Schweiz geführt. Sie arbeiteten am gleichen „Produkt“, an der deutschen Sprache. Die Publikation ist zum 30. Jahrestag des VS erschienen.