Froschperspektive. Das Flimmern vor den Augäpfeln war verschwunden. Pochende Schmerzen unter der Schädeldecke blieben ihr als schwacher Nachhall erhalten. Sollte sie noch einmal in den Ring?
»Er zieht die Deckung hoch und lässt ihn kommen«, kommentierte das Gothic–Girl.
»Der kriegt gleich Dresche«, war sich der Angesprochene sicher.
»Dat hab ich per’se gefilmt.«
»Dann mach’et, mach’et mit Schmackes!«
»Der hängt schon in den Seilen.«
»Klar, Faust vor die Fresse ist nich‘ lustig«, blinkerte Shari Jacqueline an, während der Herausforderer ausgezählt wurde.
»Und tschüss!!!«
»Lächerlich!«, ihn interessierte der Fight nicht mehr, als ihm klar wurde, dass die Kämpfe verschoben wurden. Nur wenige Herausforderer kamen aus dem Publikum. Sie waren bei der Firma angestellt. Ansgar trieb ein Unbehagen an der lauwarmen Wohlstandsgesellschaft umher, die Bereitschaft mit Gewalt zum Glück zu kommen, der Glaube an das Unbedingte.
»Nichts für Leute, die nicht trainiert sind.«
»Dat kann’sse so machen, oder dat kann’sse auch anners machen… et ist eh Brause!«, nörgelte Ansgar dazwischen. Konnte sein Mädel damit aber nicht von ihrem Kommentarplatz holen.
»Dat is ’n Heumacher!«
»Könnte aber ’n Lucky Punch landen.«
»Wenne dich da mal nich‘ vertust.«
»Is‘ doch alles abgekartet! Bisschen Sparring, mehr is‘ nich‘.«
»Du Blindfisch. Der hat echt Schlagkraft!«
»Wenn er durch die Deckung bricht…«
»… dann ist in echt game–over.« Shari hatte jetzt auch keine Lust mehr, zuzusehen.
Der Ringrichter zählte den Herausforderer an: »Zehn… neun… acht… sieben… sechs… «
Aus. Neues Spiel, neue Runden, frisches Publikum. Shari wandte sich ab. Entdeckte im Gewühl Jacqueline. Blinzelte. Ging direkt auf sie zu. Legte ihr anerkennend die Hand auf das Schulterblatt.
»Hey, hast machomask gekämpft!«
»Bedanke mich«, blinzelte die Angesprochene zurück. „Soll ich das Kaninchen füttern?“ Jacqueline betrachtete Shari anzüglich und dachte bei ihrem Anblick ungewollt an die Gerichtsmedizin, in der ihr Onkel Chefpathologe war. Sie warf einen Seitenblick auf ihren Begleiter, fand Ansgar oberflächlich und grenzenlos langweilig, gerade deshalb, weil er sich stolz mit dem Insignien eines Outlaws schmückte. Shari dagegen gefiel ihr in der Mischung aus affektierter Gleichgültigkeit und unschuldigem Killerblick. Noch ein wenig unterbelichtet, doch man konnte sie hochziehen.
Fortsetzung folgt.
***
Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001
In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.