Pferdemarkt

 

Der eigentliche Markt lag abseits vom Trubel der Kirmes auf einer Wiese hinter der Autobahn. Ein Schild mit dem Aufdruck Pferdemarkt wies Besuchern von außerhalb den Weg. Giancarlo ging durch die Flöz–Hugo–Siedlung. Er trippelte mit kleinen Schritten über die klapprigen Platten des Gehwegs. Vorsichtshalber ging er geparkten Autos, Kinderwagen und plärrenden Kleinkindern aus dem Weg.

Hinter dem Platz von Wanne 11 lag die Wiese. Eingezäunt von Hecken und am hinteren Ende die Böschung. Am frühen Morgen wirkte die Umgebung noch frisch. Tau glitzerte im Gras. Die Hitze würde erst im Laufe des Tages kommen. Aus seiner Tasche zog er die Lomo, einen russischen Fotoapparat, den ihm seine Frau zum Hochzeitstag geschenkt hatte. Mit einem breiten Lächeln hatte sie ihn morgens in der Küche empfangen. Einem Lächeln, von dem er heute wusste, dass es eher ein Auslachen gewesen sein musste. „Zu dieser Zeit…“, dachte er bitter, „ musste sie schon ihren Liebhaber gehabt haben“. Als er durch die Linse des Fotoapparats sah und eine Familie erblickte, versetzte ihm das einen Stich in der Herzgegend. Er klappte die Linse wieder zu und sah sich um. In der Mitte des Terrains war eine Fläche eingezäunt. Die Pferde wurden von den Bauern an einem Strick herum geführt. Trab. Wechselspiel im Gras. Hufschläge auf dem Gras, ein Geräusch ähnlich dem sanften Entkorken einer Sektflasche. Hunde kläfften. Kaninchen trommelten gegen Verschläge.

Die meisten Menschen waren gekommen, um sich den Pferdemarkt nur anzusehen, aber einige tätigten hier den Pferdekauf nach alter westfälischer Manier. Gekauft wie gesehen, in Treu und Glauben. Alles per Handschlag.

Giancarlos Wahrnehmungskapazität hatte sich dramatisch vermehrt, ihm fielen zwei krummbeinige Pferdezüchter auf, die im eigentümlichen Dialekt um ein Pferd feilschten. Soviel er von diesem Plattdeutsch verstand, würde sich das Feilschen hinziehen. Dem Ackergaul wurde ins Maul gesehen. Unwirsch schüttelte der Klepper seinen großen Kopf. Diese Prozedur passte Pegasus nicht. Die Kerle machten grobe Späße mit dem Tier, und schließlich wurde der Verkauf per Handschlag besiegelt. Der Kunde zahlte in bar. Eine Mädchen servierte ihnen auf einem Tablett zwei Klare. Die Nasen der Bauern glänzten, und Giancarlo vermutete, dass dies nicht der erste Klare war, den sie zu sich genommen hatten. Er klappte seine Kamera wieder auf und fotografierte die beiden krumpeligen Bauern.

 Als er den Platz verlassen wollte, fiel ihm eine junge Frau auf. Er blickte ihr geradewegs in die Augen. Lächelte scheu. Sie lächelte zurück. Er war so lange verheiratet gewesen, dass er nicht wusste, dass er mit ihr flirtete. In seiner Jugend, eher scheu, hatte er seine erste große Liebe geheiratet und war ihr bis zuletzt treu geblieben. Für den Bruchteil eines Augenblicks nahm Giancarlo wahr, wie die eng anliegende schwarze Kleidung die Figur der Frau vorteilhaft zur Geltung brachte, ohne dass es zu anbiedernd, primitiv gewesen wäre. Sie machte den Eindruck, als bereite es ihr Spaß, mit Charakterbildern zu spielen. Er schlenderte an ihr vorüber, und ihn irritierte, dass ihr Blick noch auf ihm ruhte.

 

 

Fortsetzung folgt.

***

Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001

Weiterführend →

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.